11. Dezember 2025 - 19.14 Uhr
BulgarienUnter Druck geratene Regierung von Premier Scheljaskow wirft das Handtuch
In der Not überraschen manchmal auch bedrängte Würdenträger Freund und Feind. Am Vortag hatte Bulgariens zunehmend unter Druck geratener Regierungschef Rossen Scheljaskow einen Abtritt mit Verweis auf die bevorstehende Euro-Einführung am 1. Januar noch kategorisch abgelehnt. „Es ist nicht an der Zeit, das Schiff zu verlassen.“
Am Donnerstag wartete der Premier der konservativen Gerb-Partei die Abstimmung über das sechste Misstrauensvotum gegen sein Minderheitskabinett erst gar nicht ab. Mit dem Verlust der politischen Unterstützung und der Notwendigkeit, „das öffentliche Vertrauen wiederherzustellen“, begründete er wenige Minuten vor dem überflüssig gewordenen Votum seinen unerwarteten Abtritt: „Wir hören die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger. Die Regierung tritt zurück.“
Das Land sei „20 Meter vor dem Ziel“, hatte zu Wochenbeginn auch der hart kritisierte Gerb-Chef und Ex-Premier Bojko Borissow mit Verweis auf das nahende Euro-Zeitalter den sich mehrenden Forderungen nach einem Machtwechsel den Wind aus den Segeln zu nehmen versucht: Er werde sich erst nach dem 1. Januar zu der Protestwelle und den Rücktrittsforderungen äußern.
Doch so viel Zeit sollte Bulgariens routiniertem Dauerstrippenzieher nicht mehr bleiben. Der wachsende Unmut und Druck der Straße hat die unpopuläre, von der Oligarchenpartei DPS unterstützte Zweckkoalition seiner Gerb mit der sozialistischen BSP und der nationalpopulistischen ITN nun doch schon vor Bulgariens Zutritt zur Eurozone in die Knie gezwungen. In über 25 Städten waren hunderttausende Bulgaren am Vorabend des geplanten Misstrauensvotums auf die Straßen gezogen: Allein in Sofia wurde die Zahl der Demonstranten auf bis zu 150.000 Menschen geschätzt.
„Rücktritt“ und „Mafia“ skandierten bei den Protesten gegen Korruption und Vetternwirtschaft seit Wochen die überwiegend jugendlichen Demonstranten. Im Mittelpunkt ihrer Kritik stand dabei weniger das nun abgetretene Kabinett selbst als dessen beide Architekten: Wie Gerb-Chef Borissow gilt auch der schillernde Medienmogul und DPS-Chef Deljan Peewski als Sinnbild von Bulgariens Hinterzimmerpolitik und korrupter Vetternwirtschaft.
Neuwahlen wahrscheinlich
Vor allem der Juniorpartner ITN soll laut heimischen Medienberichten zunehmend unter den Druck seiner Parteibasis geraten sein, die Koalition mit der Gerb und der BSP aufzukündigen. Obwohl laut Umfragen rund die Hälfte der Bulgaren dem Euro skeptisch gegenübersteht, hatten die sowohl von dem proeuropäischen Oppositionsbündnis PP-DB als auch von der prorussischen „Wiedergeburt“ unterstützten Proteste gegen die bisherige Regierung nicht direkt mit dessen Einführung zu tun.
Wie es in Bulgarien weitergeht, muss sich bei den bevorstehenden Konsultationen von Präsident Rumen Radew mit den Parlamentsparteien erweisen. Schwer vorstellbar scheint angesichts des fragmentierten Parlaments und der wenig heterogenen Opposition, dass sich eine neue Regierungsmehrheit finden lässt. Neuwahlen scheinen wahrscheinlich.
Bringen die Sofioter Turbulenzen selbst noch die Euro-Einführung in dem polarisierten Land in Gefahr? Westliche Diplomaten betonten nach dem überraschenden Regierungsabtritt die Notwendigkeit von Stabilität und Transparenz in der verbleibenden Übergangszeit.
Die Sofioter Medien gingen am Donnerstag in ersten Reaktionen davon aus, dass der abgetretene Scheljaskow sein Land als geschäftsführender Premier zunächst in die Eurozone führen könnte, bevor erneut eine von Präsident Radew gebildete Übergangsregierung die Amtsgeschäfte übernimmt und vermutlich im Frühjahr vorzeitige Neuwahlen organisiert. Es wäre die siebte Parlamentswahl in den letzten fünf Jahren.
De Maart
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