Mittwoch5. November 2025

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KonzertToto spielen in der ausverkauften Rockhal: Die Maschine, die reinsten Pop produziert

Konzert / Toto spielen in der ausverkauften Rockhal: Die Maschine, die reinsten Pop produziert
Frontmann Steve Lukather Foto: Editpress/Georges Noesen

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Toto sind zurück in Luxemburg, in der ausverkauften Rockhal reihen sie Hit an Hit, von „Rosanna“ über „Hold the Line“ bis „Africa“. Über eine Band, die sich wie keine Zweite in der Produktion von makellosen Songs und großen Gefühlen versteht.

Es gibt ein berühmtes Zitat über Musikjournalismus, es wird wahlweise Elvis Costello oder Frank Zappa oder irgendwem anders zugeschrieben, und das geht so: „Über Musik zu schreiben, ist wie über Architektur zu tanzen – eine ziemlich dumme Idee“. Zappa ist ein ziemlich guter Kandidat für den Ursprung dieses Bonmots, immerhin ist er historisch verbürgt auch an anderer Stelle nicht zimperlich mit Journalisten umgesprungen („Rockjournalismus bedeutet, dass Leute, die nicht schreiben können, Leute interviewen, die nicht reden können, um Artikel zu liefern für Leute, die nicht lesen können“). Selbstverständlich, so müssen wir an dieser Stelle natürlich schreiben, ist das großer Quatsch, würde ja sonst die gesamte Profession des Kulturkritikers obsolet. Aber Zappa, Costello oder irgendwer anders trafen mit der ganzen Zu-Architektur-tanzen-Sache einen wunden Punkt: die Subjektivität der Musikerfahrung. Nennen wir es der Einfachheit halber: das Soundtrack-of-our-lives-Problem. Man kann es ganz wunderbar untersuchen am lebenden Objekt der Band Toto, die am Montagabend vor ausverkaufter Rockhal spielte.

Wenn Sie bis hierhin gelesen haben, angelockt von den Fotos und der Überschrift und allem, dann haben Sie – da gehe ich jede Wette ein – in ihrem Leben einen Toto-Moment. Weil ich hier schreibe und Sie gerade lesen müssen, teile ich kurz meinen. Sie müssen es mir verzeihen, ich bin ein wenig jünger als die Band, er stammt nicht aus den Achtzigern, sondern aus den Nullerjahren. Eine laue Sommernacht in Berlin-Kreuzberg, die gerade in den Morgen graut. Ein letztes Getränk in einem selbst für Berliner Verhältnisse äußerst ranzigen Kellerclub in einer Seitenstraße des Paul-Lincke-Ufers. Und wie da durch die Kellerfenster die frühmorgendliche Sommersonne strahlt, hämmern wohlbekannte Pianoakkorde aus den Boxen, ein perfekter Moment, Bier in der einen Hand, den besten Freund im anderen Arm, jung und lebenssehnsüchtig und „hold the line, love isn’t always on time“.

Reiner Pop, ungetrübt durch massive Rockstar-Egos

Den Keller gibt es schon lange nicht mehr. Im Ladenlokal darüber befindet sich heute mit ziemlicher Sicherheit ein Korean Barbecue. Die sind beliebt da in der Ecke. Überhaupt nicht schlimm, halt nur alles anders. Und weil das so ist und es zwangsläufig im Leben immer weiter geht, nimmt man sich an einem Montagabend im Februar gerne mal eine kurze Auszeit, geht in die Rockhal nach Belval und schaut sich Toto an. „Dogz of Oz“ heißt die aktuelle Tour, irgendwann gab es auch mal ein neues Album (ist auch schon wieder sieben Jahre her), aber ganz ehrlich: Wer 2025 zu Toto geht, will die alten Hits hören. Und in alten Erinnerungen schwelgen. Die Band liefert: „Child’s Anthem“, der Opener vom ersten Album überhaupt als Eröffnungsstück, gleich dahinter „Carmen“, das flehende „Rosanna“, später „Pamela“ – wie lebens- und liebessehnsüchtig diese Musik ist, verraten ja schon die vielen Frauennamen-Songs –, dann „Angel Don’t Cry“ und selbstverständlich, ganz zum Schluss, der Höhepunkt in der Zugabe: „Hold the Line“ und „Africa“.

In den USA gibt es für diese Art von Musik die herrlich technische und emotionslose Genrebezeichnung AOR, „Adult-oriented rock“. Erwachsenenmusik. Da steckt der süße Schmerz des Erwachsenwerdens ja schon im Wort. Weil ein Song, weil eine Band eben zum Soundtrack-of-our-lives werden kann. Das ist ein mehr als verständlicher Grund, sich Toto anschauen zu gehen. Nur lässt sich das, um nochmal auf das Problem am Anfang zurückzukommen, kulturkritisch schwer erfassen. Zumindest ohne in Triaden über Nostalgiekoma, Retromanie und die Selbstmusealisierung des Pop zu verfallen. Ist alles richtig. Und trotzdem prickeln alle Popnerven im Körper bei den ersten Synthie-Kaskaden von „Africa“.

Der Band wird das alles nicht gerecht. Auch deshalb, weil im ganzen Nostalgiefimmel der Gegenwart beinahe in Vergessenheit geraten ist, wie „edgy“ diese Band auch sein konnte. Zusammen mit Brian Eno haben Toto 1984 den Soundtrack zu David Lynchs „Dune – Der Wüstenplanet“ geschrieben. Kurzer Einschub: Wenn Sie den noch nicht kennen, schauen Sie ihn unbedingt. Wie David Lynch aus den Trümmern von Alejandro Jodorowskys gescheitertem Mammut-Projekt „Dune“ Frank Herberts ideologiekritisches Epos mit heiligem Ernst zu einer Heilandsgeschichte umdeutet, ist ein herrlicher Ritt und eine gesunde Abwechslung zu Denis Villeneuves Überwältigungskino – und wie gesagt, der Soundtrack ist spitze. Weder Eno noch Lynch stehen auch nur annähernd unter Nostalgieverdacht.

Was Toto hingegen schon immer waren, sind Handwerker. Keine grobschlächtigen Maurer, vielmehr feine Stuckateure des Pop, die ihre Songs mit Details ausschmücken, deren Brillanz meist nur dem geübten Auge oder in diesem Fall Ohr auffällt. Auch heute sind Toto auf der Bühne eine makellose Band, die Songs sitzen perfekt. Hier sind keine „genialen Dilettanten“ am Werk, das ist eine andere Abzweigung der Musikgeschichte. Toto waren schon immer die Streber, die Virtuosen. Eine Band von Studio- und Session-Musikern. Man spürt das auch heute noch in jeder kontrapunktisch gezupften Basslinie, in jedem funky getrommelten Beat. Dabei kommt die Band dem Kipppunkt zum drögen Virtuosenzirkus immer mal wieder gefährlich nahe (Gitarren-, Keyboard- und Schlagzeugsolos). Was sie aber rettet, ist die absolute Ich-Unfixiertheit dieser Musik. Reiner Pop, ungetrübt durch massive Rockstar-Egos.

Dass mit Gitarrist und Sänger Steve Lukather nur noch ein einziges Gründungsmitglied auf der Bühne steht, tut deshalb auch herzlich wenig zur Sache. Bei Toto ging es nie darum, ein Starvehikel zu sein oder große Künstlerfiguren in Szene zu setzen. Vielmehr war die Band die effektivste und am saubersten arbeitende Fertigungshalle des Pop, vom Fließband liefen perfekt komponierte Radiohits. Und heute sind Toto eben die beste Nostalgie-Produktionsmaschine auf dem Markt für exakte Replika von großen Gefühlen von gestern. Oder, um es weniger warenförmig und ein bisschen gefühliger auszudrücken: die perfekte Projektionsfläche für ein paar lebens- und liebessehnsüchtige Momente an einem kalt-nassen Februarabend im Jahr 2025.