Sondierungsgespräche über Gemeindefusionen: Noch ein weiter Weg im Norden

Sondierungsgespräche über Gemeindefusionen: Noch ein weiter Weg im Norden

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Am 25. Juli dieses Jahres hatten wir exklusiv über erste Sondierungsgespräche hinsichtlich einer Fusion der drei Gemeinden Ettelbrück, Schieren und Erpeldingen/Sauer berichtet. Dies sorgte auch auf Landesebene für Gesprächsstoff. Innenminister Dan Kersch (LSAP) reagierte auf eine parlamentarische Anfrage und die Räte der drei Gemeinden steckten am Mittwoch ihre Köpfe zusammen.

Von Roger Infalt und Olivier Halmes

Die „Nordstad“ ist nach wie vor lediglich ein Baugerüst. Viele Einwohner, die in den sechs Gemeinden Colmar-Berg, Schieren, Ettelbrück, Erpeldingen/Sauer, Diekirch und Bettendorf leben, warten seit 20 Jahren auf konkrete Projekte, auf etwas, das man anfassen kann. Abgesehen von der Handelszone ZANO auf „Fridhaff“, einem Areal, das sowohl der Gemeinde Erpeldingen/Sauer als auch Diekirch gehört und auf dem jetzt die ersten Firmen neue Niederlassungen bauen, existiert das Projekt „Nordstad“ weitestgehend nur auf dem Papier. Über zehn Jahre Verspätung auf das ursprüngliche Timing muss das „Comité politique Nordstad“ zugeben. „Das Rad dreht sich – wenn überhaupt – nur im Schritttempo, während in anderen Ballungsgebieten Luxemburgs ordentlich Gas gegeben wird“, so die Stimme des Volkes. „Im Zentrum und im Süden geht alles viel schneller voran. Einer der Gründe hierfür ist wohl die direkte und spürbare Unterstützung der Landespolitiker. Der Norden wird nach wie vor viel zu stiefmütterlich behandelt. Es fehlt vielleicht auch an dem nötigen Druck.“

Ob dies der Grund dafür ist, dass sich nun drei der erwähnten sechs Gemeinden um eine eventuelle Fusion bemühen? Die Bürgermeister aus Schieren, Ettelbrück und Erpeldingen/Sauer weichen dieser Frage am liebsten aus und hatten uns im Juli lediglich bestätigt, dass es erste Sondierungsgespräche zum Thema Fusion gegeben habe. „Ja, solche Gedanken führen wir seit geraumer Zeit“, so der Erste Bürger aus Schieren, André Schmit. „Die Schöffenräte der drei Gemeinden trafen sich auch bereits zu ersten Unterredungen, nennen wir es Sondierungsgespräche. Wir haben uns Mitte Juli getroffen und sind uns einig geworden, dass wir nun in der ersten Gemeinderatssitzung nach den Sommerferien unsere Räte informieren und um ihre Haltung zu diesem Plan befragen wollen. Ich persönlich bin für eine Fusion mit unseren Nachbargemeinden, denn es wird als kleine Kommune zunehmend schwieriger, mit den Angeboten größerer Gemeinden standhalten zu können, sei dies auf kultureller, schulischer, technischer, medizinischer oder auch administrativer Ebene“, so Schmit im Juli.

Am Mittwoch fanden Gemeinderatssitzungen in Erpeldingen/Sauer, Schieren und Ettelbrück statt. Dabei standen die Fusionsgespräche auf den jeweiligen Tagesordnungen. Und wir haben nachgehakt.

 

Dan Kersch: „Komplexer, als man glaubt“

Bezüglich der Fusionsgespräche der „Nordstad“-Gemeinden Ettelbrück, Schieren und Erpeldingen/Sauer (Wahlbezirk Norden) und der Frage, ob Colmar-Berg, das ebenfalls zum „Nordstad“-Raum gehört, auch mit den genannten Gemeinden fusionieren könnte, obwohl sie im Wahlbezirk Zentrum liegt, hatte der DP-Abgeordnete André Bauler eine parlamentarische Frage an Innenminister Dan Kersch (LSAP) gerichtet.

Er wollte u.a. wissen, ob eine Gemeindefusion über Wahlbezirksgrenzen hinaus möglich sei oder nicht.
Kersch antwortete, dass dies rechtlich gesehen durchaus möglich, aber sehr komplex zu realisieren sei. Im Klartext: Die Abgeordnetenkammer müsste in diesem Fall zuerst einmal eine Entscheidung in Sachen Neuaufteilung der Wahlbezirke sprich Änderung des Wahlgesetzes treffen. „Wir müssen vermeiden, dass die Bevölkerung einer Fusionsgemeinde in verschiedenen Bezirken wählt. Eine solche Entscheidung muss wohlüberlegt sein“, so Dan Kersch dem Tageblatt gegenüber. Und Colmar-Berg habe doch auch Alternativen Richtung Zentrum, so Kersch weiter. Diese Gemeinde sei nun eben in der verzwickten Lage, einerseits der „Nordstad“, andererseits aber dem Bezirk Zentrum anzugehören.

„Die Regierung, die das damals zugelassen hat, war überaus schlecht beraten.“ Abschließend wollten wir vom Innenminister wissen, ob eine Fusion von nur drei Gemeinden innerhalb des betreffenden Gemeindebündnisses, das bekanntlich sechs Kommunen umfasst, seiner Meinung nach die Grundidee einer „Nordstad“ in Frage stellt. Kersch antwortete mit einem klaren „Nein“. „Für die Gemeinden, die jetzt Sondierungsgespräche zwecks Fusion führen, bleibt die ‚Nordstad‘ nach wie vor ein wichtiges Ziel.“ roi

Mit Diekirch reden

Im Gemeinderat Erpeldingen tat man sich nicht leicht. Nach einer kontrovers, aber sehr sachlich geführten Diskussion sprachen sich am späten Mittwochabend sechs gegen drei Ratsmitglieder mehrheitlich für Sondierungen aus.

Zum Auftakt erläuterte Bürgermeister Claude Gleis die Beweggründe und ließ den bisherigen Werdegang Revue passieren. Vor zwei Jahren habe Erpeldingen/Sauer beschlossen, eine Erklärung zu verfassen. In diesem Schreiben wurde der Wunsch nach einer Fusion aller sechs „Nordstad“-Gemeinden ausgedrückt. Nach den Kommunalwahlen 2017 sprachen sich die Schöffenräte von Ettelbrück und Schieren ebenfalls in diesem Sinne aus.

Aus Diekirch habe es keine solchen Äußerungen gegeben. Colmar-Berg sei bekanntlich ein Sonderfall, da es sich im Wahlbezirk Zentrum befindet. Daher könne für eine mögliche Fusion dieser Gemeinde zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Rede sein. So kam es, wie es kommen sollte, die drei Schöffenräte wurden sich eins, den Schritt zu wagen. Als Gründe für eine Fusion nannte Gleis den Wunsch, auf Landesebene mehr Gewicht zu bekommen. Auch spiele die zentrale Lage und das große Entwicklungspotenzial des „Nordstad“-Raumes eine wichtige Rolle.

In der Diskussion sprachen sich drei Ratsmitglieder (Carlo Tessaro, Claude Wolter, Max Blom) gegen die Sondierungsgespräche aus. Auch kristallisierte sich im weiteren Verlauf der Sitzung immer stärker der Wunsch bei den Ratsmitgliedern heraus, mit Diekirch ebenfalls Gespräche aufnehmen zu wollen. So wollte Ratsmitglied Claude Wolter von Bürgermeister Gleis wissen, ob Diekirch konkret gefragt worden sei. Eine Frage, die Gleis jedoch mit Nein beantworten musste.

Ehe mit Diekirch?

Wolter plädierte dafür, dies unbedingt noch zu tun. Schon heute gebe es mehrere Schnittpunkte mit Diekirch, wie z.B. das Gewerbegebiet der „Nordstad“, das sich in der Gemarkung der beiden Gemeinden befinde, oder auch das Areal „Walebroch“ entlang der gemeinschaftlichen zentralen Verkehrsachse zwischen den beiden Kommunen. Zudem tendiere die Bevölkerung der Gemeinde Erpeldingen eher in Richtung Diekirch als zu Ettelbrück.

Eine Sichtweise der Dinge, die ebenfalls Rat Frank Kuffer teilte. Wenn zum jetzigen Zeitpunkt ein Referendum für eine Fusion mit Ettelbrück stattfände, hegt Kuffer die Befürchtung, würde die Bevölkerung der Gemeinde Erpeldingen/Sauer mit Nein stimmen. Kuffer sprach sich dennoch für Sondierungsgespräche mit Ettelbrück und Schieren aus. Noch differenzierter sah Rat Eric Osch die Sache. Er sei dafür, Sondierungen aufzunehmen, um das Für und Wider einmal gründlich analysieren zu können. Man müsse sehr sorgsam vorgehen und besonders auf die Stimmungslage der Bevölkerung achten, bevor man ein diesbezügliches Referendum abhalte.

Gegen Sondierungen sprach sich Rat Carlo Tessaro aus. Er sei ein Verfechter einer Fusion, jedoch nicht für eine Dreierlösung zu begeistern. Außerdem bemängelten Tessaro und Wolter, dass es keinen Plan B gebe für den Fall eines Scheiterns.

Klar gegen eine Fusion in jeder Hinsicht äußerte sich Max Blom. Das junge Ratsmitglied war der Meinung, die Gemeinde könne auch alleine ihre Aufgaben bewältigten. Der Gemeinderat warnte, sich nicht über den Tisch ziehen zu lassen, die Gemeinde Erpeldingen an der Sauer sei schließlich das Filetstück in Sachen Entwicklungspotenzial im „Nordstad“-Raum. O.H.

 

Ettelbrück: Einstimmiges Ja

Der Gemeinderat von Ettelbrück sprach sich am Mittwoch einstimmig für Sondierungen zu einer möglichen Fusion mit den Gemeinden Schieren und Erpeldingen aus. Alle Fraktionen waren sich darin einig, dies als ersten Schritt in die richtige Richtung zu werten. Laut CSV-Bürgermeister Jean-Paul Schaaf stünde weiterhin die Tür offen für die übrigen „Nordstad“-Kommunen. In der gemeinschaftlichen Erklärung der drei Gemeinden werde ganz klar darauf hingewiesen.

Rat Claude Halsdorf (LSAP) sprach davon, dass zu einem späteren Zeitpunkt – falls es zu konkreten Fusionsgesprächen kommen sollte – Arbeitsgruppen eingesetzt werden könnten, an denen sich auch Bürger beteiligen. Transparenz sei im Hinblick einer späteren Fusion sehr wichtig, sagte Halsdorf. Auch Marthy Thull („déi gréng“) und Alain Feypel (DP) sehen die Dinge so.

CSV-Rat Pascal Nicolay hob schließlich noch den historischen Kontext hervor: So waren die drei Gemeinden bis 1850 schon einmal zusammen gewesen. OH

 

Drei Fragen an: Claude Haagen, Bürgermeister von Diekirch

Warum nimmt Diekirch nicht an den Fusionsgesprächen teil?
Die Antwort darauf ist sehr einfach: Weil wir nicht gefragt wurden. An unserer Beteiligung war der Ettelbrücker Bürgermeister anscheinend nicht interessiert. Warum das so ist, weiß nur er.

Anders gefragt: Wäre Diekirch an einer Fusion mit Ettelbrück, Erpeldingen/ Sauer und Schieren interessiert gewesen?
Ohne bindenden Charakter habe ich sämtliche im Diekircher Gemeinderat vertretenen Fraktionen während unserer Sitzung am Mittwochabend gefragt, ob sie denn an einer Fusion interessiert gewesen wären. Ausnahmslos alle antworteten klar mit „Ja“.

Wie sehen Sie denn nun die Zukunft der „Nordstad“?
Warten wir mal ab. Diese Fusion – wenn es denn dazu kommen soll – ist nicht für heute und auch nicht für morgen. Es werden wohl viele Jahre ins Land ziehen, bevor es – vielleicht – zu einer Unterschrift kommen wird. Eines ist aber nun bereits sicher: Das „Syndicat à vocation multiple – Nordstad“ hat nun einen ordentlichen Schuss vor den Bug bekommen. Drei „Nordstad“-Gemeinden werden auf der Strecke bleiben – dabei ist der größte Verlierer wohl Colmar-Berg.

 

„Keine zwei Ballungszentren schaffen“

Pascale Hansen ist seit den letzten Gemeindewahlen Bürgermeisterin von Bettendorf und hat ebenfalls den Vorsitz des politischen „Nordstad“-Komitees inne. Was sagt die Juristin zu den Fusionsgedanken der drei erwähnten Gemeinden? „Als Bürgermeisterin einer der ‚Nordstad‘-Gemeinden sehe ich dieses Vorhaben mit gemischten Gefühlen. Ich hätte es lieber gesehen, wenn alle sechs zum ‚Nordstad‘-Projekt zählenden Gemeinden eine Fusion eingehen würden, um das Ganze endlich konkreter umsetzen zu können. So laufen wir nun Gefahr, dass innerhalb der ‚Nordstad‘ zwei Ballungszentren entstehen, eines um Diekirch und ein zweites um Ettelbrück. Damit ist keinem geholfen.“

Auf die Frage, ob ihrer Meinung nach der ursprüngliche „Nordstad“-Gedanke mit einer Fusion von nur drei Gemeinden gestorben sei, meinte sie, dass sich mit dieser Fusion eigentlich nur die Zahl der Partner ändern wird, sprich von sechs auf vier reduzieren wird. „Das dürfte eigentlich kein Hemmschuh sein.“

Wird Bettendorf denn nun eventuell mit Diekirch eine Fusion eingehen, was ja geografisch gesehen logisch wäre? „Nein“, so Pascale Hansen. „Ich bin der Meinung, dass wir alles daran setzen sollten, die sechs Gemeinden, also Bettendorf, Diekirch, Erpeldingen/Sauer, Ettelbrück, Schieren und auch Colmar-Berg, an einen Tisch zu bekommen. Verschiedene Fusionen innerhalb des ‚Nordstad‘-Raumes scheinen mir der falsche Weg zu sein.“

Apropos Colmar-Berg, eine Gemeinde, die ja bekanntlich in einem anderen Wahlbezirk liegt als die restlichen fünf. „Die Antwort des Innenministers auf dieses Problem war interessant. Wenn wir also wirklich eine Fusion aller sechs Gemeinden wollen, dann müssen wir auch den politischen Willen und Mut haben, an der Aufteilung der Wahlbezirke zu rütteln, was meines Erachtens egal wie gemacht werden müsste.

Die bestehende Aufteilung spiegelt die heutige Realität nicht mehr wider. Dies betrifft bei weitem nicht nur Colmar-Berg. Ich denke hier zum Beispiel auch an Bridel, das zur Gemeinde Kopstal zählt und somit noch immer zum Wahlbezirk Süden gehört.“
roi

roger wohlfart
16. September 2018 - 20.09

Genausogut könnten im Kanton Mersch die Alzette-Tal-Gemeinden Steinsel, Lorentzweiler und Lintgen fusionieren, aber dann gingen 2 Bürgermeisterposten verloren und dieser Umstand wäre womöglich schlimmer als die daraus resultierenden technisch-administrativen Vorteile. "Clochemerle" lässt grüssen. Honni soit qui mal y pense.