„Die Lage ist sehr angespannt. Wir stehen den besten Truppen des Gegners gegenüber. Wir halten sie hier auf, damit sie nicht an andere Frontabschnitte verlegt werden können“, berichtet ein ukrainischer Soldat in einem Video von „Radio Svoboda“ aus dem Westteil von Bachmut. Nur noch der Westen der einstigen 70.000-Einwohner-Stadt befindet sich unter ukrainischer Kontrolle. Dort sollen laut dem Video noch knapp zwei Dutzend Zivilisten ausharren.
Seit Anfang Jahr sind die russischen Truppen Straßenzug um Straßenzug vorgerückt, nachdem sich zuvor an der Bachmut-Front über fünf Monate lang wenig bewegt hatte. Doch Ende letzter Woche mussten die Ukrainer den Bahnhof räumen. Auch diese Festung fiel, und damit gerieten ein paar wichtige hohe Bauten in die Hände der russischen Invasionstruppen. Seitdem scheinen die intensivsten Straßenkämpfe rund um die Kreuzung der beiden letzten verbliebenen Versorgungsrouten der Ukrainer ausgetragen zu werden. Laut der aktuellen Lagekarte des gewöhnlich gut informierten ukrainischen Bloggers „Deep State“ liegen nun rund drei Kilometer der Landstraße durch das westlich gelegene Dorf Iwaniwske in der umkämpften Grauzone. Über diese Landstraße wurden die ukrainischen Truppen bisher mit Munition und anderem Nachschub versorgt. Auch die nördliche Alternativroute durch das nur zwei Kilometer westlich des noch von den Ukrainern gehaltenen Teils von Bachmut gelegene Dorf Chromowe liegt inzwischen teils in der Grauzone. Laut Militär-Bloggern kann diese Straße direkt unter russisches Feuer genommen werden.
Russische Elitetruppen
Laut Berichten ukrainischer Soldaten auf sozialen Medien setzten die Russen inzwischen weniger unerfahrene Rekruten bei Bachmut ein, sondern agieren in kleinen Gruppen bestehend aus Elitekämpfern. Der britische Geheimdienst berichtete am Dienstag, die russischen Verluste seien im April um 30 Prozent zurückgegangen.
Im Häuserkampf um den Westen des weitgehend zerstörten Bachmut soll nun auch Gas eingesetzt werden. Es wird um jedes Haus gekämpft, beide Seiten haben sich mit Schützengräben tief ins Terrain eingegraben. Besonders umkämpft sind die neunstöckigen sowjetischen Plattenbauten. Davon gibt es in dem von den Ukrainern noch gehaltenen Westen von Bachmut – rund zehn Prozent des Stadtgebiets – noch einige.
Das seit Monaten von drei Seiten umzingelte Bachmut mag strategisch nicht besonders wichtig sein, doch Kiew geht es offenbar darum, hier und auch im südlich gelegenen Awdijewka möglichst viele russischen Elite-Einheiten zu binden. Damit soll Zeit gewonnen werden für die schon lange angekündigte ukrainische Gegenoffensive im Süden des Landes. Noch immer wartet die Ukraine auf weitere westliche Panzer- und andere Waffenlieferungen. Auch sind die Böden nach dem Winter noch aufgeweicht.
Gegenoffensive hat begonnen
Dennoch deutet vieles darauf hin, dass die ukrainische Gegenoffensive in den letzten paar Tagen begonnen hat. Entlang des Flusses Dnipro, im Süden der Oblast Saporoschschija und auf der Krim werden immer wieder russische Schwachstellen ausgelotet. So haben die Ukrainer Anfang Woche eine „Hrim-2“-Rakete auf die Stadt Kertsch bei der gleichnamigen Brücke aufs russische Festland gefeuert. Diese wurde abgeschossen, zeigte indes Putin die neuen Möglichkeiten der ukrainischen Armee auf – und zwar mit einer Eigenproduktion. Am Dienstag griffen die Ukrainer die russische Schwarzmeerflotte in Sewastopol mit Drohnen an, ohne dabei Schaden anzurichten; auch wurde das russisch besetzte Städtchen Tokmak im Oblast Saporoschschija beschossen – diesmal mit amerikanischen Himars-Raketen.
Am Dienstag tauchte in den sozialen Netzwerken auch ein Foto auf, das eine ukrainische Flagge am östlichen Dnipro-Ufer in der Gegend von Cherson zeigen soll. Dorthin mussten sich die Russen im November nach der Aufgabe der Großstadt Cherson zurückziehen. Nun tauchten Videoaufnahmen auf, die die Landung von kleinen ukrainischen Einheiten am Ostufer zeigen. Angeblich soll die Dnipro-Insel Antonivka von den Ukrainern erobert worden sein. Dazu kommen ein paar weitere, zumeist unbewohnte Inseln in der bisherigen Grauzone des Dnipro-Deltas. Die russische Luftwaffe flog am Montag und Dienstag je Vergeltungsschläge auf Cherson. Über die Zahl der Opfer unter der ukrainischen Zivilbevölkerung ist noch nichts bekannt.
De Maart
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