Sollte er die im kommenden Jahr anstehende Wahl gegen die konservative Regierung von Premier Rishi Sunak gewinnen, „werden wir nicht den Geldhahn aufdrehen“, sagte Keir Starmer am Montag in einer Grundsatzrede zur künftigen Wirtschafts- und Finanzpolitik auf der Insel. Entrüstung ernteten aber vor allem seine anerkennenden Worte für die frühere Premierministerin Margaret Thatcher und deren „eiserne Verfolgung ihrer Ziele“.
In seinem Artikel für den erzkonservativen Sunday Telegraph und einem nachfolgenden BBC-Interview lobte Starmer die eiserne Tory-Lady (1979-90) für die „Freisetzung unseres unternehmerischen Instinkts“. Das heiße keineswegs, dass er mit allen Aspekten ihrer Politik übereinstimme. Vielmehr werde seine Regierung ähnlich wie Thatcher „eine Mission für die Veränderung des Landes“ verfolgen. Dazu gehöre auch eine realistische Immigrationspolitik; hingegen habe Premier Sunak alle Versprechungen einer Begrenzung der Einwanderung sowie anderer vermeintlicher Vorteile des Brexit gebrochen.
Dass der Sozialdemokrat die beiden erfolgreichen Labour-Premierminister Clement Atlee (1945-51) und Tony Blair (1997-2007) mit Thatcher in einem Atemzug nannte, empörte vor allem die zuletzt ohnehin marginalisierte Partei-Linke. Das Erbe der eisernen Lady bestehe in Wirklichkeit aus „sozialer Ungerechtigkeit, Hunger und Elend“, sagte der Abgeordnete Ian Byrne aus Liverpool. Starmer wolle wohl nach rechts rutschen und damit Labours Werte verraten, vermutet die parteiinterne Gruppe Momentum, deren Mitglieder zu den Anhängern von Starmers Vorgänger Jeremy Corbyn zählten.
Wechselwähler bereits vereinnahmt
Weil dieser bei der Unterhauswahl 2019 krachend gegen Boris Johnson verlor, muss Starmer für eine solide Mehrheit rund 150 Sitze hinzugewinnen. Im britischen Mehrheitswahlrecht ist dies nur mit einem Appell an die apolitische, an Stabilität interessierte Mittelschicht mit eher konservativen Instinkten zu schaffen. Ob Labour aber gezielt das konservative Wählerpotential anzapfen kann?
Starmer muss jetzt Veränderung anbieten, ohne Wenn und Aber. Und ganz gewiss kein Loblied auf Tory-Premierminister.
Daran zweifelt Blairs einstiger Berater John McTernan im Guardian. Die viel zitierten Wechselwähler, die Blair den Weg an die Macht bereiteten, habe Starmer den Umfragen zufolge ohnehin bereits weitgehend hinter sich. Tatsächlich sehen die Umfragen seit knapp zwei Jahren Labour bei rund 45 Prozent, die regierenden Tories hingegen verzeichnen Tiefstwerte um die 25 Prozent. Im Land gebe es einen klaren Willen, die Tories loszuwerden, analysiert McTernan: „Starmer muss jetzt Veränderung anbieten, ohne Wenn und Aber. Und ganz gewiss kein Loblied auf Tory-Premierminister.“
Mit letzterem bedient sich der Oppositionsführer einer Strategie Blairs aus dem Jahr vor dessen Wahl-Triumph 1997. Wie damals ziele das „anstößige und völlig unnötige“ Lob für Thatcher darauf, der Linken eine lange Nase zu zeigen, glaubt auch die politische Analystin Scarlett McGwire. Starmers demonstrative Haushaltsdisziplin entspreche zwar der Realität, aber: „Wofür sollen die Leute denn dann Labour wählen?“
Gilt im Ausland als kommender Mann
Die Zweifel im eigenen Lager mögen Starmer und seinem Team ganz recht sein, ändern jedenfalls nichts daran, dass der Labour-Chef in der Heimat wie im Ausland als der kommende Mann gilt. Bei seinem Kurzauftritt auf dem UN-Klimagipfel COP28 in Dubai konnte sich der britische Oppositionsführer vor Terminwünschen kaum retten. Brasiliens Präsident Lula, US-Klimabeauftragter John Kerry, die spanische Vizeregierungschefin Teresa Ribera – alle wollten sie mit Starmer sprechen und gesehen werden. Dabei hat sich der 61-Jährige zuletzt nicht gerade als Klimaschutzpolitiker profiliert, vielmehr lässt er sich gern mit dem Satz zitieren, er sei „kein Baum-Knutscher“ (not a tree-hugger).
Immerhin durfte der überzeugte Umweltpolitiker und frühere Labour-Klimaschutzminister (2008-10) Edward Miliband seinen Chef begleiten. Dessen nach amerikanischem Vorbild zusammengestelltes Paket staatlicher Investitionen in erneuerbare Energien und bessere Häuserisolierung von jährlich 28 Milliarden Pfund (32,7 Milliarden Euro) steht allerdings haushaltspolitisch auf der Kippe. Die mächtige Labour-Finanzsprecherin Rachel Reeves hatte bereits im Sommer signalisiert, dass Milibands ehrgeiziger Plan frühestens in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode, also von 2026 an, zu verwirklichen sei.
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können