Rote Nebelkerzen über der Sorbonne. Vermummte Studierende laufen über die Dächer, wo sie ein vier Meter langes Transparent festknoten. Auf dem Universitätsgebäude prangen nun die Worte: „Sorbonne occupée. Ni Macron, ni Le Pen et leur monde“. Die Besetzer werden auf der Place de Sorbonne bejubelt. Über hundert Studierende sind gekommen, um die Sorbonne zu stürmen. Eine Reihe Polizisten versperren ihnen jedoch den Eingang.
Raphaël, ein zwanzigjähriger Literaturstudent, ist sichtlich nervös. Mit einem Schlafsack unterm Arm geklemmt, dreht er sich eine Zigarette. Ziel sei es, die Besetzung so lange aufrechtzuerhalten wie möglich, erzählt er mit einem Filter zwischen den Lippen. Am vergangenen Sonntag hat er Philippe Poutou gewählt. Mit 0,8 Prozentpunkte hatte der trotzkistische Fabrikarbeiter jedoch nie reale Chancen auf die zweite Wahlrunde.
Literaturstudent Raphaël zögert daher noch, was er in der Stichwahl am 24. April machen will. „Ich werde entweder einen weißen Wahlzettel abgeben oder gar nicht erst [zum Wahlbüro] hingehen“, witzelt der Zwanzigjährige. Ihm zufolge sind Präsident Emmanuel Macron und Marine Le Pen Teil der gleichen „neoliberalen Welt“, welche er fundamental ablehne.
Andere Studierende sehen die politische Ausrichtung beider Amtsanwärter differenzierter. „Selbstverständlich gibt es einen großen Unterschied! Marine Le Pen stammt aus einer Partei, die von Nazis gegründet wurde und immer noch aus Nazis besteht“, lacht Carine. Trotzdem will die 25-jährige Politikwissenschaft-Studentin selbst nicht für Emmanuel Macron wählen. Daher haben sich manche linke Wähler eine neue Taktik ausgedacht, indem sie stellvertretend für einen Ausländer ohne Wahlberechtigung wählen gehen. Und wenn diese Person Marine Le Pen wählt? „Ich kann ja selbst aussuchen, für wen ich stellvertretend wählen gehe“, antwortet Carine. Kann man so als linker Wähler Emmanuel Macron wählen, ohne sich dabei als „Neoliberaler“ zu fühlen?
Die Aufforderungen der Studierenden mangeln an Kohärenz. Dennoch wird deutlich, dass das Prinzip der repräsentativen Demokratie vielen hier nicht einleuchtet. Die Demonstranten fühlen sich weder von Marine Le Pen noch von Emmanuel Macron vertreten, da beide zum Beispiel die Studiengebühren anheben wollen.
Die Mehrheit der Studierenden haben am 10. April für Jean-Luc Mélenchon gestimmt. Der Kandidat der links-populistischen France Insoumise hat in der ersten Wahlrunde bei den 18 bis 34-Jährigen zehn Prozentpunkte Vorsprung zu Emmanuel Macron.
Über 25 Prozent der unter 35-Jährigen wählten Le Pen
Obwohl bei der letzten Wahl 2017 Emmanuel Macron noch durchschnittlich in allen Altersgruppen etwa gleich gut abschnitt, so punktet er heute vor allem bei Rentnern. Der jüngste der zwölf Amtsanwärter ist bei der ältesten Altersgruppe am beliebtesten und der älteste Kandidat bei der jüngsten. Dazwischen, bei den 35 bis 59-jährigen Wähler, ist Marine Le Pen wahl-stärkste geworden. Manche Studierende sind daher der Meinung, Emmanuel Macron würde seine umstrittene Rentenreform nur aus strategischen Gründen umsetzen wollen. Der Literaturstudent Raphaël schimpft: „Ohne die Rentner wäre Jean-Luc Mélenchon jetzt in der Stichwahl!“
Doch sind weitaus nicht alle junge Wähler politisch nach links gerichtet. Mehr als jeder vierte Franzose unter 35 Jahren hat am vergangenen Sonntag für Marine Le Pen gestimmt. Die politischen Meinungsverschiedenheiten zwischen rechten und linken Studierenden werden auch physisch auf den Straßen ausgetragen. Mitglieder der rechten Studentengewerkschaft „La Cocarde“ haben am Donnerstag ein Teil der Barrikaden vor dem Eingang von Sciences Po weggerissen mit der Aufforderung, die „Linksextremen“ sollten ihre „Niederlage“ akzeptieren. So lautete ihre offizielle Mitteilung per Twitter.
Abgesehen vom Wahlergebnis am 24. April zeigen sich jetzt schon viele Politologen über die politische Situation im Land beunruhigt. Jérôme Jaffré, Sciences Po-Professor, hob am Donnerstag im Radiosender France Inter hervor, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Nachkriegszeit die Mehrheit der Franzosen verfassungsfeindliche Kandidaten gewählt hat. Bei jungen Wählern steigt der Anteil erheblich.
De Maart
"Über 25 Prozent der unter 35-Jährigen wählten Le Pen" Das ist das Problem mit der Demokratie.Wählen ist eine ernste Sache.Die Blauäugigkeit der Studenten in allen Ehren,aber informiert sollte man doch schon sein bevor man Feuer legt. Wer Le Pen ist braucht man nicht mehr zu erwähnen. Aber Macron dürfte doch der energischste Präsident der letzten Dekaden sein. Man muss nicht mit allem einverstanden sein,aber die Pest wählen um der Grippe Herr zu werden ist nicht die Lösung. Also wieder die Pflastersteine raus und gegen die Autos und Schaufenster geschleudert? Warum schicken wir unsere Kinder zur Schule fragt man sich. Le Pen wird die "Aussichtslosigkeit" und die "Zukunftsangst" der Jugend nicht beseitigen,eher das Gegenteil wird der Fall sein.Wenn nach dem Frexit und der Einführung des Franc die Grande Nation zusammenbricht wie ein Kartenhaus. Also dann lieber Fieber als tot.
Wollen die Studenten lieber die Faschistin? Die sollten doch vielleicht einmal ein Buch über europäische Geschichte zur Hand nehmen.