GastbeitragToxische Maskulinität: Was ist das? Und was hilft dagegen?

Gastbeitrag / Toxische Maskulinität: Was ist das? Und was hilft dagegen?
Manche behaupten, dass ein „richtiger Mann“ Fleisch braucht, um zu überleben Foto: AFP/Wang Zhao

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Das Leben und Erleben von Männlichkeit steht immer im Zusammenhang zum Zeitgeist. War es vor Jahren noch „normal“, einer fremden Frau hinterherzupfeifen, so sind diese Männer mittlerweile zur Ausnahme geworden. Was es bedeutet, „ein Mann“ zu sein, wird von Filmen, Werbungen, Bildern und Kultur geprägt und hat dabei Einfluss auf eine oder mehrere Generationen. Dabei wird oft ein eindimensionales, verkorkstes Bild von Männern propagiert, das es zu entgiften gilt.

Die Soziologie beschreibt „toxische (giftige) Männlichkeit“ als eindimensionales Bild von Männlichkeit: Oberhaupt, Ernährer, Jäger. Rational, stark, ohne Angst. Alpha-Tier und sexuell allzeit bereit. Demnach bezeichnet der Begriff ein Selbstbild und das daraus resultierende Verhalten, das auf einem traditionellen, stereotypen und patriarchalen Männerbild basiert. Dabei bedeutet die Bezeichnung „toxisch“ nicht, dass alle Männer generell und immer toxisch sind. Vielmehr beruht es auf übersteigerten und für die ganze Gesellschaft schädlichen Verhaltensweisen und Einstellungen. Bereits in jungen Jahren, und teilweise unbewusst, lernen Jungen, dass sie Gefühle unterdrücken sollten und nur Wut und Aggression zeigen dürfen. Zusammengefasst beschreibt toxische Maskulinität Verhaltensmuster, die als männlich behauptet werden und von Männern bewusst und unbewusst reproduziert werden. Dieses Geschlechterbild hat aber zwangsläufig Konsequenzen.

Warum ist dieses Bild von Maskulinität „toxisch“?

Das Rollenbild ist eine indirekte und implizite Vorgabe, wie ein „Mann“ oder ein „Junge“ sich zu verhalten hat. Bei der toxischen Maskulinität hat dies allerdings negative Konsequenzen für Einzelne und für die Gesellschaft als Ganze. Vom Kindesalter an wird Jungen vermittelt, sie müssten den Selbstanspruch haben, alles unter Kontrolle zu haben und alles alleine schaffen zu müssen. Hinzu kommt der Reflex, vermeidlich „weibliche“ Eigenschaften als Schwäche zu kategorisieren und abzulehnen. Diese Männlichkeit muss immer wieder unter Beweis gestellt werden, zum Beispiel durch Mutproben, Trinkspiele, physisches oder psychologisches Kräftemessen oder Erniedrigungsrituale gegenüber anderen. Durch die toxischen Vorstellungen von Männlichkeit kommt es zur Diskriminierung aller anderen Geschlechter. Dies kann die Form von Misogynie sowie Homo- und Trans*feindlichkeit führen. Allerdings hat dieses Verhalten nicht nur negative Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft, sondern auf Männer selbst. Dabei werden sie Opfer von einer Erziehung, die von Aussagen wie „Jungen weinen nicht“ geprägt ist. Dabei werden das toxische Männerbild und die damit einhergehenden Gewalterfahrungen von Generation zu Generation übertragen und reproduzieren sich somit selbst.

Angst vor Privilegienverlust

Diese destruktive Auffassung von Männlichkeit geht folglich mit der Angst, Privilegien zu verlieren oder nicht als „richtiger Mann“ angesehen zu werden, einher. Es folgt ein äußerst unsicheres Selbstbild, das wenig Raum für Reflexion oder vermeidliche Schwäche zulässt. Die ausgeprägten negativen Auswirkungen auf Männer sind aber noch weitreichender. Es kann zu selbstschädigendem Verhalten führen, wie das Vermeiden von Arztbesuchen oder das Verschweigen von Depressionen. Dieser Aspekt schlägt sich auch in den Krankheits- und Selbstmordstatistiken nieder.

Außerdem sterben Männer früher und sind häufiger Opfer von Gewalttaten. Zuletzt sind nicht wenige Gefangene in ihrer eigenen Auffassung von Männlichkeit. Der Status quo führt zu Isolation und Hilflosigkeit. Zeitgleich verbietet es einem das „Mann-Sein“, eigene Unsicherheit und Schwäche einzugestehen.

Wie kann man toxische Maskulinität abbauen?

Die eine Lösung als Allheilmittel gibt es nicht. Allerdings gibt es diverse und vielseitige Lösungsansätze. Die Vater-Sohn-Beziehung sollte nicht von Distanz geprägt sein, sondern genauso von Liebe und Zuneigung wie die bei Müttern. Freundschaften unter Männern sollten nicht auf Konkurrenzgedanken fundieren, sondern auf Unterstützung ausgerichtet sein. Zudem sollten Modi etabliert werden, in denen Männer Intimität zulassen können und Räume geschafft werden, in denen Männer vorurteilsfrei Gefühle zulassen, zeigen und ausdrücken können und lernen.

Schlussendlich geht es nicht darum, den „Mann“ abzuschaffen, wie es oft in rechten Kreisen propagiert wird. Sondern es geht darum, Männer von ihrem eigenen, destruktiven Selbstbild zu befreien, was sowohl anderen Geschlechtern als auch ihnen selbst zugutekommt. Die zitierte Frage von Grönemeyer lässt sich also doch beantworten: Was zählt, sind nicht stereotype Merkmale, sondern die Haltung, ein guter Mensch sein zu wollen.