Montag22. Dezember 2025

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Blutige Katzen und gefährdete Maler„Tessiner Vergeltung“ und „Leben des Federico Baroccis“ im Lesetest

Blutige Katzen und gefährdete Maler / „Tessiner Vergeltung“ und „Leben des Federico Baroccis“ im Lesetest
Giovanni Petro Bellori im Porträt  Quelle: Public Domain

Kunst und Verbrechen – Verbrechen und Kunst: Fiktiv wie im Kriminalroman „Tessiner Vergeltung“ von Sandra Hughes, und real wie im „Leben des Federico Barocci“, beschrieben durch Giovanni Pietro Bellori. Zwei Buchkritiken.

Leben in Gefahr

Spaziert man durch die Gemäldegalerie der Vatikanischen Museen und hat sich vom ersten Schock über die schiere Anzahl von absolut erstklassigen, prachtvollen Bildwerken erholt, fallen einzelne Meisterstücke, wie etwa die sogenannte „Kirschenmadonna“ des Malers Federico Barocci, aus dem durch aufeinanderfolgende Kunstperioden bestimmten Rahmen der Präsentation.

Giovan Pietro Bellori: Das Leben des Federico Barocci. Wallstein Verlag, Göttingen 2025
Giovan Pietro Bellori: Das Leben des Federico Barocci. Wallstein Verlag, Göttingen 2025 Quelle: Wallstein Verlag

Irgendwie scheint es fehlplatziert, müsste eigentlich später, in den Räumlichkeiten, die für Bilder etwa des Hochbarock reserviert sind, aufgehängt werden. Weniger thematisch, als vielmehr in der Auffassung von Malerei überhaupt, unterscheidet sich nicht nur dieses Gemälde von Federico Barocci (1533-1612) von denen seiner Zeitgenossen im Italien des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Diese waren beispielsweise noch sehr erpicht darauf, wallende Kleidungsstücke in ihren Arbeiten so realistisch wie nur irgend möglich wiederzugeben. Dagegen wirken Baroccis Gewänder, besonders deren Faltenwürfe, nur halb ausgeführt, oder wie markiert. Als ob es ihm gereicht hätte, dass die Betrachter „Faltenwurf“ erkennen, wenn sie diesen auf seinen Bildern kühn skizziert und wunderschön koloriert entdecken.

Die Antipoden

Federico Barocci lebte in der gleichen, in mehrerer Hinsicht „golden“ genannten Epoche der italienischen Malerei wie Caravaggio (1571-1610). Beide können als Antipoden betrachtet werden. Während das Leben des letzteren gewalttätig, ruhmvoll und relativ kurz war, wurde Barocci weit über siebzig Jahre alt. Von seinem schnellen Ruhm als einer der talentiertesten und ungewöhnlichsten Maler seiner Zeit blieb nach einer schweren Erkrankung, die der Kunsthistoriker Giovanni Pietro Bellori dem Versuch neidischer Malerkollegen zuschrieb, den missliebigen Konkurrenten durch die Verabreichung von Gift aus dem Weg zu räumen, nur mehr ein bloßer Widerhall übrig.

Barocci zog sich aus Rom in seine Geburtsstadt Urbino zurück und führte, kränklich und aus Angst, weiteren Giftanschlägen zum Opfer zu fallen, das Leben eines Einsiedlers. Das hielt ihn nicht davon ab, bis ins hohe Alter weitere grandiose Gemälde zu erschaffen. Aber durch die Abgeschiedenheit seines Wirkens verstärkte sich nur noch mehr die generelle Ansicht, dass Federico Barocci als Solitär inmitten der ungemein vielgestaltigen Kunst- und Kulturszene der ausgehenden Renaissance und des beginnenden Barock zu gelten habe.

Giovanni Pietro Bellori

1672 veröffentlichte der Sammler, Maler, Archivar und Kunsthistoriker Giovanni Pietro Bellori (1613-1696) mit „Le vite de‘ pittori, scultori et architetti moderni“ die teils miteinander verwobenen Lebensbeschreibungen von zwölf Künstlerpersönlichkeiten, die seines Erachtens wesentlich für den damals aktuellen Stand der bildenden Künste in Italien waren. Unter diesen fällt Federico Barocci als einer der ältesten, bei Drucklegung von Belloris Viten ja bereits seit sechzig Jahren toten Maler auf. Bellori nutzt Baroccis Leben und Werk u.a. für einen kunsttheoretischen Kniff. Denn mit dessen Wirken wird der klassizistische Formenkanon, den Bellori für die Weiterentwicklung der Kunst des Barock maßgeblich erachtet (und in Arbeiten von Nicolas Poussin realisiert sieht), in die Hochzeit des von ihm abschätzig behandelten Manierismus rückdatiert und damit argumentativ aufgewertet. Bedauerlicherweise blieb Barocci nach Ansicht Belloris nur Vorläufer, weil er durch Krankheit geschwächt und, im provinziellen Urbino von den Kunstentwicklungen in Rom, Florenz oder Venedig abgeschnitten, sein Potenzial nicht ausschöpfen konnte.

Leserinnen und Leser, die sich für Belloris Abhandlungen zu Leben und Werk des Malers Federico Barocci interessieren, sei der gerade im Wallstein Verlag erschienene vierte Band einer breit angelegten Wiederveröffentlichung von Belloris Künstler-Viten empfohlen. Flankiert durch Essays von Elisabeth Oy-Marra und Babette Bohn wird der Originaltext in italienischer Sprache einer deutschen Neuübersetzung durch Ulrike Tarnow gegenübergestellt. Zudem sorgt ein umfangreicher Anmerkungsapparat für die notwendige Kontextualisierung, sodass die Publikation auch für kunsthistorische Laien überaus spannend zu lesen ist.


Motiv lustige Killerkatze

Sandra Hughes: Tessiner Vergeltung. Ein Fall für Schopp und Bianchi. Kampa Verlag, Zürich 2024
Sandra Hughes: Tessiner Vergeltung. Ein Fall für Schopp und Bianchi. Kampa Verlag, Zürich 2024

Urplötzlich tauchen sie in Lugano und Umgebung auf: lebensgroße, unheimliche, mit altem Zeitungspapier und Schaumstoffresten befüllte Deko-Puppen. Auf einem Schiff, in einem Fahrradanhänger, im Zug und in einem Rollstuhl, gern inmitten der Touristenströme, die sich am Luganersee tummeln und die scheußlichen Dinger mit ihren Handys abfotografieren. Irgendwann fehlen Hemd und Anzug, die letzte Puppe trägt nur noch „Business-Schuhe aus Lederimitat über den ausgestopften Füßen und auf dem Kopf einen Hut“.

Die allen Puppen gemeine „schwarze Katze aus Stickfilz“ war nun nicht mehr auf ein Jackett, sondern „direkt auf die Brust gebügelt, das blutige Messer über dem Herzen plaziert, sofern der Puppenmann eines besessen hätte“. Commissario Bruno Costa von der Kriminalpolizei in Lugano steht vor einem Rätsel. Denn im Grunde ist das makabre Spektakel an sich ja noch kein Verbrechen, allenfalls eine Ordnungswidrigkeit.

Tierischer Hinweis

Derweil hat die Öffentlichkeit ihren Heidenspaß an den „Mörderpuppen“ mit dem Motiv „lustige Killerkatze“ aus Filz zum Aufbügeln. Dann wird aus der Gaudi blutiger Ernst. Jemand hat den Top-Rechtsanwalt Daniele Bossart beim frühmorgendlichen Jogging umgebracht und besagte Filz-Katze auf das Einschussloch in Bossarts Brust gelegt. Die Polizei gerät in Panik und holt sich Hilfe von außen in Person des Ex-Polizisten Marco Bianchi, der zusammen mit Emma Tschopp, die ebenfalls am Anfang der Corona-Epidemie ihren Dienst bei der Polizei quittierte, eine Detektei gegründet hat.

Die Autorin Sandra Hughes
Die Autorin Sandra Hughes Foto: Sven Schnyder, Quelle: Kampa Verlag

Beide begeben sich auf Spurensuche, wobei die Autorin Sandra Hughes ihre Privatermittler im Roman „Tessiner Vergeltung“ in kurzen, schlaglichtartigen Szenen agieren lässt, die im Zusammenwirken zuweilen den Charakter eines Filmscripts annehmen. Viel Wert legt Hughes auf eine bestimmte Form von Lokalkolorit, wobei die paradiesisch schöne Landschaft des Tessin mit einem dezidiert sozialkritischen Blick kontrastiert wird, der für eine solche Art von Unterhaltungs- bzw. Spannungsliteratur ungewöhnlich ist.

Neben Tschopp und Bianchi spielt Emmas Hund Rubio eine mindestens ebenso große Rolle wie der zu Wutanfällen neigende Commissario Costa. Zu nennen wäre auch noch Kommissar Zufall als Hauptakteur, wenngleich ungenannt: ohne dessen Winkereien mit Zaunpfählen würden nämlich Tschopp und Bianchi bei der Suche nach Daniele Bossarts Mörder noch immer im Dunkeln tappen und hätte Sandra Hughes sich für den vierten Teil ihrer Tessiner Krimireihe kein derart spektakuläres Finale ausdenken können!