Montag22. Dezember 2025

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KinoSpiegel seiner Zeit: James Gunns neuer „Superman“ und die Geschichte einer Projektionsfläche

Kino / Spiegel seiner Zeit: James Gunns neuer „Superman“ und die Geschichte einer Projektionsfläche
Menschlicher und optimistischer als seine Vorgänger: David Corenswet interpretiert den Helden als nahbaren Charakter Foto: Warner Bros. Entertainment

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Seit mehr als acht Jahrzehnten ist Superman ein fester Bestandteil der Popkultur. Als einer der ersten Superhelden überhaupt prägte er das Genre nachhaltig und wurde zur Vorlage für zahllose weitere Figuren. Doch Superman ist mehr als nur ein Mann mit übermenschlichen Kräften – er ist ein Spiegel seiner Zeit, eine Projektionsfläche für Ideale, Ängste und Hoffnungen der amerikanischen Gesellschaft.

Man kennt seine imposante Statur, den entschlossenen Blick, das wehende rote Cape. Sein blau-roter Anzug und das leuchtende „S“ auf der Brust – mehr Symbol als Kleidungsstück – stehen für Hoffnung, Mut und Gerechtigkeit. Superman wurde 1938 von den jüdisch-amerikanischen Autoren Jerry Siegel und Joe Shuster geschaffen. Sein Debüt in Action Comics #1 markiert nicht nur den Beginn einer neuen Comic-Ära, sondern auch die Geburt des Superheldengenres. Die Figur entstand in einer Zeit des Umbruchs: Die USA befanden sich noch in den Nachwehen der Großen Depression und die Welt stand am Rande des Zweiten Weltkriegs. Superman war eine Antwort auf diese Krisen – ein Hoffnungsträger, der für Gerechtigkeit kämpfte und die Schwachen beschützte.

Supermans Herkunft als Außerirdischer vom Planeten Krypton ist eng mit dem Immigrantenerlebnis verbunden. Kal-El, sein kryptonischer Name, wird als Kind auf die Erde geschickt, um dem Untergang seines Heimatplaneten zu entgehen – eine Parallele zu jüdischen Kindern, die aus Europa in Sicherheit gebracht wurden. Aufgewachsen in Smallville, Kansas, verkörpert Clark Kent den „American Way of Life“: Bescheidenheit, Fleiß und Moral. Superman ist somit eine kulturelle Synthese aus jüdischer Diaspora-Erfahrung, amerikanischem Idealismus und moderner Mythologie. Er ist ein neuer Moses – ein Kind, das in einem fremden Land groß wird, um seine Kräfte zum Wohle der Menschheit einzusetzen.

Eine neue Form des Eskapismus

Superman fand seinen Weg schnell aus dem Comic in andere Medien. Bereits 1941 erschien eine Serie von Zeichentrickfilmen von Fleischer Studios, die durch ihre innovative Animation beeindruckten. Diese Kurzfilme betonten den Science-Fiction-Aspekt der Figur und legten visuelle Grundlagen, die später viele Superheldenfilme beeinflussten. In den 1950er Jahren wurde Superman durch die TV-Serie „Adventures of Superman“ mit George Reeves populär. Diese Version reflektierte die konservativen Werte der Nachkriegszeit: Superman war der brave Gesetzeshüter, der die amerikanischen Tugenden in einer Zeit des Kalten Kriegs verteidigte. Doch erst mit dem Spielfilm von 1978 von Richard Donner wurde Superman endgültig zum Kinohelden. Christopher Reeve verkörperte einen charmanten, moralisch integren Helden, dessen innerer Konflikt zwischen Menschlichkeit und Übermenschlichkeit im Mittelpunkt stand. Der Film traf einen Nerv beim Publikum: Nach den politischen Skandalen der 1970er Jahre – etwa Watergate und dem Vietnamkrieg – sehnte man sich nach einem Helden, der aufrichtig war, rein und unbestechlich. Donners Film setzte zudem neue Maßstäbe im Genre: Spezialeffekte, eine ernsthafte Herangehensweise an die Vorlage und eine ikonische Filmmusik von John Williams machten Superman zu einem Meilenstein. Der Slogan „You’ll believe a man can fly“ versprach eine neue Form des Eskapismus.

„You’ll believe a man can fly“: Christopher Reeve machte Superman zum Kinohelden
„You’ll believe a man can fly“: Christopher Reeve machte Superman zum Kinohelden Foto: Warner Bros. Entertainment

Die Fortsetzungen von „Superman“ hatten gemischten Erfolg. Während „Superman II“ (1980) von Fans geschätzt wird, litten die folgenden Filme (Teil 3 und 4) unter schwachen Drehbüchern und niedrigem Budget. Superman wirkte zunehmend aus der Zeit gefallen, vor allem in einer Welt, die von ambivalenten Antihelden wie „Batman“ oder den düsteren Figuren des Film Noir fasziniert war. In den 1990er Jahren feierte Superman vor allem im Fernsehen ein Comeback: „Lois & Clark: The New Adventures of Superman“ (1993-1997) legte den Fokus stärker auf die romantische Beziehung der Figuren. Gleichzeitig zeigte die Serie einen Superman, der menschlicher, verletzlicher und humorvoller war – ein Versuch, die Figur in die Ära des postmodernen Fernsehens zu überführen. 2006 versuchte Bryan Singer mit „Superman Returns“ eine Rückbesinnung auf die Donner-Filme. Brandon Routh spielte einen stillen, melancholischen Superman, der nach Jahren ins Leben der Menschen zurückkehrt – eine fast messianische Figur. Der Film scheiterte jedoch an seiner nostalgischen Orientierung und einer Handlung, die zu sehr in der Vergangenheit verhaftet war. In einer Welt nach 9/11, in der Helden differenzierter und gebrochener gezeichnet wurden, wirkte Superman erneut aus der Zeit gefallen.

Mit dem Aufstieg des Marvel Cinematic Universe (MCU) erkannte auch DC das Potenzial eines zusammenhängenden Filmuniversums. Den Anfang machte „Man of Steel“ (2013) von Zack Snyder. Henry Cavill verkörperte einen kraftvollen, ernsten Superman, dessen Herkunftsgeschichte in einem modernen, oft düsteren Setting erzählt wurde. Der Film versuchte, den Charakter neu zu positionieren: weniger Boy-Scout, mehr tragischer Gott. Snyders Interpretation betonte die Konflikte zwischen Macht, Verantwortung und moralischer Ambiguität. Superman war nicht mehr der strahlende Held, sondern ein Objekt der Angst und Verehrung zugleich – eine Reaktion auf ein Post-9/11-Zeitalter, das von Überwachung, geopolitischen Spannungen und Misstrauen gegenüber Autoritäten geprägt war. In „Batman v Superman: Dawn of Justice“ (2016) und „Justice League“ (2017) wurde diese Entwicklung fortgeführt – mit gemischten Ergebnissen. Während Snyder versuchte, einen epischen Mythos zu erschaffen, war vielen Zuschauern diese Version zu düster, zu prätentiös und zu weit entfernt vom klassischen Superheldenbild.

Zwischen Ambiguität und Hoffnung

Nun ist mit „Superman“ von James Gunn ein weiterer Neuanfang erfolgt – heller, menschlicher und optimistischer als in den düsteren Vorgängerversionen. Gunns Superman verkörpert wieder die klassischen Tugenden der Figur: Mitgefühl, Aufrichtigkeit und Hoffnung. David Corenswet interpretiert den Helden als nahbaren Charakter, der seine außerirdische Herkunft mit seiner tief verwurzelten Menschlichkeit in Einklang bringt. Jede filmische Version von Superman war ein Produkt ihrer Zeit: In den 1930ern war er der Arbeiterheld gegen Korruption; in den 1970ern der moralische Fels in der Brandung gesellschaftlicher Zweifel; in den 2010er Jahren ein göttlicher Außenseiter im Zeitalter des moralischen Grau. Mit James Gunns neuer Interpretation steht Superman einmal mehr an einem Scheideweg. In einer Ära multipler Krisen – geopolitisch, sozial, ökologisch – wirkt der neue Superman bewusst als Gegenentwurf: nicht mehr als entrückter Übermensch, sondern als Symbol eines möglichen moralischen Neuanfangs. Gunn verzichtet dabei auf die tonale Schwere früherer Inkarnationen und entwirft stattdessen ein fast utopisches Bild von Hoffnung, Gemeinschaft und Integrität.

Doch so wohltuend diese neue Leichtigkeit wirken mag, bleibt fraglich, ob sie die strukturelle Müdigkeit des Superheldengenres wirklich zu überwinden vermag – oder nur eine ästhetisch weichgezeichnete Variante desselben Narrativs bietet. Der Held erscheint jünger, emotional zugänglicher, eingebettet in stabile soziale Beziehungen – mit Partnerin, Adoptiveltern und sogar einem Hund. Diese Rückbesinnung auf empathische Qualitäten kann als Versuch gelesen werden, dem Zynismus und der Ironie vieler zeitgenössischer Superhelden zu entkommen. Doch sie läuft Gefahr, in eine idealisierende Rückwärtsbewegung zu kippen – eine sentimentale Projektion dessen, was man verloren glaubt. Während Gunns Superman fraglos als Reaktion auf die sogenannte Superhero-Fatigue gedacht ist, bleibt offen, ob ein optimistisches Heldenbild heute noch als subversiv gelesen werden kann – oder ob es schlicht nostalgische Bedürfnisse bedient. Superman wird hier erneut zur Projektionsfläche kollektiver Sehnsüchte – nicht, weil er reale Antworten bietet, sondern weil er das Bedürfnis nach Orientierung bedient. Doch gerade darin zeigt sich auch die Ambivalenz des Projekts – zwischen ehrlichem Neuentwurf und kalkulierter Wiederverzauberung.