NeuseelandStrategiewechsel: Vorsichtige Öffnung trotz Corona-Fällen

Neuseeland / Strategiewechsel: Vorsichtige Öffnung trotz Corona-Fällen
Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern wagt leichte Lockerungen der strengen Corona-Regeln im Land Foto: Mark Mitchell/Mark Mitchell/NZME/dpa

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Neuseeland hat seine strengen Covid-Restriktionen in Teilen des Landes leicht gelockert. Damit weicht der Pazifikstaat, der durch seine No-Covid-Politik weltweite Schlagzeilen machte, erstmals von seiner bisherigen Strategie ab. Gleichzeitig griff Premierministerin Jacinda Ardern zu einer ungewöhnlichen Maßnahme.

Seit Mittwoch haben die Menschen in Auckland nun wieder mehr Freizeitmöglichkeiten. Beispielsweise dürfen sich jetzt wieder bis zu zehn Personen aus zwei Haushalten im Freien treffen. Auch Kindergärten öffnen wieder. Einzelhandel und Gastronomie bleiben jedoch weiterhin geschlossen. Diese vorsichtige Lockerung der Restriktionen entschied Neuseelands Premierministerin Anfang der Woche, obwohl das Land nach wie vor tägliche Covid-Neuinfektionen meldet. Am Mittwoch beispielsweise waren es 39 Neuinfektionen und ein Todesfall. Im weltweiten Vergleich sind diese Zahlen niedrig, doch Neuseeland verfolgte bisher eine Null-Toleranz-Grenze gegenüber der Viruserkrankung.

Mit der Lockerung der Restriktionen bricht die Regierungschefin nun erstmals mit der bisherigen No-Covid-Strategie des Landes. Angesichts der Delta-Variante sei eine Rückkehr zu null Fällen unglaublich schwierig, hatte sie bereits am Montag in einer Pressekonferenz gesagt. Deswegen müsse der derzeitige Ansatz nun verändert werden. Eine solche Anpassung hätte im Laufe der Zeit ohnehin stattfinden müssen. „Unser Delta-Ausbruch hat diesen Übergang beschleunigt“, meinte sie. Außerdem würden nun ja auch Impfstoffe zur Verfügung stehen. Nachdem die Impfkampagne des Landes zunächst verhältnismäßig langsam vorangeschritten war, nimmt sie derzeit an Fahrt auf: 49 Prozent der Neuseeländer ab zwölf Jahren sind vollständig geimpft, 79 Prozent haben zumindest eine Dosis erhalten.

Obwohl viele Menschen in Auckland die gelockerten Restriktionen begrüßten und schwimmen gingen oder mit dem Boot rausfuhren, „trauerten“ andere dem No-Covid-Ansatz hinterher. „Die Menschen sind besorgt und trauern um die Sicherheit, die uns das alte Alarm-Level-System so lange gebracht hat“, schrieb der Psychologe Sarb Johal in einem Blogbeitrag im Internet. Es sei schwer, loszulassen und er würde das auch so empfinden. Die Neuseeländer müssten akzeptieren, dass der Rest des Jahres 2021 und bis 2022 hinein schwierig werde.

Bandenchef als „essenzieller Arbeiter“ klassifiziert

Eine neue Strategie, die Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern im Kampf gegen den derzeitigen Ausbruch der Delta-Variante im Land verfolgt, ist dabei jedoch erneut ungewöhnlich. So befürwortete die Sozialdemokratin, einen Ganganführer als „essenziellen Arbeiter“ zu klassifizieren. Dies erlaubte dem Bandenchef der sogenannten Mongrel Mobs, nach Auckland einzureisen. Dort soll er helfen, die Ausbreitung von Covid-19 in der schwer erreichbaren Bevölkerungsgruppe zu minimieren und Bandenmitglieder zum Testen und Impfen zu überreden.

Die gewaltbereite Gang ist berüchtigt in Neuseeland. Sie sieht sich gerne als eine Art Ersatzfamilie für junge Männer, die sich schwertun, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Letztendlich führt sie die jungen Menschen jedoch in die Kriminalität. Die Mehrheit der Mitglieder sind Māori oder stammen aus anderen polynesischen ethnischen Gruppen. Neben den Mongrel Mobs sind laut lokaler Medienberichte noch zwei weitere Gangs von Covid-Ausbrüchen betroffen.

Strategiewechsel nach Kritik der Opposition

Bisher war Neuseeland zweifelsohne eines der erfolgreichsten Länder im Kampf gegen die Pandemie. Dank geschlossener Grenzen und strenger Restriktionen im Falle eines Ausbruchs registrierte das Land seit Beginn der Pandemie nur 4.450 Covid-19-Fälle und 28 Tote. Der No-Covid-Ansatz wurde von der Bevölkerung weitgehend unterstützt, auch da er den Neuseeländern über Monate hinweg ein relativ normales Alltagsleben bescherte. Erst der Ausbruch der Delta-Variante zwang das Land nun zum Umdenken.

Bevor Premierministerin Jacinda Ardern diese Woche ihre neuen Ansätze präsentierte, war die Kritik am No-Covid-Ansatz im Land jedoch deutlich lauter geworden. Nachdem die Covid-Situation über Wochen stagniert hatte und vor allem Neuseelands größte Stadt Auckland in einem strikten Lockdown verharrte, hatte die Oppositionsführerin Judith Collins am Sonntag in einem Twitter-Post bereits einen neuen Ansatz gefordert. Zuvor hatte zudem der frühere neuseeländische Premierminister John Key ein Meinungsstück im lokalen Medium Stuff veröffentlicht, in dem er sein Land ein „selbstgefälliges Einsiedlerkönigreich“ nannte und den bisherigen Ansatz mit der Abschottung Nordkoreas verglich. „Die einzige Dringlichkeit, die wir seit Monaten sehen, ist der Enthusiasmus, unser Land abzuriegeln, unser Volk einzusperren und unsere Bürger im Ausland auszusperren“, schrieb er darin.