Sonntag2. November 2025

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Artikelserie (Teil 1)„Spoliation des biens juifs“ in Luxemburg während des Zweiten Weltkriegs – Die Arisierungs-Maschinerie

Artikelserie (Teil 1) / „Spoliation des biens juifs“ in Luxemburg während des Zweiten Weltkriegs – Die Arisierungs-Maschinerie
Das Kaddish-Denkmal zur Erinnerung an die Opfer der Shoah Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Am 27. Januar 2021 unterzeichneten die Regierung des Großherzogtums Luxemburg und die jüdischen Gemeinschaften, vertreten durch das jüdische Konsistorium Luxemburgs, ein Abkommen über die ungeklärten Fragen im Zusammenhang mit der Enteignung jüdischen Besitzes im Kontext der Schoah. Die World Jewish Restitution Organisation in Europa und die „Fondation luxembourgeoise pour la Mémoire de la Shoah“ waren Mitunterzeichner dieses Abkommens zu den „Outstanding Holocaust Asset Issues“.

Das Abkommen enthält zahlreiche Elemente, die mit dem Gedenken an die Schoah und ihrer Geschichte in Luxemburg zusammenhängen. Es beinhaltet insbesondere eine direkte Unterstützung der letzten Überlebenden der Schoah in Luxemburg in Höhe von insgesamt einer Million Euro. Die „Fondation luxembourgeoise pour la Mémoire de la Shoah“ bekommt über einen Zeitraum von 30 Jahren ein jährliches Budget von 120.000 Euro zur Verfügung gestellt, um das Gedenken an die Schoah zu fördern. Der Staat erwirbt und renoviert das Kloster Cinqfontaines, um dort ein Gedenk- und Bildungszentrum einzurichten, das den während des Zweiten Weltkriegs nach und von Cinqfontaines deportierten Juden gewidmet ist.

Im Rahmen der historischen Forschung sieht das Abkommen vor, dass der Staat insgesamt zwei Millionen Euro für drei Bereiche zur Verfügung stellt: 1. eine unabhängige universitäre Forschung über die Enteignung jüdischen Besitzes während des Zweiten Weltkriegs; 2. eine Provenienzforschung hinsichtlich des möglichen Vorhandenseins aus jüdischem Besitz geraubter Kunstwerke und anderer Kulturgüter in den folgenden Einrichtungen: Musée national d’archéologie, d’histoire et d’art (MNAHA); Les 2 musées de la Ville: die Sammlungen der Villa Vauban – Musée d’Art de la Ville de Luxembourg und das Lëtzebuerg City Museum, sowie die Nationalbibliothek Luxemburg (BnL); 3. Arbeiten, die den Zugang zu den Akten des Nationalarchivs betreffend den Zweiten Weltkrieg und die Schoah erleichtern. Separate Arbeitsgruppen untersuchen „ruhende“ oder „inaktive“ Konten und unbezahlte Versicherungen im Hinblick auf ihre Identifikation und Restitution.

Eine unabhängige universitäre Forschung

Das Tageblatt und das Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) werden die Öffentlichkeit über dieses Forschungsprojekt von herausragender Bedeutung sowie über einige der Arbeiten, die ihm vorausgegangen sind, in einer wöchentlich erscheinenden Serie informieren. Der vorliegende einführende Artikel stellt kurz den Bereich der akademischen Forschung vor, der sich mit der Problematik der „spoliation de biens juifs“, der Enteignung jüdischen Besitzes während der Nazi-Besatzung Luxemburgs (Mai 1940 bis September 1944), widmet. In der kommenden Woche wird ein zweiter einleitender Beitrag die in enger Zusammenarbeit mit den drei betroffenen Kulturinstituten betriebene Provenienzforschung der PostdoktorandInnen des C2DH Anna Jagos, Marc Adam Kolakowski und Yasmina Zian vorstellen.

Definieren wir zunächst die Begriffe. Bei dem Ausdruck „spoliation“ handelt es sich um einen juristischen Terminus, der nach dem Zweiten Weltkrieg im französischen Recht verwendet wurde, um die Praktiken der Enteignung, der „Arisierung“ beweglicher und unbeweglicher Güter, zu charakterisieren, die von den Verwaltungen in den von Nazi-Deutschland besetzten Ländern durchgeführt wurden. Der Begriff „spoliation“ wurde von der 1997 im Anschluss an die Rede Jacques Chiracs vom 16. Juli 1995 zum 53. Jahrestag der Razzia des Vel d’Hiv vom französischen Premierminister Alain Juppé eingesetzten „Mission d’étude sur la spoliation des Juifs de France“ wieder aufgegriffen. Der Präsident hatte in seiner Rede die Verantwortung Frankreichs für die Deportation von Juden während der Besatzung des Landes durch die Nazis anerkannt. Der Ausdruck „spoliation“ wurde auch in Luxemburg von dem Abgeordneten Ben Fayot in seiner „proposition de loi portant création d’une commission d’étude sur les spoliations des Juifs du Grand-Duché de Luxembourg durant l’occupation nazie“ („Gesetzesvorlage zur Bildung einer Untersuchungskommission zur Enteignung der Juden im Großherzogtum Luxemburg während der Nazi-Besatzung“) aus dem Jahr 2000 verwendet. Diese Gesetzesvorlage führte 2001 zur Einsetzung einer „Spezialkommission zur Untersuchung der Enteignung jüdischen Besitzes in Luxemburg“, die ihren Bericht 2009 vorlegte. Es ist dieser Bericht, der vervollständigt und im Zweifelsfall im Rahmen der laufenden Recherchen revidiert werden muss.

Unter „jüdischem Besitz“ versteht man im Kontext der Arisierungspolitik und der Plünderungen das Eigentum von nach den antisemitischen Nürnberger Rassengesetzen von 1935 als jüdisch definierten natürlichen und rechtlichen Personen. Es ist wichtig, zu betonen, dass diese von den Nazis als „jüdisch“ identifizierten Personen sich selbst nicht zwangsläufig als jüdischen Glaubens oder Mitglieder der durch das jüdische Konsistorium vertretenen israelitischen Gemeinde betrachteten. Sie konnten Atheisten sein oder anderen religiösen Gruppen angehören.

Vier Dissertationen

Drei Doktorarbeiten wurden in diesem ersten Bereich im Rahmen einer Konvention zwischen der luxemburgischen Regierung und dem Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) der Universität Luxemburg verfasst. Die Dissertation von Linda Graul, betreut von Professor Benoît Majerus, zeichnet den Prozess der finanziellen Enteignung während der Besatzung aus einer breit gefassten Perspektive nach, die sämtliche Akteure des Sektors einbezieht: neben den Bankinstituten auch Versicherungen, Notare und alle anderen Finanz- und Kreditinstitute ebenso wie die Nazi-Verwaltung. Darüber hinaus interessiert sich die Doktorarbeit für den rechtlichen Rahmen der Entschädigung, die Praktiken der Entschädigung sowie die Aspekte der Erinnerung dieser Enteignung in der Nachkriegszeit.

Die Doktorarbeit von Jana Müller, betreut von Professor Denis Scuto, untersucht den in der Nachkriegszeit vom luxemburgischen Staat umgesetzten Entschädigungsprozess der Opfer. Aus einem komparatistischen Ansatz heraus zielt die Doktorarbeit zugleich darauf ab, die Behandlung der Anträge der luxemburgischen und nicht-luxemburgischen jüdischen Opfer im Entschädigungsprozess denen anderer Opfergruppen gegenüberzustellen: Widerstandskämpfer, Zwangsrekrutierte, „Umgesiedelte“ …

Die Dissertation von Daniel Thilman, betreut von Professor Christoph Brüll, vergleicht die Entwicklung der lokalen jüdischen Gemeinden in Luxemburg und den benachbarten Regionen (Provinz Luxemburg, Lothringen, Region Trier und Saarland) von den 1920er bis in die 1950er Jahre. Beginnend mit dem Wiederaufbau der jüdischen Gemeinschaften nach dem Ende des Ersten Weltkriegs werden die Erfahrungen in Hinblick auf die demografische Entwicklung, die Beziehungen zu ihrer Umgebung, die antisemitischen Verfolgungsmaßnahmen, die Deportationen und den Wiederaufbau der Gemeinschaften nach 1945 analysiert. Das Projekt stellt somit einen transnationalen Raum jüdischen Lebens in Westeuropa in den Mittelpunkt.

Unabhängig von dem Abkommen vom Januar 2021 wurde bereits eine vierte Doktorarbeit geschrieben, gemeinschaftlich betreut vom C2DH und der Pariser „Ecole des hautes études en sciences sociales“ (EHESS) sowie finanziell unterstützt von der „Fondation luxembourgeoise pour la Mémoire de la Shoah“. Unter dem Titel „A la recherche des juifs spoliés: Pillages et ,aryanisation‘ au Luxembourg pendant la Seconde Guerre mondiale“ („Auf der Suche nach den enteigneten Juden: Plünderungen und ,Arisierung‘ in Luxemburg während des Zweiten Weltkriegs“) verteidigte Blandine Landau ihre fast 800 Seiten umfassende Dissertation im März 2024 an der Universität Luxemburg. Sie hat die Modalitäten und Akteure der Enteignung anhand zweier gespiegelter Fallstudien untersucht: einerseits Kunstwerke (eine einzelne Art des Eigentums, betrachtet für das gesamte Staatsgebiet), und andererseits das Eigentum als jüdisch geltender Personen in einem Viertel von Esch/Alzette (sämtliche Besitztümer, betrachtet für drei konkrete Straßen).

Auf der Grundlage der Analyse des Kunstmarkts auf dem Gebiet des luxemburgischen Luxemburgs und ihrer Untersuchung der Enteignung von Personen, die zwischen 1933 und 1945 im Zentrum von Esch/Alzette lebten, stellt Blandine Landau als Erstes die These von der „aktiven Beteiligung eines Großteils der Bevölkerung an der Enteignung einer Minderheit“ vor. So zeigt sie zunächst, dass in Luxemburg entgegen der landläufigen Meinung vor und vor allem während der Besatzung sehr wohl ein Kunstmarkt existierte, auf dem zahlreiche Akteure von der spezifischen Situation des Landes zu dieser Zeit profitierten, um einen ausgesprochen lukrativen Handel auf nationaler wie internationaler Ebene zu betreiben. Dann stellt sie die Schlussfolgerungen des ersten Berichts zum Thema Enteignung aus dem Jahr 2009 infrage, wobei sie unterstreicht, dass ein großer Teil der Bevölkerung, nicht nur der deutschen, sondern auch der luxemburgischen, entweder eine aktive Rolle bei der Enteignung spielte oder aber direkt von ihr profitierte, unter anderem durch die Germanisierungsmaßnahmen des Besatzers. Schließlich zeigt sie, dass man das Ausmaß der Enteignung nicht anhand der deutschen Buchhaltung des Chefs der Zivilverwaltung (CdZ) bewerten kann, in der zahlreiche Aspekte wie Plünderungen, Verkäufe zu Niedrigpreisen, Schenkungen, Einkommensverluste, physische und seelische Schäden usw. nicht berücksichtigt sind.

In den kommenden Monaten wird die Serie des Tageblatt und des C2DH über die Enteignung jüdischen Besitzes es den Leserinnen und Lesern ermöglichen, eine ganze Reihe unbekannter, verkannter oder verzerrter Aspekte der luxemburgischen Zeitgeschichte zu entdecken. Indem wir diese Geschichte beleuchten, möchten wir, um das Kommuniqué der luxemburgischen Regierung zum Abkommen aus dem Januar 2021 zu paraphrasieren, den Opfern und den historischen Tatsachen von vor über 75 Jahren die Ehre erweisen und zugleich über die Gegenwart und die Zukunft unserer Gesellschaft nachdenken.

Die Forschungsgruppe zur „Enteignung jüdischen Besitzes“ des C2DH (Christoph Brüll, Andreas Fickers, Linda Graul, Anna Jagos, Marc Adam Kolakowski, Blandine Landau, Benoît Majerus, Jana Müller, Denis Scuto, Daniel Thilman, Yasmina Zian)

Henri Juda
2. Dezember 2024 - 20.03

Der Vertrag vom 27.Januar 2021 wird bald 4 Jahre alt sein . Allerdings bis dato gibt es Null Transparenz was und wie und wieviel global an die letzten Überlebenden der Schoah in Luxemburg von der 1 Million Euro ausbezahlt wurden und wieviel an Sonstige versickerte . Die „Fondation luxembourgeoise pour la Mémoire de la Shoah“ bekommt über einen Zeitraum von 30 Jahren ein jährliches Budget von 120.000 Euro zur Verfügung gestellt, um das Gedenken an die Schoah zu fördern. Auch hier weis man nur dass diese Gelder fliessen , wohin aber nicht .

Hottua Robert
12. November 2024 - 9.31

Verzerrte und ignorierte Aspekte der luxemburgischen Zeitgeschichte gibt es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch im Bereich der eugenischen (rassenhygienischen) Bevölkerungspolitik.
MfG, Robert Hottua, Gründer der LGSP