Donnerstag6. November 2025

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Ringen um „Wischi-Waschi-Wehrpflicht“Union und SPD streiten über neuen Wehrdienst in Deutschland

Ringen um „Wischi-Waschi-Wehrpflicht“ / Union und SPD streiten über neuen Wehrdienst in Deutschland
Die Pläne von Verteidigungsminister Pistorius sollen pro Jahr Zehntausende neue Rekruten zur Bundeswehr bringen Foto: Sina Schuldt/dpa

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Die Aufregung ist groß, der Ärger auf beiden Seiten wächst: Union und SPD verhaken sich im Bundestag in der Frage, wie viel Freiwilligkeit beim Wehrdienst ausreicht. Das Gesetz soll bald kommen, die Zeit drängt. Doch eine Einigung ist noch nicht in Sicht.

In der Koalition hält der Streit um das von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) eingebrachte Wehrdienstgesetz an. CSU-Chef Markus Söder kritisierte das Freiwilligen-Modell für die Bundeswehr am Sonntag als „Wischi-Waschi-Wehrpflicht“. Aus der Union waren zuvor Forderungen gekommen, die für demnächst angedachte erste Beratung des Gesetzentwurfs im Bundestag von der Tagesordnung zu nehmen. Pistorius kritisierte die Union für ihre Hinhaltetaktik bei dem von ihm eingebrachten Gesetz.

Die Pläne von Pistorius sollen pro Jahr Zehntausende neue Rekruten zur Bundeswehr bringen, bis auf Weiteres allerdings auf freiwilliger Basis. Ein verpflichtender Wehrdienst ist zwar vorgesehen für den Fall, dass Rekrutierungsziele nicht erreicht werden oder die Sicherheitslage höhere Zahlen nötig macht. Es gibt aber keinen Automatismus, keine festgelegte Zahl und keinen festgelegten Zeitpunkt für eine Wehrpflicht. Die Union bezweifelt, dass so die anvisierte personelle Stärkung der Truppe erreicht werden kann. Schon seit Monaten fordern Politiker der Unionsparteien eine Verschärfung des Gesetzes.

Söder legte nun unter anderem im Onlinedienst X nach. „Eine Wischi-Waschi-Wehrpflicht hilft niemandem“, erklärte er dort. „Freiwilligkeit kann nur ein erster Schritt sein. In Zeiten großer Bedrohung brauchen wir mehr als eine Fragebogen-Armee.“ Deutschlands Sicherheit sei massiv in Gefahr und jeder Tag Zögern schwäche sie weiter, warnte Söder. Deshalb müsse sich das Land wappnen und die Bundeswehr mit genügend Personal ausbauen. „Je schneller und klarer die Wehrpflicht kommt, desto besser“, schrieb Söder.

Die Union dringt weiter auf Nachbesserungen

Bisher steht die erste Lesung des Wehrdienstgesetzes am Donnerstag auf der Tagesordnung des Bundestags. Das könnte sich noch ändern: Ein Sprecher der Unionsfraktion erklärte am Samstag auf Anfrage, „dass die erste Beratung im Bundestag übernächste Woche erfolgen wird, hatten die beiden Fraktionsvorsitzenden bereits vor Tagen vereinbart“. Er erklärte, die beiden Koalitionsfraktionen seien zu dem Gesetz „seit der Klausur in Würzburg in guten Verhandlungen“. „Wir streben einen zügigen Abschluss an, der der fortgesetzt angespannten Sicherheitslage gerecht wird“, fügte er hinzu.

SPD-Fraktionsvizechefin Siemtje Möller zeigte sich auf Anfrage unserer Redaktion zurückhaltend und zuversichtlich. „Die Erstellung der Tagesordnungen ist immer ein dynamischer Prozess, Verschiebungen sind keine Besonderheit“, betonte sie. Beim Zeitplan wollte sie nun keine konkreten Daten nennen. „Wir gehen davon aus, dass allen Beteiligten die Dringlichkeit einer Verabschiedung sehr bewusst ist und wir deswegen zügig zu einer ersten Lesung und dann auch zu einer Verabschiedung des Gesetzes vor Jahresende kommen“, sagte Möller. „Damit die Bundeswehr Planungssicherheit bekommt und wir bereits im nächsten Jahr mit dem neuen Wehrdienst beginnen können.“

Doch die Union dringt weiter auf Nachbesserungen. „Wir streben einen konkreten Aufwuchspfad an und klare Vorgaben, was passiert, wenn die Ziele nicht erreicht werden“, erklärte der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Erndl (CSU). Die Diskussion zum Aufwuchs der Bundeswehr und der Reserve müsse „bereits jetzt umfassend geführt werden“, fuhr er fort.

Pistorius hatte eine mögliche Verschiebung ausgesprochen scharf kritisiert. „Das Verhalten der Unionsfraktion ist fahrlässig, weil es möglicherweise die Einführung des neuen Wehrdienstes und damit auch die Wiedereinführung der Wehrerfassung verzögert“, sagte der SPD-Politiker dem Handelsblatt (Samstag). Im parlamentarischen Verfahren gebe es verschiedene Möglichkeiten, vom Gesetzentwurf abweichende Haltungen einzubringen – etwa durch Änderungsanträge.

Auch die Anhörung von Sachverständigen diene genau dazu, Expertise von außen einzuholen, so dass kein Argument unberücksichtigt bleibe. Der Verteidigungsminister forderte „die Unionsfraktion auf, am Zeitplan festzuhalten und sich so einzubringen, wie es das parlamentarische Verfahren vorsieht“.

Kritisch gegenüber Pistorius’ Plänen äußerte sich allerdings auch der Wehrbeauftragte des Bundestages, Henning Otte: „Der Koalitionsvertrag sieht vor, es zunächst weiter mit einem freiwilligen Wehrdienst zu versuchen. Es mag zwar grundsätzlich löblich sein, auf Freiwilligkeit zu setzen, allerdings gibt es erhebliche Zweifel daran, ob dies wirklich gelingen kann und auch der Lage angemessen ist“, sagte Otte unserer Redaktion. Ihm zufolge wäre es möglich, im Rahmen der parlamentarischen Beratung Voraussetzungen zu schaffen, bei einem neuen Wehrdienst schnell auf weitere verpflichtende Elemente umschalten zu können. „Doch es muss primär darauf geachtet werden, dass ein neuer Wehrdienst die Truppe stärkt und sie nicht belastet“, mahnte Otte. „Eine Wehrpflicht wäre zwar wahrlich kein Allheilmittel, aber ein wichtiger Teil eines größeren sicherheitspolitischen Konzepts“, sagte der Wehrbeauftragte.