Dienstag23. Dezember 2025

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Im KinoTraumatisierter Agent und engstirnige Dorfgemeinschaft: Blick auf „The Amateur“ und „Vermiglio“ 

Im Kino / Traumatisierter Agent und engstirnige Dorfgemeinschaft: Blick auf „The Amateur“ und „Vermiglio“ 
Symbolbild: Auf Kinosesseln wie diesen können Sie derzeit „The Amateur“ und „Vermiglio“ sehen Foto: Editpress/Julien Garroy

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Geht es in „The Amateur“ um Rache und die CIA, zerbricht in „Vermiglio“ die Landschaftsidylle. Über zwei gegensätzliche Filme, die aktuell in Luxemburgs Kinos laufen. 

Traumatische Agenten-Erzählung: „The Amateur“

In „The Amateur“ wird Rami Malek als CIA-IT-Analyst zu einer gefährlichen Waffe: Unerbittlich will er den Terroristen, die für den Mord an seiner Frau verantwortlich sind, auf die Spur kommen, um Rache zu nehmen. Der Agententhriller unter der Regie von James Hawes bleibt eine schwache Beschreibung eines Menschen in der Extremsituation, die auch Grenzerfahrung ist.

Rami Malek in „The Amateur“
Rami Malek in „The Amateur“ Quelel: imdb.com

Racheszenarien sind in Filmen oftmals ein allzu simples, gar simplistisches Gerüst, um ein actiongeladenes Gewaltspektakel zu zelebrieren. Nur selten gelangt ein solches Szenario zu einer Virtuosität in Form und Inhalt – vielleicht war mit „John Wick – Chapter 4“ (2023) damit tatsächlich ein Höhepunkt erreicht, der auch Endpunkt sein musste. Nicht so in „The Amateur“ von Regisseur James Hawes. Rami Malek spielt darin den CIA-Computerspezialisten Charlie Heller, der die tragische Nachricht erhält, dass seine Frau Sarah (Rachel Brosnahan) während einer Dienstreise nach London von Terroristen ermordet wurde. Obwohl der Geheimdienst Ermittlungen verspricht, bleiben die Ergebnisse aus, was Heller dazu veranlasst, selbst Nachforschungen über die Täter anzustellen. Nicht nur kommt Charlie so dem terroristischen Netzwerk nahe, auch erkennt er dessen Verbindungen zu hochrangigen CIA-Beamten, die in die Anschläge verwickelt sind. Dass Charlie dabei Fähigkeiten eines Feldagenten erwerben muss, lässt ihn sein eigenes Wesen hinterfragen. „The Amateur“ basiert auf dem gleichnamigen Roman des amerikanischen Krimiautors Robert Littell, der 1981 erschienen ist, und die Handlung in den Kontext des Kalten Krieges versetzte, einer zweigeteilten Welt, wo es den rachsüchtigen CIA-Computerspezialisten hinter den Eisernen Vorhang in die Tschechoslowakei versetzte.

In der Rolle des Heller gibt Malek selbstverständlich eine Variation seines Charakters Elliot Alderson aus der Serie „Mr. Robot“ (2015-2019) und verkörpert einen introvertierten Mann, der von seiner Umgebung oft unterschätzt wird. Rami Malek spielte Elliot mit einer intensiven und nuancierten Darstellung, die die innere Zerrissenheit und den Kampf der Figur eindrucksvoll einfing, der trauernde, von Schmerz geplagte Mann gelingt ihm hier nur in Ansätzen. Die für den Agenten so selbstverständliche Einheit von scharfem Intellekt und Kampfkraft, wie James Bond sie über sechs Jahrzehnte hinweg vorlebte, greift hier nicht mehr, ein Punkt, wo „The Amateur“ sein komödiantisches Potenzial zu gewinnen versucht: Charlie Heller muss etwa die Kenntnisse zum Aufbrechen eines Türschlosses in entsprechenden Anleitungsvideos aus dem Internet beziehen. Doch die komödiantischen Einlagen überschatten nicht den ernsthaften Kern dieser traumatischen Agenten-Erzählung: Für Heller entspringt das Dilemma dort, wo er die eigene Identität, das eigene Wesen negieren muss – „The Amateur“ fragt danach, ob ein unscheinbarer IT-Spezialist, ein Schreibtisch-Agent, zur Waffe greifen und zum Mörder werden kann. Jemand anderes zu werden, die Grenze der eigenen Person zu überschreiten, führt den verzweifelten und desillusionierten Charlie in tödliche Gefahren. Die Beschreibung eines Menschen in einer Extremsituation – die Frage, wo wir uns als Menschen entäußern – hätte eindringlich und spannend konzipiert werden können, bleibt hier aber unausgereift. Nie lässt der Film genügend Raum für das Zwielicht, für ausreichend Ambivalenz in der Figurenzeichnung. Stattdessen reiht der britische Regisseur James Hawes die Standardsituationen eines konventionellen Agententhrillers aneinander: Es wird viel über Loyalität geredet, Drohungen werden unterkühlt ausgesprochen, es gibt allerlei Ortswechsel über den gesamten Globus hinweg, wilde Verfolgungsjagden und Verhöre, aber alles an diesen verschiedenen Wendungen und jeweiligen Informationsgewinnen ist so vorhersehbar, dass nur Schauspieler Rami Malek dem grob gezeichneten Drehbuch und der uninspirierten Regie zur ansatzweisen Größe verhelfen kann.


Engstirnigkeit in Landschaftsidylle: „Vermiglio“

Beim vergangenen Filmfestival in Venedig ging der große Preis der Jury an „Vermiglio“ von Maura Delpero. Die italienische Filmemacherin beweist mit ihrem zweiten Spielfilm, dass wirkungsmächtige Filmkunst ganz in der Zurücknahme liegen kann.

Maura Delperos Anfänge im Dokumentarfilm sind ihrer zweiten Spielfilmarbeit (nach „Maternal“ 2019) deutlich anzusehen, ihre feine Beobachtungsgabe für Schauplätze und Landschaften, für den menschlichen Habitus sind tief in „Vermiglio“ eingeschrieben. Vermiglio ist der Name eines abgelegenen Bergdorfes in den italienischen Alpen, das vom Zweiten Weltkrieg wie unberührt scheint. Zumindest bis Pietro (Giuseppe De Domenico) einkehrt, ein sizilianischer Soldat, der im Dorf Unterschlupf findet. Als er die Aufmerksamkeit von Lucia (Martina Scrinzi) gewinnt, der ältesten Tochter des strengen Dorfschullehrers Graziadei (Tommaso Ragno), verlieben die beiden sich ineinander. Ohne Gefühlsbetonung, ohne besondere Dramatik beschaut Delpero zunächst diese einfache Verflechtung zweier junger Herzen ohne Kommentar, doch schon bald setzt die Verbindung ein dunkles Netz aus Frauenfeindlichkeit, Intoleranz und Engstirnigkeit frei. Es ist der Ausdruck einer Zeit, die von fixen Rollenbildern und Kriegszerrüttung geprägt ist.

Martina Scrinzi und Giuseppe De Domenico in „Vermiglio“: Nach der Heirat aus Liebe offenbart sich die Frauenfeindlichkeit im Dorf
Martina Scrinzi und Giuseppe De Domenico in „Vermiglio“: Nach der Heirat aus Liebe offenbart sich die Frauenfeindlichkeit im Dorf Quelle: imdb.com

„Vermiglio“ steht einer Idee des „kontemplativen Kinos“ nahe, nicht so sehr angetrieben über den Dialog, als vielmehr über die Wirkungsmacht repetitiver Einstellungen, die sehr über den bildlichen Eindruck gestaltet sind. Delpero versteht es überaus gut, ein Zeitporträt zu entwerfen und in diesem die Stille zu inszenieren, die Pausen und Leerstellen dort zu fokussieren, wo andere mit Theatralik und großem Affekt operieren würden.

In dem Verrichten routinierter Alltagsarbeit, in dem Beiwohnen an den immergleichen Schauplätzen, dem Ablauf fester religiöser Riten vermittelt sich ein Gefühl für das tiefe Verständnis Delperos für die Dorfgemeinschaft, in der die Liebe häufig den praktischen Erwägungen weichen muss. Die Versuche der leisen Auflehnung, die auch eine diffuse Hoffnung auf Befreiung in sich bergen, werden immerzu von festgefahrenen Denkweisen und Traditionen überschattet. Delpero versteht diese Gemeinschaft zwischen kriegszerrütteter Vergangenheit und ungewisser Zukunft, affirmiert aber nie ihr Denken und Handeln. Trotz der vermeintlichen Rückwärtsgewandtheit des historischen Themas und im Vergleich zu ähnlichen Werken wie Athina Rachel Tsangaris „Harvest“ (2024) oder Hugh Welchmans und Dorota Kobielas „The Peasants“ (2024) darf Maura Delperos „Vermiglio“ als ein weiteres zeitgenössisches und hochaktuelles Werk gelten, das sich mit ländlichen Lebensrealitäten vergangener Zeiten auseinandersetzt, um Themen wie patriarchale Ordnung und restriktive gemeinschaftliche Gesinnungen zu beleuchten. „Vermiglio“ zeigt ebenso leise wie eindringlich, wie schwierig die gewohnten, festgefahrenen Sitten infrage zu stellen oder Prozesse der Desillusionierung anzustoßen sind.

Umso harscher wirkt diese Zustandsbeschreibung einer rigiden katholischen Mentalität, da Delpero sie ganz mit der ländlichen Schönheit dieses Bergidylls kontrastiert, ja sie ganz daran bricht, ohne dabei jemals einer Postkarten-Ästhetik zu verfallen, im Gegenteil: Delperos Ästhetik entfaltet eine ganz bildliche Qualität – zuweilen möchte man meinen, man sei einer malerischen Erzählung ausgesetzt, in tableauhaften, entrückten Einstellungen festgehalten. Letztlich ist es eine Geschichte über Frauen, die in alten traditionellen Rollen gefangen sind und die Verfehlungen verirrter, kriegsheimkehrender Männer tragen müssen, dabei aber ohnmächtig sind. „Vermiglio“ ist ein Film, der zeigt, dass eindringliches, gefühlsbetontes Kino keiner großen dramatischen Wendepunkte bedarf, keiner Larmoyanz, sondern ganz in der Zurücknahme liegen kann. Es ist ein trostloser Film und ein schöner Film, der schöne Bilder zeigt – die Absenz von Dramatik und die scheinbare Kunstlosigkeit in diesem Alltagsporträt ist Delperos Kunst.