15. Dezember 2025 - 14.25 Uhr
Antisemitischer Anschlag in AustralienStumme Zeugnisse der Panik: Der Tag nach dem Terror in Bondi
Dort, wo an gewöhnlichen Tagen Surfer ihre Bretter schultern, Familien ihre Decken ausbreiten und Jogger barfuß durch den Sand laufen, herrscht an diesem Montagnachmittag eine ungewohnte Stille. Das Meer glitzert unter der Sonne, die immer wieder mal zwischen den Wolken durchsticht, eine frische Brise weht vom Pazifik herüber. Die Kulisse täuscht: Nichts ist wie sonst.
Rot-weißes Absperrband durchzieht den Park hinter dem Strand, dahinter Polizeifahrzeuge, schwer bewaffnete Beamte, Rettungswagen. Der angrenzende Park, in dem am Sonntagabend eine Chanukka-Feier stattfand, ist vollständig abgeriegelt. Mindestens 16 Menschen starben hier bei einem Terroranschlag – mitten im australischen Hochsommer, eineinhalb Wochen vor Weihnachten.
Seit Sonnenaufgang kehren die ersten Anwohner zurück. Einige joggen schweigend an der Wasserkante entlang, andere verharren, den Blick auf den Sand gerichtet. Zurückgeblieben sind stumme Zeugnisse der Panik: Taschen, Handtücher, Wasserflaschen, einzelne Schuhe. Gegenstände, die man nur dann zurücklässt, wenn Sekunden über Leben und Tod entscheiden. Der Wind verweht allmählich die Spuren, der Sand beginnt zu bedecken, was geschehen ist.
Zwischen Präsenz und Verwundbarkeit
Premierminister Anthony Albanese erschien am Morgen vor Ort. Er legte Blumen nieder, sprach von einer „absoluten Gräueltat“ und kündigte den Einsatz aller verfügbaren Ressourcen an. Allein in Bondi waren am Montag 328 Polizisten im Einsatz. Landesweit wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft, insbesondere an Gotteshäusern und Einrichtungen der jüdischen Gemeinde. Australien zeigt Präsenz – und zugleich eine neue Verwundbarkeit.
Bondi Beach ist weit mehr als ein Küstenabschnitt. Er verkörpert Freiheit, Lebensfreude und Unbeschwertheit – Werte, die Australien gerne für sich in Anspruch nimmt. An diesem Tag steht der Ort für Trauer und Entsetzen. Und für die schmerzhafte Einsicht, dass Terror selbst vor einem der berühmtesten Strände der Welt nicht haltmacht.
Die Nähe des Schreckens
Am Montagabend liegt Bondi beinahe menschenleer da. Kein Surfer kämpft um die letzte Welle nach Feierabend, wo sonst Dutzende im Wasser liegen. Vereinzelt gehen Spaziergänger über die Promenade, sie sprechen leise oder schweigen ganz. Es wirkt, als wollten sie dem Ort durch ihre bloße Anwesenheit seine Normalität zurückgeben.
Eine deutsche Einwanderin teilt in den sozialen Medien ihre Erschütterung: „Anfang des Jahres nahm ich an einer Einbürgerungszeremonie im Bondi Pavilion teil. Es war ein Tag voller Hoffnung, Stolz und einem starken Gemeinschaftsgefühl“, schrieb sie. Der gestrige gewaltsame Anschlag stehe nun in krassem Gegensatz zu dieser Erinnerung. Dieser Kontrast – zwischen dem Versprechen eines Neuanfangs und der Brutalität der Tat – ist es, der vielen hier den Atem nimmt.
„Surreale“ Stimmung
In Gesprächen zeigt sich, wie nah das Geschehen gerückt ist. Beinahe jeder kennt jemanden, der am Sonntag hier war. Eine Mutter berichtet, ihr Sohn habe fliehen müssen. Eine andere erzählt, ihre Tochter habe zu diesem Zeitpunkt in Bondi gearbeitet und sei drei Stunden lang im Lockdown gewesen. Als sie sie am Abend abholte, sei der Strand „surreal“ gewesen: Blaulicht, Sirenen, bewaffnete Polizisten – ein Ort, kaum wiederzuerkennen.
Bondi werde sich erholen, sagen viele hier. Der Strand werde wieder voll sein, die Surfer zurückkehren, das Lachen der Kinder den Sand füllen. Vielleicht. Doch an diesem Tag liegt über allem eine Erkenntnis, die sich nicht so leicht verwehen lässt: Selbst die offensten, sonnigsten Orte sind nicht mehr unantastbar. Und Sicherheit, so selbstverständlich sie hier lange schien, ist plötzlich zu etwas Zerbrechlichem geworden.
De Maart
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