20. November 2025 - 16.00 Uhr
Klimakrise, Barock und Krieg„Teatro di Verzura“ und „Fadhila“: Zwei Höhepunkte der Theaterwoche im Überblick
„Teatro di Verzura“ im Escher Theater
Stéphane Ghislain Roussel und Lise Duclaux verbinden im Escher Theater Umweltaktivismus mit Barock: „Teatro di Verzura“ ist ein musikalischer Naturspaziergang, der berührt. Eindrücke der Generalprobe.
„Was wäre, wenn die Oper uns in einen üppigen Garten entführen würde, bevölkert von unsichtbaren Wesen?“ Die Antwort liefern Stéphane Ghislain Roussel (Konzept, Regie) und Lise Duclaux (Visuelles, Aphorismen, Performance, Kostümbild), zusammen mit dem Ensemble vocal Canto LX und Musiker*innen– mittels moderner Barockoper.
Natur im Barock

„[Le baroque] est un temps clair-obscur, où l’opéra émerge comme un nouvel art dédié à la voix humaine, dont le chant exprime les émotions exacerbées (…)“, so Roussel, ausgebildeter Musikwissenschaftler und Violinist, in der Erläuterung zum Stück. Es sei eine Epoche, in der die Wissenschaft sich aufdrängte und Philosophen wie René Descartes den Menschen als Meister und Besitzer der Natur bestätigten. In der Barockoper erscheine die Natur im Dienste der Menschheit. „En contrepoint (…) de cette esthétique et de ces affects anthropocentrés, les interventions plastiques et scéniques de l’artiste contemporaine Lise Duclaux déjouent le spectaculaire dans ‚Teatro di Verzura’ pour mettre en relief le sensible, à travers une attention portée aux êtres invisibles.“
Wer sich nun ein naturnahes Bühnenbild vorstellt, irrt. Schlicht, kahl, modern – so sieht der Garten von Roussel, Duclaux und der Dramaturgin Isabelle Dumont aus. Wärme vermitteln einzig Véronique Nosbaum (Soprano), Lilith Verhelst (Soprano), Jonathan de Ceuster (Countertenor), Peter de Laurentiis (Tenor), Tom Van Bogaert (Bass) mit ihrem Gesang. Allen voran Nosbaum, die in ihren Soli die Zerbrechlichkeit der Natur spür- und hörbar macht. Überzeugend ist auch das Zusammenspiel von Karl Nyhlin (Theorbe), Flora Papadopoulos (Harfe), Joshua Cheatham (Gambe), Maite Larburu Garmendia (1. Violine) und Noyuri Hazama (2. Violine).
Musikalisch beginnt das Stück mit Giulio Caccinis Arie „Al fonte al prato“ (1614), später unterbrechen die Musizierenden ihr Spiel mehrmals, tragen Phrasen vor wie „Si la terre est maltraitée, elle cause un déluge“. Ein szenischer Bruch, der durch die statische Darbietung nur bedingt ankommt. Genauso wie die Bühnenpräsenz von Lise Duclaux. Ihr Spaziergang durch die Musizierenden lenkt ab, irritiert. Ihre Rolle ist unklar. Ist sie eine Wanderin? Gärtnerin? Oder gar eine Klimaaktivistin? Warum ergreift sie selbst das Wort? Roussel erklärt: Duclaux soll als Projektionsfläche dienen, als Vermittlerin zwischen den unsichtbaren Wesen und dem Publikum. „Es steht jedem offen, die Figur anders auszulegen“, betont er.

Liebeshymne an das Ökosystem
Ihre Aphorismen sind poetisch und aufschlussreich zugleich. Zunächst schlägt Duclaux versöhnliche Töne an („Tout va bien“, „Le chant des oiseaux nous charme“), dann macht sie klare Ansagen. „Nous ne sommes que des fragments terrestres/Le réel est en colère/Il ne faut pas contrarier l’eau/Jamais le climat se laisse attendrir.“ Die Worte nehmen immer mehr Raum ein, erzeugen eine bedrückende Stimmung. Das Licht von Jean-Pierre Michel untermalt das und bleibt dabei nah an den Lichtspielen der Natur: Es blitzt, der Sonnenschein fällt durch wehende Blätter. Dazu passen die Kostüme von Chevalier Masson, Isabelle Lhoas und Duclaux. Nach und nach schälen sich die Singenden aus ihnen heraus, wie Hülsenfrüchte aus der eigenen Haut. Sie legen die detailreichen Muster, gezeichnet von Duclaux, frei.
Selbst wer nichts von Barock versteht, erkennt: Roussel und sein Team tragen eine Liebeshymne an unser Ökosystem vor, das durch den Mensch in Gefahr gerät. Ohne erhobenen Zeigefinger, aber mit Pathos. So treten alle Beteiligten am Ende bis zum Bühnenrand vor und fragen zu Barbara Strozzis Arie „Che si puo fare?“ (1664), in die Texte von Duclaux eingewoben sind: Was können wir als Gesellschaft tun, um die Natur zu erhalten? Und mit der letzten Note fällt das Banner: „La terre est un collectif.“
(Isabel Spigarelli)
20./21.11 um 20 Uhr im Escher Theater, mehr Infos und Karten: theatre.esch.lu.
Afrikas Mutter Courage
Der aus Burkina Faso stammende Dramatiker, Regisseur und Schauspieler Aristide Tarnagda, seit 2016 Direktor des Festivals „Les Récréatrales“ in Ouagadougou, hat einst in seiner Heimatstadt Soziologie studiert. In seinen Werken befasst er sich mit gesellschaftlichen und politischen Fragen seiner Heimat und verbindet diese mit seiner poetischen Bühnensprache. In einem Stück etwa ist er dem Revolutionär und Politiker Thomas Sankara auf die Spur gegangen, in einer Inszenierung lieferte er die Bühnenversion von Mohamed Mbougar Sarrs „Terre ceinte“. Und in einer anderen, mit Jugendlichen und Geflüchteten, erarbeitete er eine neue Fassung von Shakespeares „Romeo und Julia“.
In „Fadhila“ setzt er sich nicht zuletzt mit dem antiken griechischen Theater auseinander. Ein mit Sand und Kies bedeckter Boden, ein paar Felsen und ein schwarzer Hintergrund. Die Szenerie ist hell beleuchtet. Fadhila, eine Frau im traditionellen afrikanischen Kostüm, unterhält sich mit einem ihrer beiden Söhne. „Die Welt verändert sich selbst, nicht wahr?“, sagt sie. Wieder einmal haben Rebellen das Regime in ihrem Land gestürzt. Ihr Mann ist längst verschwunden. Auch die Söhne sind „ihr aus der Hand geglitten“. Der älteste Sohn Abdou hat sich dem islamischen Fundamentalismus und einer Miliz angeschlossen, die in den Dörfern Halbwüchsige als Kindersoldaten rekrutiert. Abdou wird von seiner Wut gegenüber seinem Vater erfasst, der nach Europa gegangen ist. Nachdem sie ihren Mann und ihren ältesten Sohn verloren hat, klammert sich Fadhila in der Erinnerung an ihren jüngsten Sohn Aziz, der sich freiwillig bei einer mit der Armee verbundenen Gruppe meldet.
Ödipus und Antigone
Zurück bleibt Fadhila, allein in der Wüste, wie Antigone, umgeben von ein paar Felsen wie Grabsteine. Ihre einzige Begleiterin ist die lebhafte Nachbarin Madame Gombo frais, eine Okra-Verkäuferin. Auch sie wartet auf die Rückkehr ihres Sohnes, der nach Europa gegangen ist. Sie bereitet ein Essen zu. Ihre wichtigste Waffe im Widerstand sind Essen und Lachen. Als starke Figur trotzt sie der Miliz, die sie aus dem Dorf vertreiben will. Sie geht so weit, sich wie Ödipus im griechischen Mythos die Augen auszustechen, um die Milizionäre in die Flucht zu schlagen. In einer westafrikanischen Familie stehen die Frauen oft im Mittelpunkt und müssen alle Aufgaben übernehmen, wie Fadhila oder ihre Nachbarin Madame Gombo, die Okra-Verkäuferin. „Fadhila“ ist eine afrikanische Version von Brechts „Mutter Courage“, eine Hommage an die Mütter in einem aus den Fugen geratenen, gebeutelten Land.
Sowohl die Lebenden als auch die Toten ergreifen das Wort, um die Wunden eines Landes zu heilen, das von Hass, Elend und Orientierungslosigkeit heimgesucht wurde. Eine Stimme rezitiert aus dem Off einige Worte oder singt. Musikalisch getragen ist die Inszenierung von der Klangwelt Joaquim Pavys. Der Autor hat eine weitere Figur geschaffen, gespielt von Romane Ponty-Bésanger, die sich in den Frauenchor einfügt, der von Fadhila und Madame Gombo frais gebildet wird. Mit „Fadhila“ erweist sich Aristide Tarnagda als Tragödiendichter in Anlehnung an die griechische Tragödie, die er in einer konkreten Realität verankert. Er verweist auf die alte Kolonialmacht Frankreich, europäische, amerikanische und chinesische Multis sowie die russische Einflussnahme in der Sahelzone, die einen ganzen Kontinent immer noch auf ein Rohstoffreservoir reduzieren. Die Stärke des Stücks liegt in der präzisen und symbolischen Sprache von Aristide Tarnagda, der einmal mehr seine Hauptthemen Exil und Entwurzelung, aber auch die Stellung der Frau behandelt. Und die Inszenierung lebt von dem ausdrucksstarken Spiel der Darsteller. Er zeigt einmal mehr das Theater, wie er einmal sagte, nicht als Ort des Hinterfragens, sondern als einen Ort, um Fragen zu stellen. Ob in Burkina Faso, das in dem Stück nicht explizit genannt wird, oder in irgendeinem anderen Land – zwischen Tradition und Moderne, Hoffnung und Enttäuschung.
De Maart
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