Montag10. November 2025

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ForumTechnologieoffene Innovation anstatt Verbote – Die neue EU-Kommission muss couragierte Wege gehen

Forum / Technologieoffene Innovation anstatt Verbote – Die neue EU-Kommission muss couragierte Wege gehen
 Archivfoto: AFP/Nicolas Tucat

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Für viele Bürger besteht eine der Ungereimtheiten der Europäischen Union in der unübersichtlichen Art und Weise, wie die direkten Wahlen für das Europäische Parlament sich auf die Zusammensetzung der Kommission auswirken. 

In jeder Demokratie wird die abtretende Regierung durch Wahlen entweder bestätigt oder abgewählt. Kommt es zu einem Machtwechsel, übergeben die Minister womöglich zähneknirschend, aber dennoch reibungslos ihr Amt an die designierten Nachfolger.  

Zwar dauert es in vielen Ländern öfters etwas länger, bis sich eine mehrheitsfähige Koalition zusammenrauft. Doch kommt danach eine klare Zäsur. Selbst wenn, wie vor einem Jahr in Luxemburg, der vormalige Hausherr im Hôtel de Bourgogne, Xavier Bettel, seinem neuen Partner Luc Frieden den Hausschlüssel überließ. 

Nicht so in der Europäischen Union. Es dauert ein gutes halbes Jahr nach der Wahl, bis eine neue Kommission steht. Wobei ohne erkennbare politische Logik manche Kommissare bleiben, andere ausgewechselt werden. Immerhin waren die Völker Europas Anfang Juni aufgerufen, ihre nationalen Abgeordneten für das Europäische Parlament zu wählen. Recht viele Spitzenkandidaten wetteiferten um den Vorsitz der Kommission.  

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen trat an als Bannerträgerin der Europäischen Volkspartei, eines losen Bündnisses von Christdemokraten und Konservativen. Nicolas Schmit opferte sich für den rissigen Block der Sozialisten und Sozialdemokraten. Liberale, Grüne und andere bezeichneten meist gesichtslose „Spitzen“.  

Illusion „Spitzenkandidaten“

Der Vertrag von Lissabon hielt fest, der Europäische Rat würde dem neugewählten Europäischen Parlament mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vorschlagen – „dabei berücksichtigt er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament“.  

Dieser unverbindliche Halbsatz wurde vom damaligen Vorsitzenden der sozialistischen Fraktion und späteren EP-Präsidenten Martin Schulz so gedeutet, dass der Rat den Gewinner der Europawahl zum Präsidenten bestimmen „musste“. Damit war der in keinem Vertragstext erwähnte „Spitzenkandidat“ geboren. 

Es gelang Schulz, sein Konzept durchzusetzen. Bei der Europawahl von 2014 kandidierte er als „Spitzenkandidat“ für die Europäischen Sozialisten sowie für die deutsche SPD. Zumindest in Deutschland hatte Schulz so viel Erfolg, dass die damalige Kanzlerin Angela Merkel ebenfalls für einen EVP-Spitzenkandidaten plädierte. In einer Kampfabstimmung auf dem EVP-Kongress in Dublin obsiegte Jean-Claude Juncker gegen Michel Barnier. Doch der Spitzenkandidat der EVP kandidierte nicht auf der CSV-Liste für die EP-Wahlen. 

Dennoch hatte die EVP nach den Europawahlen die Nase leicht vorn. Es war wiederum Schulz, der dafür trommelte, dass Juncker als siegreicher Spitzenkandidat zum Kommissionspräsidenten ausgerufen wurde. Was erfolgte. Juncker revanchierte sich bei Schulz, indem er diesem zu einem zweiten Mandat als Präsident des EP verhalf. 

Stilbruch

Fünf Jahre später benannten wiederum alle politischen Gruppierungen „Spitzenkandidaten“. Doch keiner schaffte es zur Präsidentschaft der Kommission. Der Europäische Rat hatte plötzlich eine andere Lektüre des Lissabon-Vertrags. Unter dem Impuls von Präsident Emmanuel Macron entschied der Rat sich für die ungesetzte Ursula von der Leyen. Um dem Zeitgeist entsprechend zum ersten Mal eine Frau in das hohe Amt zu hieven. Letztere hatte in den Augen der Franzosen den Vorteil, neben Deutsch und Englisch auch Französisch zu sprechen. Ein „Must“ für die „Grande Nation“! 

Nunmehr trat Frau von der Leyen zum 1. Dezember ihre zweite Amtszeit als Präsidentin der Kommission an. Ohne jemals eine Wahl für das Europäische Parlament bestanden zu haben. Auch die Mehrheit der anderen Kommissare kam ohne „demokratische Ölung“ an die Macht. Nominiert von ihren jeweiligen Regierungen, waren die 26 meistens unbekannten Größen für Präsidentin von der Leyen eine Art „blind date“, mit denen die Präsidentin die neue Exekutive der EU zu bilden hatte. Da es nicht so viele Kompetenzbereiche wie Kommissare gibt, erhielten etliche Mitglieder einen „Titel ohne Mittel“.  

Die Europäische Kommission ist nicht die Regierung Europas. Sie besitzt zwar ausgedehnte Vollmachten, vom Außenhandel über den Binnenmarkt bis hin zur Wettbewerbspolitik. Doch in vielen anderen Politik-Bereichen übt die Kommission bloß eine orientierende Funktion aus. Über Krieg und Frieden, Fiskalität, Erziehung, Soziales oder Gesundheit entscheidet jeder Mitgliedsstaat für sich. 

Es sind auch die 27 Staaten der Union, die der Kommission die Mittel für ihre Arbeit bewilligen. Theoretisch hat das Europäische Parlament ein Mitbestimmungsrecht. In der Praxis legt der Rat der Finanz- und Wirtschaftsminister die – engen – Eckpunkte für den europäischen Haushalt fest. Dem Parlament gelingt es meistens nur, den gestrengen Finanzministern minimale Verschiebungen innerhalb der Budget-Posten abzuringen. Jedenfalls beschränken sich die europäischen Mittel seit Jahren auf einen Prozentpunkt des Sozialprodukts der 27 Staaten. Kein nationales Budget, kein Budget eines Bundesstaates verfügt über so wenig Mittel. Um es despektierlich zu sagen: Die Kommission ist ein Wasserkopf ohne allzu viel Wasser. 

Die EU ist nicht zu ersetzen, aber …

Ich will nicht missverstanden werden. Es gibt für die Staaten Europas keine Alternative zu Europäischen Union. Das schwindende Gewicht Europas in der Weltpolitik zählt nur noch durch den europäischen Verbund. Der Binnenmarkt der EU ist weiterhin der kaufkräftigste und attraktivste Absatzmarkt für alle Export-Nationen der Welt – die deshalb europäische Normen und Vorschriften für ihre Exporte akzeptieren, sich dennoch nicht von den moralisierenden Europäern ihre nationalen Politiken diktieren lassen. 

Es ist grobe Selbstüberschätzung der EU, wenn sie durch Lieferketten-Gesetze oder ESG-Bürokratie den Rest der Welt zu europäischen Umwelt- oder Sozialstandards erziehen will. Wie ist zu belegen, dass z.B. Palmöl, übrigens ein Naturprodukt wie Oliven- oder Rapsöl, nur aus vor 2020 gerodeten Wäldern stammt? Selbst wenn eine aufwendige und kostspielige Zertifizierung den angestrebten verbesserten Umwelt-Einfluss garantieren könnte, hindert nichts und niemand Indonesien, Malaysia, Brasilien oder Kongo daran, weiterhin Rodungen in Urwäldern zuzulassen. Solche Flächen sind nur für die EU „illegal“. Darauf erzeugte Produkte werden einfach anderswo exportiert. Nach China, Indien, selbst in die USA.

Kein Geringerer als Brasiliens Präsident Lula wirft den Europäern „neokolonialistische Ziele“ und „grünen Protektionismus“ vor. Indiens Außenminister ist noch deutlicher: „Es kann doch nicht sein, dass die Gesamtheit der Welt durch die Initiativen und Praktiken des euro-atlantischen Kulturkreises bestimmt wird!“  

Verbote verbieten

Laut der FAZ erließ die EU in den letzten fünf Jahren rund 13.000 Direktiven, Reglements und andere Verordnungen mit Gesetzeskraft. Im gleichen Zeitraum begnügten sich die USA mit 3.000 Verordnungen. Besonders der angebliche „Green New Deal“ geriet zu einer Orgie an Verboten und Auflagen, die keine messbaren Auswirkungen auf die globale Umwelt und das Weltklima haben, aber Europas Wirtschaft abwürgen. 

Es ist zu hoffen, dass die neue Kommission gerade beim „Grünen Paket“ Abstriche macht. Statt Verbote, wie das Aus für Verbrennungsmotoren bis 2035, sollten Technologie-offene Anreize geschaffen werden, die zu einem Wettbewerb der Innovationen führen. Die „Wald“-Direktive wurde schon um ein Jahr ausgesetzt. Das Renaturierungsgesetz fand zwar eine knappe Mehrheit im Rat. Doch der neue Agrarkommissar Christophe Hansen, der sich vor den Wahlen sehr kritisch zu diesem bürokratischen Monster äußerte, hat nunmehr die Möglichkeit, grüne Wunschträume auszugrenzen. 

Mit der Unterzeichnung des seit 25 Jahren verhandelten Freihandels-Abkommens mit den Mercosur-Staaten zeigte Präsidentin von der Leyen Mut. Sie setzte sich durch gegen die protektionistischen Franzosen und andere Polen. Die großherzogliche Regierung zögert noch mit ihrer Zustimmung. Premier Luc Frieden müsste als ehemaliger Präsident der Handelskammer wissen, dass ein Kleinstaat wie Luxemburg nur durch offene Märkte zu Wohlstand kam. 

Der Draghi-Bericht belegt, dass die EU gegenüber den USA und China immer mehr abfällt. Nicht Protektionismus wird die Europäer retten, auch keine neuen Kontrollen an den Binnengrenzen des Schengen-Raums. Nicht Einigeln, Aufbruchsstimmung ist gefordert. 

Dazu gehört das Anstreben einer kleineren, schlagkräftigeren Kommission, wie eigentlich im Nizza-Vertrag vorgesehen. Es stehen so viele Beitrittskandidaten an, dass die Kommission riskiert, auf 35 und mehr Kommissare anzuschwellen. Ein Unding. Auch der Krampf mit den „Spitzenkandidaten“ gehört in die Schublade der Geschichte. Die Kommission muss aufbauen können auf eine Koalition aller proeuropäischen und demokratischen Kräfte. Wobei Kompetenz höher zu bewerten ist als Parteizugehörigkeit oder Genderwahn. Nur so kann die Spezifizität der politischen Architektur der Union voll zum Tragen kommen. 

Robert Goebbels ist ein ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter
Robert Goebbels ist ein ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter Foto: Editpress-Archiv/Didier Sylvestre
fraulein smilla
12. Dezember 2024 - 8.01

Eine Schnapsidee , das mit den Spitzenkandidaten . Dass Von der Leyen 2019 Kommissionspraesidentin wurde ,war einer Mauschelei zwischen Merkel und Macron geschuldet . Von der Leyen nach Bruessel ,Lagarde nach Frankfurt .