Dienstag23. Dezember 2025

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Theater„Une rose plus rose“: Passiert Liebe im Kopf oder auf Knopfdruck?

Theater / „Une rose plus rose“: Passiert Liebe im Kopf oder auf Knopfdruck?
Theater, der um Feminismus kreist: „Une rose plus rose“ von Christine Muller Foto: Bohumil Kostohryz

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Mit „Une rose plus rouge“ präsentiert die luxemburgische Regisseurin Christine Muller am TNL eine Kreation frei nach den Comics von Liv Strömquist. Ein kurzweiliger Abend.

Es ist doch immer wieder verblüffend, in welchem Maß Themen rund um Feminismus, bisweilen vermeintlichen, oder Missbrauch nahezu ausschließlich Zuschauerinnen ins Theater locken. Das Publikum von „Une rose plus rouge“ im Foyer des TNL an einem Sonntagnachmittag besteht zu rund 90 Prozent aus Frauen.

Die luxemburgische Regisseurin Christine Muller hat sich frei von den Comic-Bänden der Autorin Liv Strömquist inspirieren lassen, an „Futures“ von Laurent Bastide und „La volonté de changer“ der afro-amerikanischen Feministin Bell Hooks. Anhand von Porträts folgt die Regisseurin Spuren und zeichnet individuelle, selbstbestimmte Wege nach, das Patriarchat zu hinterfragen – von Kaiserin Sisi bis Nancy Reagan. Zugleich stellt das Stück die Frage nach der Liebe in einer Zeit, in der vor allem jüngere Frauen sich via Dating-Apps erfolgreich „vermarkten“ und trotz ihrer feministischen Überzeugung miteinander konkurrieren. Muller zeigt, wie junge Menschen sich untereinander als Objekte auf Dating-Apps auswählen, doch auf dem digitalen Markt der Begehrlichkeiten wird es immer eine noch schönere Rose geben: „Il y aura toujours une rose plus rouge ailleurs à désirer!“ Bei ihren Recherchen hat Christine Muller für ihre Inszenierung Nutzer*innen von Dating-Apps getroffen und war wie erschlagen von der Macht der Algorithmen und dem neuen Vokabular, einem eigenen Jargon: „ghosting“,„cloaking“, „hunting“ oder „zombieing“. „45 Matchs in fünf Minuten“, erzählt so die Fotografin Diane, 32, (Sophia Fabian) kokett von ihren Erfahrungen. Bemisst sich heute daran der (Markt-)Wert?

Auf einer Leinwand ist anfangs das Gesicht einer Frau mit blauer Perücke zu sehen. Selbst die schönste Frau, KAI, wird irgendwann aussortiert. „Buddha verlassen ist wie sterben“, hört man als Echo in der Endlosschleife, während auf der Leinwand in großen Lettern das Wort L’AMOUR aufflimmert. Ein Räucherstäbchen wird durchs Publikum gereicht und das Publikum angehalten, tief durchzuatmen. So schweben die Zuschauer:innen in einer Patschuli-Wolke. Rauchschwaden ziehen über die Bühne im Foyer des TNL, dazu hört man düster-mysteriöse Klänge: Liegt im Yoga die heilende Kraft?

„Wie weit müssen wir uns verbiegen?“

Die Schauspielerin Cyrielle Rayet vollführt im entsprechenden Outfit Yoga-Übungen und verdreht sich um ihre eigene Achse. Wie weit müssen wir uns verbiegen, um den Erwartungen gerecht zu werden, soll das wohl heißen? Von Anbeginn ist das Stück partizipativ angelegt. „Wer hat Kinder?“, wird so etwa ins Publikum gefragt. „Ihr seid dazu angehalten, sie total zu lieben!“ Oder: „Was ist Liebe?“ Stichworte fallen von allen Seiten in den Raum und werden in einem großen Kochtopf verrührt: Zärtlichkeit, Respekt, Leidenschaft, Humor, Kommunikation und Schmerz. Die zentrale Hauptfigur (Cyrielle Rayet) erzählt von ihrer Erfahrung mit Dating-Apps: Der Geist von Ashtanga-Yoga helfe als Lebensphilosophie oder einfach Mens sana in corpore sano.

Und Diane erzählt von ihrem Foto-Projekt „Granny“: Sie habe Nackt-Fotos älterer Frauen publiziert und sie dadurch verletzt. Die Publizierung dieser Fotos hatte Konsequenzen. Sie erntete Hate-Speech-Nachrichten; verschiedene dieser Posts werden im Foyer des TNL kurz an die Leinwand projiziert: „On va venir te niquer toi et ton expo.“  Ist unser Selbstbild das Problem? Die schönsten Frauen sähen sich doch als „hässlich“ an. Was ist Liebe in der Post-Generation-Z? Dauert die Verliebtheit zwischen Menschen grundsätzlich nicht mehr als zwei Jahre an?

Szene aus „Une rose plus rose“
Szene aus „Une rose plus rose“ Foto: Bohumil Kostohryz 

Eine Stimme aus dem Off erzählt verheißungsvoll, dass es dank Dating-Apps mehr Paare gibt. Das anfangs eingeblendete Gesicht wird verpixelt und verzerrt. Irgendwann werden die beiden Schauspielerinnen Glitzermasken mit aufgespritzten Lippen tragen; ihre Gesichter mit dem eingefrorenen Lächeln wirken wie erstarrte Fratzen. Klar wird: Die Liebe funktioniert im Kopf, Projektion funktioniert. Die sportliche Performance mit Yoga-Elementen symbolisiert die beständige Selbstoptimierung. Und es wird eine aussagekräftige Zahl an die Leinwand projiziert: 90 Prozent der Frauen büßen an Selbstbewusstsein ein nach der Trennung. Melanie Gerber liefert einen schrägen, aber passenden Live-Sound dazu. Eine schwedische Umfrage wird zitiert. Die Frage etwa: „Mit wem sprichst Du, wenn Du traurig bist?“ – mit Mutter (41 Prozent), mit Vater (fünf Prozent).

„Une rose plus rouge“ ist ein unterhaltsamer Abend, der verspielt und partizipativ um Feminismus kreist. Die Art der Inszenierung ist kreativ und dramaturgisch sinnvoll umgesetzt (Florian Hirsch), doch wenn fortlaufend Yoga-Übungen zu psychedelischer Musik gezeigt werden, wirkt das große Ganze bisweilen etwas esoterisch. Trotz ernüchternder – und zum Teil erwartbarer – Erkenntnisse steht am Ende ein großes Plädoyer für die subversive Kraft der Liebe: „L’amour c’est comme un acte communiste dans une monde capitaliste.“

Une rose plus rouge: Liv Strömquist/Christine Müller. Letzte Vorstellungen am 5. April um 19.30 und am 6. April um 17.00 Uhr im TNL.