28. November 2025 - 6.47 Uhr
Analyse von außenTrumps Dolchstoß in den Rücken der Ukraine
Der ursprüngliche mangelhafte 28-Punkte-Plan der Trump-Regierung folgte auf vier separate Entwicklungen, die jeweils einen Wendepunkt erreichten. Die erste waren Berichte über Korruption im Zentrum des politischen Establishments der Ukraine. Die zunächst von ukrainischen Antikorruptionsbehörden erhobenen Anschuldigungen wurden für einen breiter angelegten Versuch genutzt, die Führung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu diskreditieren und für einen Regimewechsel zu werben.
Zweitens hat Russland seine wilden Drohungen nuklearer Angriffe auf den Westen verschärft und unter anderem Waffen getestet, die angeblich radioaktive Tsunamis auf das Vereinigte Königreich und andere nordeuropäische Länder mit tief liegenden Küsten lenken könnten. Der atomgetriebene Burewéstnik-Marschflugkörper, so der Kreml, sei von keinem Luftverteidigungssystem zu stoppen. Mit dieser Rhetorik sollen die Europäer abgehalten werden, ihre militärische Unterstützung für die Ukraine auszuweiten.
Regierungen anfällig und unfähig
Drittens haben populistische Anti-Establishment-Parteien in Europa – und Stimmen aus dem gesamten politischen Spektrum der USA – die Beendigung des Krieges ganz oben auf ihre Agenda gesetzt. Dabei fällt ihre Kampagne in eine Zeit, in der die Regierungen Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens anfällig und unfähig wirken und keine Ideen zu haben scheinen, wie sie ihre stotternden Volkswirtschaften wieder in Gang bringen, ihren technologischen Rückstand aufholen und ihre polarisierten, gespaltenen Gesellschaften wieder einen können. Kommentatoren verkünden bereits eine neue Politik und sagen eine Welt voraus, in der Marine Le Pens rechtsextremer Rassemblement National, die AfD (Alternative für Deutschland) und Nigel Farages Reform UK in Frankreich, Deutschland bzw. Großbritannien an die Macht kommen werden.
Viertens schließlich hat die Trump-Regierung Desinformationen über Europa und seine Politik verbreitet. Zum Beispiel hat Trump wiederholt behauptet, die Europäische Union unterlaufe die Sanktionen, indem sie russisches Öl kaufe. Tatsächlich beschränken sich diese Käufe inzwischen auf zwei an den südlichen Zweig der Druschba-Pipeline angeschlossene Länder: Ungarn und die Slowakei. Die zuvor von russischen Lieferungen abhängige Tschechische Republik hat Anfang des Jahres die Umstellung auf über die transalpine Pipeline gelieferte nicht-russische Kohlenwasserstoffe abgeschlossen. Hauptschuldiger ist Ungarn, dessen kremlnahe Regierung Trump ausdrücklich um die Erlaubnis bat, weiterhin russische Energie kaufen zu dürfen – eine Erlaubnis, die er bereitwillig erteilte.
Irreführendes NATO-Narrativ
Im Mittelpunkt des jüngsten US-Friedensvorschlags steht ein von einigen außenpolitischen Analysten (darunter von dem verstorbenen George Kennan) vertretenes irreführendes Narrativ, das die NATO als Bedrohung für Russland und westliche Sicherheitsgarantien für Russlands Nachbarn als Verletzung russischer Souveränität darstellt. Das Bekenntnis der NATO zur Osterweiterung in den 1990er-Jahren sei der Sprengstoff gewesen, der die internationale Ordnung des 21. Jahrhunderts in die Luft gesprengt und Russland 2014 in einen Verteidigungskrieg getrieben habe, den es dann 2022 ausweitete.
Freilich ignoriert dieses Narrativ bequemerweise die Tatsache, dass der russische Widerstand gegen die NATO nicht in den 1990er- oder frühen 2000er-Jahren einsetzte, sondern zu einem Zeitpunkt, als es so aussah, als würde der Westen zerfallen: nach der Finanzkrise von 2007/8. Erst damals wurde das NATO-Argument zu einem Keil, um das westliche Bündnis zu spalten.
Diejenigen, die die NATO-Erweiterung für die Ursache der russischen Aggression in der Ukraine halten, haben dem Kreml das Argument einer angeblichen NATO-Bedrohung abgekauft, während sie die wahre Bedrohung für seine Macht ignorieren: erfolgreiche pro-demokratische oder antiautoritäre Bewegungen. Der Kreml stützt sich auf die Werte des 19. Jahrhunderts: Orthodoxie, Autokratie und Nationalität. Von dieser Warte aus werden seine Souveränität und sein Selbstbestimmungsrecht zu einem Recht, Selbstbestimmung anderswo zu unterdrücken.
Ließe sich der Konflikt angesichts dieser Dynamik einfrieren? Ein wirksamer Waffenstillstand würde die Möglichkeit bieten, Leben wieder aufzubauen, lebenswichtige Infrastrukturen wiederherzustellen und Wiederaufbau und Entwicklung der Wirtschaft voranzutreiben. Sollte dieses Ergebnis jedoch aus Russlands Bemühen um eine politische Lösung resultieren, wären die Folgen für die Ukraine, Europa und die Welt fatal. Auch der überarbeitete Trump-Plan lässt die Frage fester NATO-ähnlicher Sicherheitsgarantien (statt vager Versprechen von Konsultationen im Falle neuerlicher russischer Angriffe) unbeantwortet und ist brandgefährlich.
Papiertiger EU
Aus ukrainischer Sicht kam der Trump-Plan einem klassischen „Dolchstoß in den Rücken“ gleich. Obwohl die ukrainischen Streitkräfte auf dem Schlachtfeld unbesiegt sind, würde die Ukraine den Krieg verlieren. Die Ukrainer würden sich unweigerlich fragen, wer dafür die Verantwortung trägt, und dies würde jede Hoffnung auf eine Aufrechterhaltung eines konsensualen politischen Systems zunichtemachen und das Land reif für einen Rückfall in die Autokratie machen.
Der ursprüngliche Trump-Plan würde zudem Europa, seine Institutionen und seine Weltanschauung diskreditieren und schwächen. Die Europäische Union stünde als Papiertiger da – als politischer Akteur großer Worte und großer Ideen, aber ohne den Willen oder die Macht, diese in die Praxis umzusetzen. Angesichts eines solchen Urteils würden europäische Politiker mit größerer Wahrscheinlichkeit vor jenen auf der extremen Rechten (und Linken) kapitulieren, die eine nostalgischere Version nationaler Souveränität propagieren.
Doch in vielen Fällen – insbesondere in Deutschland und Frankreich, den beiden Ländern, die das europäische Projekt während des größten Teils der Nachkriegszeit maßgeblich vorangetrieben haben – wäre dies eine gefährliche Entwicklung. Bestenfalls würden diese Regierungen die Behauptung des Nazi-Kollaborateurs Marschall Philippe Pétain wieder aufgreifen, Frankreichs Schutzschild gegen gefährliche Zeiten zu sein; schlimmstenfalls könnte die Hinwendung zu einem Souveränitätsverständnis aus der Zeit vor der EU eine Rückkehr zu deutschen Überlegenheitsansprüchen gegenüber seinen Nachbarn bedeuten.
Was die übrige Welt angeht, so signalisiert die außergewöhnliche Umarmung der russischen Geschichtsauffassung durch die USA den endgültigen Niedergang der Macht oder des Einflusses des Landes in der Welt. Die Botschaft ist einfach und unmissverständlich: Jetzt, wo sie für nichts mehr stehen, sind die USA leicht zu kaufen.
Aus dem Englischen von Jan Doolan. Harold James ist Professor für Geschichte und internationale Angelegenheiten an der Princeton University und Verfasser zahlreicher Bücher, zuletzt von „Seven Crashes: The Economic Crises That Shaped Globalization“ (Yale University Press, 2023). Copyright: Project Syndicate, 2025.
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