Dienstag11. November 2025

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Ausstellung Villa Vauban„The things we carry“ von Julie Wagener, oder: Was wir als Gesellschaft tragen

Ausstellung Villa Vauban / „The things we carry“ von Julie Wagener, oder: Was wir als Gesellschaft tragen
Die Künstlerin Julie Wagener stellt ihre gesellschaftskritischen Werke in der Villa Vauban aus Foto: Les 2 Musées de la Ville de Luxembourg/Marion Dessard, 2024

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Mit „The things we carry“ zeigt die Villa Vauban aktuell fünf Bilder der Künstlerin Julie Wagener und konterkariert sie mit Stichen aus der Sammlung. Ein erstaunlicher Dialog.

„Indem sie wichtige Themen der Vergangenheit aufgreift und sie mit dem Menschen des 21. Jahrhunderts verbindet, erforscht Julie Wageners Siebdruck-Serie die Existenzkämpfe, denen sich unsere globalisierte westliche Gesellschaft heute und in den kommenden Jahrzehnten aussetzt“, liest man im Pressecommuniqué zur Ausstellung „The things we carry“ in der Villa Vauban. Keine Frage: Kriege, Verteilungskämpfe und Not sind universell und heute wie vor fünfhundert Jahren präsent. „Nothing is safe sacred or sane“, bringt es die Künstlerin in einem ihrer Siebdrucke auf den Punkt.

Vergessene Sammlung

Julie Wagener wurde von der Villa Vauban eingeladen, auf der Grundlage alter Stiche aus der Sammlung des Hauses neue Werke als Echo auf diese zu schaffen. Daraus entstand ein Dialog, der die Zeitlosigkeit bestimmter Themen unterstreicht. Die Villa Vauban verfügt über eine reiche Sammlung alter Kunst, die sich hauptsächlich auf die niederländische Malerei des Goldenen Zeitalters und die französische Historien- und Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts konzentriert. Gemälde, Skulpturen und Drucke von europäischen Künstlern des 17. bis 19. Jahrhunderts vervollständigen den Bestand.

2020 sollte das Museum einen Bestand an Drucken aus dem 15. bis 20. Jahrhundert erwerben. „Wir wurden von der Familie eines Privatsammlers aus dem Saarland gebeten, eine bedeutende Sammlung von 1.300 Drucken zu erwerben“, erklärte der Direktor der 2 Musées de la Ville de Luxembourg, Guy Thewes. Diese Sammlung war viele Jahre lang in Vergessenheit geraten. Obwohl der Sammler schon in den 1930er Jahren verstarb, wurde sein Haus erst 2019 vollständig geräumt, als dieser Bestand auf dem Dachboden entdeckt wurde, wobei einige Werke aufgearbeitet werden mussten. So konnte die Öffentlichkeit 2023 mit den Ausstellungen „Tiere in der Gravur“ (Les Animaux dans la gravure) und 2024 mit „Le paradis terrestre“ beginnen, diese Sammlung zu entdecken.

Meine Themen stehen ja auch im direkten Zusammenhang. Du kannst ja nicht von Konsum sprechen und die Umwelt weglassen und ohne Politik über das Soziale sprechen.

Aus diesem Fundus hat auch die Künstlerin Julie Wagener eine persönliche Auswahl an Stichen unterschiedlicher Epochen getroffen, die Botschaften vermitteln. Wagener zieht Parallelen zwischen Geschichte und Gegenwart und interpretiert die heutige Gesellschaft, um eine Diskussion anzuregen – über die Systeme und Lebensentwürfe, denen wir folgen.

Was wir tragen

Der Titel der Ausstellung, „The things we carry“, ist angelehnt an das Musikalbum der Straight-Edge-Hardcore-Punk-Band Have Heart. „Aber ich kann darin auch lesen, was uns heute berührt, was uns antreibt, was auf unseren Schultern liegt – denn das ist nicht wenig. Ich sage nicht, dass es mehr ist als in anderen Epochen, aber es ist anders und scheint sehr viel dringlicher. Ich erlebe das ja auch als Bürgerin. Es heißt also nichts anders als: Was liegt auf unseren Schultern und was müssen wir als Gesellschaft tragen?“, so Julie Wagener gegenüber dem Tageblatt.

Julie Wagener in Lasauvage: Hier zeigte sie 2023 die Ausstellung „No church in the wild“
Julie Wagener in Lasauvage: Hier zeigte sie 2023 die Ausstellung „No church in the wild“ Foto: Editpress/Julien Garroy

Die 1990 in Kolumbien geborene Künstlerin, die Bildende Kunst und Illustration in Brüssel studiert und im 1535° Creative Hub ihr Studio hat, wählte Werke aus und schaffte als Antwort darauf eine Serie von fünf Siebdrucken, die im Untergeschoss der Villa Vauban den Stichen bekannter KünstlerInnen wie Albrecht Dürer oder Käthe Kollwitz gegenübergestellt werden.

„Als ich die Stiche, gerade den von Käthe Kollwitz („Not“, 1897), in der Kollektion gesehen habe, habe ich mir gedacht: Okay, das muss mit rein, denn das sind sehr viele soziale Themen. Ich bin auch Fan von Käthe Kollwitz, aber es hat auch gepasst.“

Entweder habe das Thema mit hineingespielt oder der Titel. Ein Werk etwa heißt „Enlèvement d‘Europe“ (Johann Jakob Frey, 1681-1752). Der Mythos habe wenig mit europäischer Politik von heute zu tun, so Wagener. Aber der Titel sei symbolisch zu verstehen, deswegen hänge es neben ihrem Werk über (angeprangerte US-amerikanische Welt-)Politik.

Künstlerischer Prozess

Bei ihrer Arbeitsweise stünden am Anfang sehr kleine Skizzen, auf denen man kaum etwas erkennt, und dann bastele sie sich Stück für Stück zusammen wie ein Puzzle. „Meine Themen stehen ja auch im direkten Zusammenhang. Du kannst ja nicht von Konsum sprechen und die Umwelt weglassen und ohne Politik über das Soziale sprechen“, so Wagener. In der Kunstgeschichte inspirierten sie viele. Zeitgenössisch geht es von der Underground-Illustratorin, die jetzt erst bekannt werde, bis hin zu den Werken von Jean-Luc Labrette. Dieser lege auch Zeichnungen zu Grunde, aber es sei auch ein Patchwork von allem.

„Als ich mit diesen alten Werken konfrontiert wurde, fragte ich mich, wie ich mich ihnen nähern sollte“, so Wagener. „Nachdem ich mich angesichts des Eklektizismus der Themen ein wenig verloren gefühlt hatte, konzentrierte ich mich wieder auf Themen, die mich interessieren. So habe ich Drucke ausgewählt, die sich auf das menschliche Dasein beziehen.“ Die fünf schwarz-weißen Collagen Wageners prangern den westlichen Lebensstil an. „Shit you don’t need“ steht etwa in vier Blöcken über einem Werk von ihr. In einem Einkaufskorb sitzt ein Skelett, das der Fantasie eines Jungen mit Narren-Kragen entspringt. Aus seinen Händen fließen die Zeilen „Property obliges“ (Eigentum verpflichtet) und Dollarscheine. Am rechten Bildrand stürzen menschliche Figuren kopfüber in die Tiefe.

Auf einem weiteren Bild Wageners sieht man am rechten Bildrand die Karikatur eines reichen beleibten Mannes, mit aufgerissenem Mund und Sektgläsern. Auf der Bildebene darüber markieren die Drähte von drei Käfigen Kurven wie Börsenkurse. Auf der unteren Ebene wird ein Teppich von zwei Händen aufgerollt, der die Aufschrift „Tax the rich“ (Besteuert die Reichen) verdeckt. Ein weiteres Bild zeigt schemenhaft die Silhouetten von zwei menschlichen Figuren mit brennenden Köpfen, vor denen die Aufschrift „Nothing is safe sacred or sane“ (Motiv des Plakats und Flyers) prangt. Die fünf Werke aus Wageners Serie sind kapitalismus- und konsumkritisch. Für die Künstlerin sind das zwei Seiten einer Medaille: „Es gibt den klassischen Kapitalismus und den Neo-Kapitalismus. Da gibt es so viele Bereiche, wenn man in die politische Ökonomie einsteigt.“ Das sei schwindelerregend, so Wagener. „Mir geht es aber darum, dass dieses System immer weiter produzieren muss, um überleben zu können. Das ist es im Grunde, was ich fragwürdig finde.“

Wageners Perspektive

Ihre Perspektive entsteht aus einer freien und subjektiven Interpretation von Themen, die mit Politik, Wirtschaft und Religion in Verbindung stehen. „Ich habe darin Resonanzen zu unserer Konsumgesellschaft oder auch zu den Klima- und Umweltkrisen, die wir durchmachen, gefunden“, erklärte die Künstlerin anlässlich der Presse-Besichtigung.

Aus den alten Stichen hat sie bewusst Bildmotive gewählt, die von Hunger und Elend oder der Sintflut handeln. Als Antwort darauf habe sie lithografische Bilder geschaffen, die den Kapitalismus, die politischen Verirrungen in Richtung Rechtsextremismus, die Schwächen unserer Konsumgesellschaft oder auch Fragen im Zusammenhang mit dem „Neokolonialismus“, wie sie selbst sagt, darstellen.

In der Tat treten die Drucke aus dem 15. bis 20. Jahrhundert auf erstaunliche Weise in einen Dialog mit Wageners Siebdruck-Werken. Mögen diese mit ihren recht plakativen Botschaften auch optisch rausfallen, so setzen sie die Stiche erst recht in Szene. Man schaut zweimal hin und kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich Geschichte auf den ersten Blick in Zyklen wiederholt.

Ist es nicht ein Paradox, in Luxemburg-Stadt und dann noch in der betuchten großbürgerlichen Villa Vauban ihr Werk auszustellen? Nein, meint Julie Wagener mit einem breiten Lächeln: „Eben gerade hier!“

Die Ausstellung „The things we carry: A look at what shapes a society – then and now“ ist noch bis zum 16. März 2025 in der „Villa Vauban – Musée d’art de la Ville de Luxembourg“ zu sehen.