KinoStreaming vs. Blu-ray und DVD: ein kleines Plädoyer für physische Heimmedien

Kino / Streaming vs. Blu-ray und DVD: ein kleines Plädoyer für physische Heimmedien
Der physische Datenspeicher für den Film ist heute immer noch das Medium, das es erlaubt, Filme zu vermitteln und zu kuratieren Foto: AFP

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Oft wurde das postkinematografische Zeitalter ausgerufen mit dem Siegeszug des Digitalen, in dem der sogenannte Streaming-Turn ein Faktor ist – häufig auf das mediale Konkurrenzverhältnis zwischen Kino und Streaming-Plattform fokussiert, wurde womöglich aber der wahre Verlierer in diesen medialen Umbruchsdiskussionen gerne übersehen: der Heimkinomarkt an physischen Medien, die DVD oder noch die Blu-ray. Häufig nur noch als ein Ausdruck von Sammlerleidenschaft verstanden, wird die überaus wertvolle kuratorische Arbeit am Film, die mit physischen Datenträgern einhergeht, übersehen.

Im digitalen Zeitalter werden Filme längst nicht mehr nur im Kino gesehen. DVDs, Blu-rays oder VoD-Plattformen bieten die neuesten Kinofilme überaus zeitnah zum Kinostart auf deren jeweiligen Auswertungswegen an. Es ist aber heute im Besonderen die Konjunktur der Streamingdienste, die zu einer immensen Vervielfachung der audiovisuellen Produktion geführt hat. Filme und Serien stehen sich nicht mehr als hoch- und minderwertige Konkurrenzprodukte gegenüber, sondern als gleichberechtigte Ausdrucksformen. Das daraus resultierende, stetig wachsende Angebot ist längst nicht mehr überschaubar. Die Fülle an Inhalten, die heute mit dem Aufkommen unzähliger Streamingdienste zum Abruf bereitstehen, ist zu groß, um noch umfangreich sichtbar zu sein. Großes Leinwandbild, immersiver Surroundsound im Kino; Smart-TV, Laptop oder Tablet zu Hause für den Streaming-Service – entlang dieser Linien werden gerne die jeweiligen Vorzüge und Nachteile beider Dispositive, Kino und Streaming, ausgehandelt, dabei werden zuvorderst technologische Aspekte besprochen.

In Abgrenzung dazu ist aber der eigentliche Konfliktpunkt freigelegt: Physische Medien stehen in deren Zweitauswertung viel stärker und direkter in Konkurrenz zum Streaming-Anbieter, als zum Kino selbst. In dieser Logik werden DVDs und Blu-rays tatsächlich gerne als obsolet betrachtet. Anfangs noch waren die Streaming-Plattformen nicht als Konkurrenz zu physischen Heimmedien gedacht, sondern als Zusatz, eine Ergänzung. Durch den Streaming-Turn und der damit verbundenen Kapitallogik mithin in den Hintergrund gedrängt, wird der Markt an physischen Heimmedien nur noch von Sammlern getragen – ein Kreis an Nutzern, die den Film trotz allem Kulturpessimismus nicht als Wegwerfprodukt begreifen, sondern vielmehr das Bedürfnis verspüren, die eigene Filmgeschichte mit sich tragen zu wollen; folglich den Film als Artefakt und nicht als Content begreifend, der genutzt und dann vergessen wird.

Den wesentlichen Markt teilen sich die Streaming-Riesen Netflix, Amazon Prime, Apple TV+, Disney+ auf. Es ist eine Zeit der Umbrüche, Videotheken sind längst verschwunden. Und freilich, ja, diverse Umstände sind überaus fraglich: Netflix und Co. setzen zum einen auf den ahistorischen Zuschauer, für den die Filmgeschichte mit „Pulp Fiction“ (1992) beginnt. Einige Klassiker wie Alfred Hitchcocks „Rear Window“ (1954) oder noch „Casablanca“ (1942) von Michael Curtiz stehen immer mal wieder zur Wiedergabe aufrufbereit, sie sind aber die Ausnahme. Schwarz-Weiß-Filme vergangener Dekaden sind äußerst rar, der Stummfilm, als Relikt einer altertümlichen Zeit, inexistent. Gegenüber den großen Marktführern positioniert sich der Dienst MUBI als Alternative, wo Filme noch handverlesen ins Angebot kommen. Damit ist zum einen eine Differenz markiert, weil das Angebot sich bei MUBI vom Mainstream-Gedanken der großen Streaming-Plattformen abgrenzen möchte und dahingehend mit Arthouse-Filmen und einer stärkeren filmhistorischen Ausrichtung auf diverse Strömungen wirbt.

Immerzu aber begleitet ein Algorithmus das Programm, schafft Ordnung und Kontrolle – in der Folge können Filme indes nur untergehen, nicht zuletzt, weil sie nur zeitlich begrenzt und auf Basis von Suchanfragen in den Katalog aufgenommen werden. Obendrein besteht das Bedürfnis der Plattform, die eigenen Produktionen zu fördern, und doch: Filme wie Alfonso Cuaróns „Roma“ (2018), Martin Scorseses „The Irishman“ (2019) oder noch Guillermo del Toros „Pinocchio“ (2022) – allesamt Netflix-Eigenproduktionen – sind in dieser Logik schon wieder fast vergessen. Im Übrigen alles Filme, die sich entschieden gegen die Entwicklung der gegenwärtigen Filmsprache im Kino stellten und von Netflix explizit als Ausnahmeprodukte, ja als Prestigeprojekte beworben wurden. Das amerikanische DVD- und Blu-ray-Label Criterion nimmt besagte Filme dann in den eigenen Katalog auf – die Idee der Musealität des Films bekräftigend. Eine zwangsläufig medienbedingte Neubildung des Kanons kann die Folge sein. In einem didaktischen Sinne wäre dies problematisch, ja gefährlich, weil die Möglichkeiten, intergenerationell über Film zu sprechen, somit aufgehoben werden.

Die Möglichkeit einer Kritik

Kontexte schaffen, kritische Gedanken und analytische Ansätze zu einem Film zu sammeln und aufzubringen, können Streamingdienste so nicht leisten. Dabei gelten textkritische Editionen und Gesamtausgaben auf dem Literaturmarkt ohnehin als etabliert und Audioguides gehören heute wie selbstverständlich zum Museumsbesuch dazu. Unter diesem Gesichtspunkt ist die physische Disc für den Film heute immer noch das Medium, das es erlaubt, Filmvermittlung einzubringen und Filme zu kuratieren. Das physische Medium, die DVD oder die Blu-ray Disc, kommen mitunter mit umfangreichem Bonusmaterial, das Hintergrundinformationen und Audiokommentare zum Film von Filmwissenschaftlern und -kritikern bereitstellt. Gerne runden filmkritische Aufsätze in Form des Booklets das Angebot ab – entsprechende Paratexte erlauben eine wesentliche Verlängerung des Filmerlebnisses; in allen Fällen ist so eine intensivere, übergreifende, kritische Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Film gegeben. Damit ist ein wesentlicher Punkt getroffen: Filme müssen theoretisch, historisch und ästhetisch aufgearbeitet, fachkritisch analysiert und präsentiert werden. Den Film allein zu beschreiben, reicht nicht, es muss mitführend eine übergeordnete Kontextualisierung geschaffen werden, die den Film als komplexes Zeichensystem und als Ausdruck einer bestimmten Zeit, einer Ideologie und einer Politik begreift. Kontext meint in diesem Zusammenhang nicht, einen einzelnen Aspekt des Films zu betonen, sondern eine Vielzahl an Aspekten heranzuziehen und auszuwerten, die ein Netzwerk bilden. In diesem Sinne ist eine spezifische Form der kuratorischen Arbeit am Film gefragt, die die Filmkritik umso mehr als eine Übersetzungsleistung versteht und sie in Verantwortung setzt.

So oft wie im Zuge der Konjunktur der Streamingdienste der Vorwurf erhoben wurde, Streaming-Seiten wären schuld an dem globalen Kinosterben, so überaus deutlich wird das Zirkuläre der Diskussion. Die Zunahme an Streaming-Formaten und die hohe Nachfrage an diesen als Befund für eine sich wandelnde Medienkultur zulasten des Films und des Kinos zu lesen, ist schlicht zu einfach. Dabei verläuft die Diskussion gerne in gedanklich binären Bahnen, in denen bekannte Gegensatzpaare gegeneinander ausgetragen werden: Kunst vs. Content, Anspruch vs. Unterhaltung. Vielmehr wurde noch immer versäumt, den Film als Kunstform wahrlich anzuerkennen, demgemäß wahrzunehmen und zu begleiten. Letztlich ist damit nur ein Teilaspekt eines größeren Sinnzusammenhangs benannt. Dahinter ist nämlich ein größeres Problem zu erkennen: Filmbildung bleibt ein Desiderat.