Trödeln und bummeln an einem besonderen Ort: Die „Brocante“ in Rodemack hat Kultstatus

Trödeln und bummeln an einem besonderen Ort: Die „Brocante“ in Rodemack hat Kultstatus

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Drei Highlights gibt es jedes Jahr im lothringischen Rodemack: das Mittelalterfest, den Trödelmarkt und das Weinfest. Der Trödelmarkt oder „Brocante“, der am Sonntag über die Dorfbühne ging, hat Legendenstatus.

Stichwort Rodemack

Die Gemeinde besteht aus vier Ortschaften. Neben Rodemack selbst gehören Esing, Faulbach und Seming dazu. In Rodemack selbst gibt es die „Auberge de la Petite Carcassonne“, das dieses Jahr neu eröffnete Bistro „L’histoire de la famille“, die „Brasserie artisanale de Rodemack“ sowie ein rundes Dutzend „Gites“ und „Chambres d’hôtes“.

Der kleine Supermarkt der Gemeinde mit regionalen Produkten ist sieben Tage die Woche geöffnet. Blumen-, Wein-, Mittelalter- und Trödelmarkt sind die jährlichen Highlights. Allein das Mittelalterfest im Juni zieht 20.000 Besucher an. Sieben Vollzeitbauern gibt es in der Gemeinde. Wegen des Labels darf in Sichtweite der Burg- und der mittelalterlichen Dorfanlage nichts gebaut werden.

Dennoch werden in Nachbarschaft des Dorfes nach Rathausangaben demnächst 10 bis 15 Baugelände mit Einfamilienhäusern bebaut. Die Gemeinde ist mit 18 Vereinen im sportlichen und kulturellen Bereich gut organisiert.

Nach der langen Hitzeperiode sind runde 20 Grad und ein bedeckter Himmel ideal für gute Geschäfte. In den Gassen zwischen den mit Blumenkübeln geschmückten und bilderbuchhaft restaurierten Häusern wabern luxemburgische, französische und deutsche Sprachfetzen. Es wird gefeilscht, gehandelt und fachgesimpelt.

Die Gassen sind genauso voll, wie die Schlange am Sandwichstand lang ist. Die alljährliche „Brocante“ hat fast schon legendären Status. Sie zieht Besucher aus den drei umliegenden Ländern ein Mal im Jahr an und ist für viele fester Termin im Kalender. Dieses Jahr präsentieren rund 120 Aussteller ihr Angebot, das streng überwacht wird. Sorgsam wählt das „Syndicat d’initiative“, das die „Brocante“ seit 23 Jahren organisiert, jeden Aussteller aus. Qualität ist das Kriterium.

Das schätzen nicht nur die Besucher, sondern auch die Aussteller, die teilweise nur in Rodemack ihre Waren anbieten. Sandy Wagener (42) aus Düdelingen ist zum zweiten Mal hier und hat neben einer mannsgroßen Puppe im Kostüm des Fremdenlegionärs historische Kristall- und farbige Muranogläser im Gepäck. „Hier sind immer viel Leute und sie warten das ganze Jahr auf diesen Tag, deswegen bin ich hier“, sagt die Hobbyflohmarkthändlerin.

Historischer Stadtkern

In die Reihe der europäischen Dörfer, wo „Düppenfest“, Kirmes und „Brocante“ die alljährlichen gesellschaftlichen Höhepunkte sind, will Rodemack sich nicht einreihen. Das lothringische Dorf ist in vielerlei Hinsicht anders. Das fängt schon mit der Lage an. Nur sechs Kilometer von der luxemburgischen Grenze Richtung Mondorf entfernt bietet es sich als „Schlafdorf“ für Grenzgänger an. Die Häuserpreise sind im historischen Stadtkern unter 500.000 Euro nicht zu haben, was für Lothringen teuer ist. 85 Prozent der Einwohner arbeiten jenseits der Grenze. Die Zahl stammt von Gérard Guerder (69).

Der pensionierte Beamte der französischen Gesundheitskasse ist seit 2001 Bürgermeister der 1.250 Einwohner zählenden Gemeinde. Richtung Landesinnere wirft fußläufig in 1,5 Kilometern Entfernung das Atomkraftwerk Cattenom seinen Schatten auf das Dorf, das von einer mittelalterlichen Zitadelle umrahmt wird. Rodemack gehört zur „Communauté de communes de Cattenom et environs“ und profitiert davon.

Die Verbandsgemeinde mit 26.000 Einwohnern ist finanziell gut ausgestattet dank der „Électricité de France“ (EDF), dem Betreiber des Atomkraftwerks. Es ist eines der ältesten in Frankreich und sorgt regelmäßig für Schlagzeilen und Demonstrationen. Die EDF spült viel Steuergeld in die Gemeindekasse und die „Communauté“ verteilt großzügig. Die „Crèche“, die Sporthalle und die „Annexe“ für die Judosportler in Rodemack hätten ohne diese Gelder nie realisiert werden können.

Prämiertes Dorf

Deswegen kommen die fast 40.000 Besucher im Jahr aber nicht. Die mittelalterlichen Stadtmauern und -tore sowie die Burganlage haben Rodemack den Spitznamen „Carcassonne von Lothringen“ eingetragen und 1987 das Label, das Rodemack zu einem der „schönsten Dörfer Frankreichs“ macht. 158 Dörfer davon gibt es frankreichweit, die in einem speziellen Führer verzeichnet sind. „Viele Touristen reisen auf den Spuren dieser Dörfer“, sagt Bürgermeister Guerder. Alle sechs Jahre muss das Label aufs Neue verteidigt werden. Die Empfehlungen der Juroren haben Gewicht. Das erklärt, warum Rodemack im Gegensatz zu anderen Dörfern dieser Größe eine gute touristische Infrastruktur hat. Die Label-Jury hatte das Fehlen dieser Infrastruktur 2011 bemängelt. Bei der Dorfkneipe, dem kleinen Supermarkt mit regionalen Produkten und den zwölf „Gites“ zum Übernachten hat die Gemeinde den Weg bereitet. Zwei Restaurants in privater Hand und ein Friseur, der gerade erst eröffnet hat, komplettieren das Angebot.

Eine Sache aber würde die Kasse sprengen: die Restaurierung der Burg. Auch hier hilft die „Communauté“. Sie hat 2008 die Burg gekauft und bis jetzt die meterhohen Mauern und den drei Hektar großen Park für über 7 Millionen Euro saniert. Wenn die Restaurierung der Gebäude im Inneren der Anlage und der geplante Neubau für das Touristenbüro abgeschlossen sind, haben die Arbeiten nach Rathausangaben mehr als 20 Millionen Euro gekostet. Finanzier ist die „Communauté“ via EDF. Die Nachbarschaft zum Atomkraftwerk ist ein Geben und Nehmen.

Trotz der unübersehbaren Industrieanlagen geht Rodemack unbeirrt den eingeschlagenen Weg als touristischer Anziehungspunkt in diesem Teil Lothringens weiter. Die Angst, dass etwas passieren könnte, nehmen die Rodemacker auf ihre Weise hin. Sie wird totgeschwiegen, sagt das Gemeindeoberhaupt. „Selbst wenn das Werk eines Tages stillgelegt wird, wird wahrscheinlich daneben ein neues gebaut“, sagt Guerder. „Ich glaube nicht, dass Frankreich so schnell auf Atomkraft verzichten kann.“ Rodemack glänzt auf besondere Art und Weise.