WeißrusslandTraktorfahren gegen Coronavirus

Weißrussland / Traktorfahren gegen Coronavirus
Das Lokalderby der beiden Minsker Mannschaften fand zwar bereits am vorvergangenen Wochenende statt, doch auch danach wurde in Weißrussland weiterhin Fußball vor Publikum gespielt Foto: AFP/Sergei Gapon

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„Sehen Sie das Virus hier irgendwo herumfliegen?“, fragte der weißrussische Staatspräsident Alexander Lukaschenko noch vor ein paar Tagen belustigt auf einer Pressekonferenz, als er auf Corona-Abwehrmaßnahmen angesprochen wurde. „In Europa unterliegen sie einer Psychose“, sagte Lukaschenko. In Weißrussland jedenfalls werde man sich vom Coronavirus nicht verrückt machen lassen, befahl der Autokrat seinen Untertanen. 

Weißrussland ist damit eines der einzigen Länder Europas, in denen Schulen, Kinderkrippen und -gärten noch normal funktionieren. Beim Einkaufen hält kaum einer den angesagten Zwei-Meter-Abstand und Gesichtsmasken sieht man allenfalls bei den im Land niedergelassenen Chinesen. Selbst die weißrussische Fussballliga spielt immer noch vor Publikum, die Stadien sind praktisch ausverkauft. „Energetyk Minsk“ hat sich gerade am FC Slutsk vorbei an die Tabellenspitze gekickt.

Dabei ist es seit ein paar Tagen nicht mehr so, dass Corona-Todesfälle verheimlicht werden. Dies geschah Ende März noch mit dem ersten Todesfall im Gebietsspital der ostweisßrussischen Stadt Witebsk. Inzwischen veröffentlicht das Gesundheitsministerium täglich die offiziellen Zahlen. Am gestrigen Dienstag waren demnach 861 Weißrussen mit dem Coronavirus infiziert, 794 wurden deswegen hospitalisiert und 13 sind daran gestorben. „Bloß keine Panik“, kommentierte gestern indes Swjatoslaw Belgin, der Vize-Oberarzt der Hauptstadt Minsk. Ins gleiche Horn stößt der Autokrat Lukaschenko, der das Land seit 1994 mit eiserner Hand regiert: „Gegen das Coronavirus empfehle ich Wodka, Sauna und Traktorfahren“, sagt Lukaschenko.

Wer sich hingegen Sorgen macht, wie der unabhängige Journalist Sjarhei Satsuk, bringt sich nur in die Bredouille. Satsuk hatte Ende März in einem Kommentar auf der Internetseite ej.by die mangelnden Maßnahmen gegen das Virus vor allem im Gesundheitssystem kritisiert und wurde sofort festgenommen. Der Investigativjournalist, der sich auf Korruption im Gesundheitswesen spezialisiert hat, wurde kurzerhand selbst der Annahme von Bestechungsgeldern angeklagt. Nun drohen ihm bis zu zehn Jahre Arbeitslager.

Ej.by ließ sich davon nicht einschüchtern. Gestern meldete die Internetzeitung, in Weißrussland würden die Gesichtsmasken für die zehn Millionen Einwohner nicht ausreichen. „Dann müssen die Leute ihr Gesicht eben mit einem Schal verhüllen“, entgegnete Lukaschenko und drohte seiner handverlesenen Regierung mit der Absetzung, falls es Ende der Woche irgendwelche Mängel für Mediziner gäbe. „Der April dürfte schwierig werden“, konterte Gesundheitsminister Wladimir Karanik gewohnt einsilbig.

Präsidentenwahl nicht stören

Lukaschenkos wachsende Nervosität hat einen Grund. Spätestens im August will sich der Autokrat nämlich für eine sechste Amtszeit bestätigen lassen. Eine Corona-bedingte Wirtschaftskrise käme diesem Ansinnen gar nicht zupass. Die bessere Alternative scheint ihm deshalb, so zu tun, als sei das Corona-Problem marginal. „Eine Quarantäne kann ich innerhalb eines Tages oder weniger einführen, doch wer hat dann noch etwas zu essen?“, fragte Lukaschenko deshalb auf seiner letzten Pressekonferenz rhetorisch. Dann holte der einstige Kolchos-Direktor zu einer langen Lektion über die Frühlingssaat für Journalisten aus: „Wir müssen die Saat-Arbeitsschritte in den Regionen kontrollieren, das ist die Aufgabe Nummer eins, etwas Wichtigeres gibt es nicht“, schloss der Diktator seinen Vortrag.

Diese Nonchalance im Angesicht der Pandemie ist umso erstaunlicher, als gerade das international wegen seiner Menschenrechtsprobleme isolierte Weißrussland sich seit ein paar Jahren mächtig an China angelehnt hat. Neben chinesischen Krediten und Firmen leben immer mehr Chinesen in Weißrussland. In der Hauptstadt Minsk sind sie bereits im Straßenbild sichtbar, im ganzen Land nehmen zweisprachige Hinweisschilder auf Russisch und Chinesisch zu. Selbst eine Corona-Hilfsgüterlieferung aus Peking hat Minsk inzwischen angenommen. Die Angst vor dem Virus selbst wird dennoch weiterhin als „Psychose“ bezeichnet.

Zumindest einen Gesundheitspolitik-Wechsel erzwingen will inzwischen neben der verfolgten Opposition auch der einfache Bürger Alexander Matejew. Der in Frankreich wohnhafte Weißrusse hat am Wochenende in Witebsk bei der Polizei eine Klage gegen den Staatspräsidenten deponieren lassen. Darin klagt er Lukaschenko des Mordes an seiner Mutter an. Die 68-jährige Lidia Matejewa war Ende März mit einem Rückenleiden im Gebietsspital von Witebsk eingeliefert worden, verstarb dort aber nach der Ansteckung mit dem Coronavirus innerhalb von zwei Tagen. Seine Mutter sei nach der Ansteckung nicht einmal isoliert worden, klagt Matejew, denn der Präsident glaube ja nicht an das Virus, das man mit bloßem Auge nicht sehen könne.