Ein Künstler und ein Kapitalist, zwei Außenseiter in ihren Milieus, zwei Varianten des amerikanischen Traumes und der Moderne, und im Zusammenspiel der Ausdruck von deren Dialektik. Es ist eine grundsätzliche, archetypische Geschichte, die der Film „The Brutalist“, die erst dritte Spielfilmregie des hochbegabten Ex-Schauspielers Brady Corbet, erzählt.
Tatsächlich hat man so einen Film schon lange nicht mehr gesehen: ein Film, der in der Tradition des großen klassischen Hollywood steht, den man mit zeitlosen Meisterwerken wie Orson Welles’ „Citizen Kane“ ebenso vergleichen kann, wie mit den hypermodernen Epen von Christopher Nolan – also mit den ganz Großen. Warum? Was macht diesen Film so außergewöhnlich? Womöglich sehnt sich Amerika klammheimlich nach der Zeit des klassischen Hollywood.
„Make America great again“ – das Trump-Motto durchzieht auch die Filmbranche, die nicht anders als der Rest der US-Ökonomie von internationalen Unternehmen, neuen Technologien, Gamern und Streamern herausgefordert wird. Nur einzelne Regiekünstler wie Sofia Coppola, Quentin Tarantino und eben Nolan können hier herausstechen. Und dann kommt da plötzlich Brady Corbet. Er fragt nicht um Erlaubnis, sondern fordert das Bestehende heraus, mit großer Geste.
Zusammenbruch des Mythos „Amerika“
Der Anfang ist buchstäblich umwerfend. Die Stimme einer Frau erzählt in Briefform aus dem Off von einem Verhör. Die Sprache ist ungarisch; der Brief richtet sich an einen „Laszlo“. Plötzlich wechselt die Szenerie: Man sieht viel Braun und Grau, man sieht einen Mann, mehrere Männer, in einem dunklen Raum; Körper und Stimmen drängeln sich, es ist laut, bedrängend, unangenehm, die Kamera taumelt, das Licht kommt von oben und dann erst begreift man: Es ist ein Schiff, dessen Deck sich gerade öffnet und das Erste, was zu sehen ist, ist die auf dem Kopf stehende, dann horizontale Freiheitsstatue. Dieser Film wird von den Vereinigten Staaten handeln, aber er suggeriert zugleich von Anfang an sofort den Zusammenbruch des Mythos „Amerika“.
Der Mann, der hier ankommt, ist jener Laszlo des Briefs, Laszlo Toth, ein modernistischer Architekt, der der Shoah und dem Faschismus entronnen, mit nichts in der Tasche, 1947 aus Europa in die USA kommt. Von nun an versucht er, einen Platz in der US-amerikanischen Gesellschaft zu erringen.
Jahrhundert der Einwanderung
In den ersten Minuten skizziert Brady Corbet in wenigen schnellen Szenen das 20. Jahrhundert als das Jahrhundert der Einwanderer. Er zeigt Ellis Island, provisorische Unterkünfte, streift Prostitution, Ausbeutung und Rassismus, ein Sujet, das in diesem Film bis zum Ende auch eine Rolle spielen wird. Gegliedert ist der Film in eine Ouvertüre, zwei Hauptteile und einen Epilog. Das erinnert an die Unterteilung einer Oper, genauso wie die Zeit, die sich der Film nimmt, und sein epischer Grundton. Auch die mal atonale, mal immersive, symphonisch wirkende Musik, die grundsätzlich etwas zu laut und zu betont eingespielt wird, lässt, zusammen mit dem nie verborgenen Kunstwillen, Corbet als einen Wagnerianer des Kinos erscheinen. Film ist bei ihm wie für Sergej Eisenstein und Orson Welles ein Gesamtkunstwerk aus höchstem Anspruch, dominiert von musikalischem Denken: Kino als Fortsetzung von Musik mit anderen Mitteln.
Der erste Hauptteil, „das Rätsel der Ankunft“, zeigt diesen Laszlo, einen erfolgreichen Bauhaus-Schüler. Durch verschiedene, nur zu ahnende Erlebnisse traumatisiert, beginnt er in den USA zuerst in bitterster Armut. Durch eine glückliche Fügung wird er vom Multimillionär Harrisson Van Buren als begabter Architekt entdeckt und gefördert. Ist es reiner Zufall, dass diese Figur den Namen eines US-Präsidenten trägt? Und dass Laszlo Toth eigentlich der Name jenes geistesgestörten Mannes ist, der 1972 mit Hammerschlägen Michelangelos Pièta schwer beschädigte?
Dem Regisseur ist ein mitreißender Film geglückt, der eine Fülle von Themen anspricht. Er erzählt von der Gegenwart, den USA und Europa, Tatkraft und Intellekt, Geld und Kunst, Hoffnung und Scheitern. Und vom Antisemitismus in Amerika.
Nachdem er sich in dessen Augen bewährt hat, erhält Laszlo von Van Buren den Auftrag seines Lebens, der für den Architekten schnell auch zu einer privaten Obsession wird: Auf einem Hügel nahe Van Burens Landsitz soll er ein großes Kulturzentrum bauen, das auch eine Kapelle enthalten und den Namen von Van Burens Mutter tragen soll – eine Art Mausoleum. Das alles im modernistischen Stil des Brutalismus – so erklärt sich der Titel des Films.
Brutalismus ist die Architektur des Puren, Rohen, der sehr harten Kontraste. Dadurch, dass es weder Tapeten noch Holzverkleidung oder gar Plastik und Metall gibt, wird der darunterliegende Beton offen freigelegt. Das Beton-Mammutwerk, an dem Laszlo irgendwo im Nichts vor Philadelphia fast ein Jahrzehnt lang baut, erinnert im Megalomanen des Projekts und seiner Unfähigkeit zur Vollendung, wie in der Hybris des Erbauers, an das Opernhaus in Werner Herzogs „Fitzcarraldo“.
Die Künstler und die Geldheinis
Im Aufeinandertreffen der denkbar unterschiedlichen Temperamente und Charaktere Toth und Van Buren sind unschwer auch Repräsentanten der Moderne und ihrer Dialektik erkennbar. Laszlo ist letztlich ein Idealist, Van Buren wiederum ist neugierig und offen, aber er kauft sich in Laszlo auch ein menschliches Spielzeug, in dessen Wünsche er sich einschreibt. Beide sind Außenseiter unter ihresgleichen und zumindest hierin Seelenverwandte. In beiden Figuren manifestiert sich aber auch Grundsätzliches: das Verhältnis der Kunst zur Welt.
Adrien Brody und Guy Pearce haben in diesen Rollen herausragende Auftritte. Während Pearce seine Figur an die größten Kapitalistenfiguren Hollywoods, an den Titelhelden in „Citizen Kane“ und an verschiedene Darstellungen von Howard Hughes anlehnt, und eine Person zeigt, die brutale Härte mit echter Freundlichkeit verbindet und eine dritte Seite sorgfältig zu verstecken trachtet, trägt Brody seine Figur aus Roman Polańskis „The Pianist“ in diese Rolle hinein. Ein Verfolgter und ein Künstler. Ein an Körper und Seele Versehrter, in dessen Gesicht sich Lachen und Weinen zu paaren scheinen.
Zum Höhepunkt des zweiten Teils wird ein Zugunglück und die Weise, wie der Regisseur dieses Geschehen lange vorher andeutete. Das eigentlich Unfassbare in diesem Moment ist aber, dass der Film hier gleichzeitig auch die Züge mitdenkt und unzweideutig evoziert, die zehn Jahre zuvor nach Auschwitz fuhren. Einer der meisterlichen Filmmomente, der deutlich macht, dass „The Brutalist“ auch ein Film über die Shoah ist.
Wenn die Erzählfäden zusammenlaufen
Erst im letzten Viertel des Films laufen alle Erzählfäden zusammen, und manches wird nun besser verständlich. Eine Reise zu den Marmorklippen des norditalienischen Carrara und ein sinnliches Abendfest bei den Marmorarbeitern, die früher antifaschistische Partisanen waren, leitet den unerhörtesten Moment des Films ein, der auch das Doppelgesicht des Faschismus bloßlegt.
Diese Gegenwart der Vergangenheit ist der rote Faden, der „The Brutalist“ in seinem Ideen- und Facettenreichtum zusammenhält: Corbets Film rückt einen jüdischen Protagonisten und sein Traumatisiert-sein ins Zentrum. Er zeigt eine Figur, die nicht mehr heimisch werden kann, weil die Vergangenheit nicht vergehen will, sondern anwesend bleibt oder als Verdrängtes zurückkehrt. Anwesend ist diese Vergangenheit auch in der Moderne, deren Repräsentant Laszlo ist. Der Brutalismus erscheint als Reaktion auf den Zivilisationsbruch, als an Buchenwald angelehnte Architektur, als (schönes) Verbrechen aus Beton, als monumentales Mahnmal.
Auch die Vorbilder sind amerikanische Klassiker. Und doch ist „The Brutalist“ am Ende ein Film, der in der albtraumhaften Dunkelheit Europas und des europäischen Zivilisationsbruchs wurzelt. Moderne und Klassik sind auch hier kein Gegensatz, sondern ineinander verschränkt. Corbets Ehrgeiz, ein kultiviertes, geduldiges und scharfsinniges Epos in einer von Ignoranz und Aufmerksamkeitsdefiziten geprägten Zeit ins Kino zu bringen, ist unverkennbar. Dem Regisseur ist ein mitreißender Film geglückt, der eine Fülle von Themen anspricht. Er erzählt von der Gegenwart, den USA und Europa, Tatkraft und Intellekt, Geld und Kunst, Hoffnung und Scheitern. Und vom Antisemitismus in Amerika. In Venedig gab es schon einen Silbernen Löwen als Regiepreis, vor wenigen Wochen drei Golden Globes und jetzt ist „The Brutalist“ zehnmal für den Oscar nominiert.
U.a. im Kinepolis Belval, Kinepolis Kirchberg und im Ciné Utopia
De Maart
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