Trillerpfeifen gegen die Stille – Proteste gegen Korruption nerven Serbiens Präsidenten

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Serbiens marginalisierte Opposition gibt Lebenszeichen. Zum dritten Mal in Folge haben in Belgrad am Wochenende Zehntausende gegen die politische Gewalt, ausufernde Korruption und die Mediengängelung im faktischen Einparteienstaat demonstriert. Der allgewaltige Präsident Aleksandar Vucic spielt die Proteste herunter – und zeigt sich genervt.

Von unserem Korrespondenten Thomas Roser, Belgrad

Trommelschläge läuten die Störung von Serbiens vorweihnachtlicher Friedhofsruhe ein. Der Trillerpfeifenchor der Demonstranten steigert sich vor dem Sitz des staatlichen TV-Senders RTS zum Orkan. Buhrufe schallen durch die Straßenschlucht der Ulica Takovska. Da den Demonstranten die Forderung nach fünf Minuten Sendezeit über die Proteste in den Abendnachrichten verwehrt worden sei, beginne nun „fünf Minuten Krach“, verkündet auf der fahrbaren Rednerbühne eines vorab rollenden Lastwagens die Mitorganisatorin Jelena Anasonovic.

Serbiens marginalisierte Opposition im faktischen Einparteienstaat gibt Lebenszeichen. Zum dritten Mal in Folge haben in Belgrad am Wochenende Zehntausende gegen die politische Gewalt, ausufernde Korruption und die Mediengängelung beim EU-Anwärter demonstriert. Waren es bei der Premiere am 8. Dezember knapp 10.000 und am Wochenende danach rund 15.000 Menschen, die über Belgrads eisigen Asphalt marschierten, zogen nach Angaben der Organisatoren nun bereits 35.000 bis 40.000 Demonstranten durch die Innenstadt.

Genervter Vucic 

Der allgewaltige Staatschef Aleksandar Vucic zeigt sich genervt – und spielt die Proteste herunter. „Marschiert, so viel ihr wollt, ich werde euch keine einzige Forderung erfüllen – auch wenn fünf Millionen von euch kommen sollten“, verkündete der angesäuerte Chef der rechtspopulistischen Regierungspartei SNS schon nach der Protestpremiere vor zwei Wochen. „Einer von fünf Millionen“, verkündeten spöttelnd die Plakate, mit denen die Demonstranten nun am Wochenende am Präsidentenpalast vorbei flanierten.

Unter dem Motto „Stoppt die blutigen Hemden“ hatten nach der brutalen Attacke gegen den Oppositionspolitiker Borko Stefanovic die Proteste begonnen: Maskierte Schläger hatten den Chef der „Linken Serbiens“ Ende November vor einer Kundgebung in der Provinzstadt Krusevac aufgelauert und ihn mit Metallstangen krankenhausreif geprügelt. Ein weiteres parteiloses Opfer von Serbiens ausufernder Politgewalt ergriff am Wochenende am Rednerpult das Wort. Er spreche als „Obdachloser in geliehener Kleidung“, der alles verloren habe, begrüßte der 70-jährige Milan Jovanovic die Demonstranten. Unbekannte hatten dem Mitarbeiter des Webportals „Zig Info“ wegen seiner kritischen Berichte über korrupte Machenschaften in der Belgrader Vorortgemeinde Grocka das Haus angezündet und seine Flucht aus dem Flammeninferno mit Schüssen auf die Eingangstür zu verhindern versucht.

Grassierende Vetternwirtschaft

„Vucic, du Dieb“, skandierten die Demonstranten unter dem Lichterschein der Belgrader Festbeleuchtung: Die in vier Jahren um das 100-Fache gestiegenen Ausgaben bei den offensichtlich manipulierten Ausschreibungen für die Weihnachtsbeleuchtung in der Hauptstadt sind für Regierungskritiker ein tristes Sinnbild für die grassierende Vetternwirtschaft im SNS-Staat. Zu Zeiten von Ex-Autokrat Slobodan Milosevic hätten die Machthaber drei Prozent kassiert, nach der demokratischen Wende im Oktober 2000 sei der Satz auf fünf Prozent gestiegen, „und jetzt nehmen sie 50 Prozent“, erregt sich vor dem Parlament ein Familienvater.

Seit die von der ultranationalistischen SRS abgespaltene SNS vor sechs Jahren das Regierungsruder übernommen hat, wird ihr machtbewusster Vormann Vucic im Westen als pro-europäischer Hoffnungsträger für den noch immer fernen Ausgleich mit Kosovo verhätschelt: Schon 2013 wurde die SNS mit tatkräftiger Unterstützung der deutschen CDU in den EVP-Verband von Europas christdemokratischen Schwesterparteien aufgenommen.

Nach ungarischem Vorbild

Doch um Demokratie, Pressefreiheit und Gewaltenteilung scheint es beim EU-Anwärter unter der SNS-Ägide immer schlechter bestellt. Statt des von der EU geforderten Rückzugs des Staates nimmt die Regierungspartei nach ungarischem Vorbild die Medien und Justiz immer stärker in ihren Griff. Selbst bei Haushaltsdebatten im Parlament kommt die Opposition kaum mehr zu Wort: Mit Hunderten unsinnigen Ergänzungsanträgen zu den eigenen Gesetzesvorhaben pflegt die SNS, die Opposition vom Rednerpult fernzuhalten.
Das neue oppositionelle „Bündnis für Serbien“ hat die offiziell überparteilichen Samstag-Demonstrationen initiiert. Als Zeichen der Stärke des keineswegs homogenen Bündnisses, das von linksliberalen Kräften bis hin zu rechtsklerikalen Nationalisten reicht, ist der wachsende Zulauf laut Ansicht der Zeitung Blic indes keineswegs zu werten: Es sei die Wut über Vucic und nicht die Aufrufe der Opposition, die die Demonstranten aus ihren warmen Wohnstuben auf die kalten Straßen ziehe.

Er habe „keinerlei Probleme“ mit den Protesten, versichert derweil der Präsident: Diese würden ihn „nur stärker“ machen. Doch nicht nur die merkwürdigen Demonstrant-pro-Quadratmeter-Berechnungen von Innenminister Nebojsa Stefanovic, der mit dem Verweis auf die dicken Winterjacken der Protestierenden deren Zahl zu reduzieren sucht, sondern auch die präsidialen Erklärungsversuche, warum die Anzahl marschierender Demonstranten immer größer wirke als die von stehenden, zeugen davon, dass die lästigen Proteste Serbiens selbstverliebten Dominator keineswegs unberührt lassen.

„Wir sind viele und wir werden noch mehr sein“, kündigte der Schauspieler Branislav Trifunovic die Fortsetzung der Proteste am kommenden Wochenende an: „Denn unsere Wut wird immer größer.“