Das Tageblatt hat Post bekommen – drei identisch beginnende Anwaltsschreiben lagen am Mittwoch im Briefkasten. Nach einem kritischen Bericht über Luxemburgs zunehmend gefährliche Impfgegner-Szene wollen drei der darin angesprochenen Akteure juristisch gegen unsere Zeitung vorgehen: Dr. Benoît Ochs, Bas Schagen und Sacha Borsellini. Schagen und Ochs fordern jeweils 150.000 Euro Schadensersatz, Borsellini 50.000 Euro. Das Ziel dieser Forderung ist nach Ansicht von Tageblatt-Chefredakteur Dr. Dhiraj Sabharwal völlig klar: Es handelt sich dabei um eine juristische Drohgebärde, die die entsprechende Berichterstattung einschränken oder gar zum Schweigen bringen soll. Im Schreiben von Ochs, Schagen und Borsellini wird präzisiert: Sollte nicht bezahlt werden, seien Klagen unausweichlich.
Dieses Problem ist nicht neu – und hat auch schon eine eigene Bezeichnung. Strategisch eingesetzte juristische Druckmittel oder Klagen gegen Journalisten, Aktivisten oder Organisationen, die in der Öffentlichkeit auf Missstände aufmerksam machen, heißen „Strategic lawsuits against public participation“, kurz Slapps. EU- und weltweit sehen sich derzeit eine Vielzahl von Journalisten mit solchen Einschüchterungsklagen konfrontiert – das ist einer Anti-Slapp-Initiative der EU-Kommission zu dem Thema zu entnehmen. Dort heißt es: „In der Regel handelt es sich um unbegründete Klagen. (…) Der Hauptzweck besteht darin, die beklagte Partei einzuschüchtern und letztlich zum Schweigen zu bringen, indem ihre Ressourcen ausgebeutet werden, zum Beispiel durch hohe Schadensersatzforderungen oder absichtlich in die Länge gezogene Verfahren.“
Die Anschuldigungen beziehen sich laut der Kommission in der Regel auf Verleumdung, können aber auch Verstöße gegen andere Vorschriften oder Rechte wie beispielsweise Datenschutz zum Gegenstand haben. Die Kommission stellt außerdem klar: „Slapps stellen einen Missbrauch von Gerichtsverfahren dar und bedrohen demokratische Werte und die Ausübung von Grundrechten, insbesondere die Meinungs- und Informationsfreiheit sowie die Freiheit der Medien.“
Slapps sind auch in Luxemburg angekommen
Auch der Luxemburger Journalistenverband ALJP beschäftigt sich mit der Thematik. ALJP-Vorstandsmitglied Luc Caregari bestätigt am Donnerstag im Gespräch mit dem Tageblatt: „Diese Fälle häufen sich in den letzten Jahren und scheinen langsam so richtig in Luxemburg anzukommen.“ Caregari erklärt, es seien „ziemlich häufig Leute aus dem rechten Spektrum oder aus Verschwörungsgruppen, die man trotzdem zum rechten Spektrum zählen muss“, die in Luxemburg Slapps initiieren.
Von der hiesigen Regierung wünscht sich das ALJP-Vorstandsmitglied, dass in Eigeninitiative darüber nachgedacht werde, wie man dort mit einer Gesetzesänderung gegensteuern könnte. „Die Klagen werden sich meiner Meinung nach weiter häufen“, vermutet Caregari. Er halte daher zum Beispiel ein EU-weites Slapp-Register für sinnvoll. Dabei handelt es sich um eine Art Datenbank, in der Slapps und deren Initiatoren festgehalten werden – damit frühzeitig erkannt werden kann, wenn Kläger bereits häufiger mit dieser Methode gegen Kritiker vorgegangen sind.
Das tragische Beispiel der Daphne Caruana Galizia
Ein dramatisches Slapp-Beispiel ist der Fall der maltesischen Reporterin Daphne Caruana Galizia, der weltweit für Bestürzung gesorgt hat. Die Journalistin wurde im Oktober 2017 in Malta – einem EU-Land – durch einen Autobombenanschlag getötet. Hintergrund waren ihre investigativen Recherchen über Korruption und Geldwäsche. Vor ihrem Tod war sie bereits zahlreichen Einschüchterungsversuchen ausgesetzt gewesen – laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung (SZ) brannte im Jahr 1996 der Fußabstreifer vor der Haustür der Reporterin, später lag dort einer ihrer Hunde mit durchgeschnittener Kehle. In einer Nacht im Jahr 2006 rollten Unbekannte laut dem Bericht Lastwagenreifen an ihre Hauswand und setzten sie in Brand. Als Daphne Caruana Galizia starb, lagen laut SZ ganze 50 Slapps gegen sie vor.
Seit Caruana Galizias Tod ließen noch weitere Journalisten in der EU ihr Leben, weil sie ihren Beruf ausübten – darunter Jan Kuciak aus der Slowakei, Giorgos Karaivaz aus Griechenland und Peter de Vries aus den Niederlanden. Der Investigativjournalist de Vries wurde erst vor einigen Monaten, am 6. Juli, in Amsterdam auf offener Straße angeschossen und erlag wenige Tage später seinen Verletzungen.
Der deutsche EU-Abgeordnete Tiemo Wölken erklärt zum Thema Slapps auf Tageblatt-Anfrage: „Am Ende des Tages geht es um nicht weniger als den Schutz elementarer Grundrechte. Allen voran das Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit.“ Er selbst hat den Anti-Slapps-Initiativbericht im Rechtsausschuss des EU-Parlaments ins Rollen gebracht.
Wie die EU gegensteuern könnte
Wölken sagt: „Wir brauchen eine EU-Richtlinie, um europaweit Mindeststandards einzuführen.“ Es brauche eine klare Definition dessen, was eine Slapp-Klage ist. Zudem solle die Beweislast umgekehrt werden, bei der der Kläger „nachweisen muss, dass es sich bei seinem Fall nicht um eine Slapp handelt“. Außerdem fordere man einen Mechanismus zur frühzeitigen Klageabweisung, der auf objektiven Kriterien beruht. Eine Überarbeitung des internationalen anwendbaren Privatrechts sei ebenfalls erforderlich, um die Möglichkeit des „Verleumdungstourismus“ zu verringern, ergänzt der EU-Abgeordnete.
Es brauche aber auch nicht-legislative Maßnahmen, um den Betroffenen von Slapps Unterstützung bieten zu können. Dazu zählt laut Wölken neben EU-Fonds zur finanziellen Unterstützung von Slapps-Opfern auch die Schulung von Richtern und Rechtspraktikern zu dem Thema sowie der Aufbau einer Datenbank zur besseren Überwachung der Ausbreitung von Slapp-Klagen in der EU.
Der luxemburgische Journalistenverband bietet schon jetzt Hilfe für Betroffene an: „Wir haben seit letztem Jahr eine Rechtshilfe eingerichtet, die unsere Mitglieder in Anspruch nehmen können“, sagt Caregari. Der Verband habe eine Partnerschaft mit einer Anwaltskanzlei arrangiert und übernehme – sollte es sich um einen Slapp handeln – die Kosten für die juristische Erstberatung. Kollegen, die sich mit einem Slapp konfrontiert sehen, rät er: „Nicht in Panik geraten, nicht unterkriegen lassen.“ Man solle den Fall dem Verband oder dem Presserat melden, dort könne auch entsprechend weitervermittelt werden. Und: „Für Öffentlichkeit sorgen“, ergänzt Caregari.
Reaktionen aus der Luxemburger Politik
Der Piraten-Abgeordnete Sven Clement sagt gegenüber dem Tageblatt: „Die Intention des Gesetzgebers ist klar. Klagen gegen die Presse sollen zuerst über den ‚Conseil de presse’ gehen und anschließend erst vor Gericht behandelt werden.“ Wenn sich die Gerichte aber trotz der im Pressegesetz verankerten Prozedur dafür zuständig sehen – und das müsse dann wohl erst von der Justiz durch ein Urteil bestätigt werden –, könne der Gesetzgeber aktiv werden. „Da will ich aber nicht vor den Karren springen und der Justiz vorgreifen“, sagt Clement. Das Hauptproblem bei solchen Klagen sieht der Abgeordnete in der Kostenfrage. „Auch die Personen, die zu Unrecht angeklagt werden und schlussendlich freigesprochen werden, haben nachher Gerichts- und Anwaltskosten zu tragen. Das ist aber eine allgemeine Diskussion und nicht nur auf die Slapp-Suits bezogen.“
„Ich habe den Begriff der Slapp-Suits bisher noch nicht gekannt“, sagt der ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser. „Das beweist aber, wie stark die Justiz ist, wenn solche Mittel möglich sind.“ Es könne durchaus sein, dass man sich in Luxemburg demnächst mit dem Thema auseinandersetzen müsse. „Prinzipiell verteidigen wir die Pressefreiheit“, sagt Kartheiser. „Damit korreliert aber auch eine gewisse Verantwortung.“ Ob eine solche Klage nun gerechtfertigt sei oder nicht, müsse schlussendlich ein Richter entscheiden. Die Pressefreiheit müsse in Anbetracht solcher Klagen geschützt werden. „Wenn aber die Presse Menschen diffamiert, müssen sich diese zur Wehr setzen können“, ergänzt Kartheiser.
Die CSV-Fraktionsvorsitzende Martine Hansen sagt, die Position der CSV zu dem Thema sei klar: „Wir sind für eine Gesetzgebung, die Journalisten schützt.“ Slapps nutzen laut ihr das Justizsystem aus und trieben Menschen so in den Bankrott. „In Luxemburg sind wir in der Hinsicht noch nicht aktiv geworden“ – wenn die EU in der Hinsicht aktiv würde, werde man aber selbstverständlich mitziehen.
Solidaritätsbekundungen in den sozialen Medien
Dennoch: Auch wenn die Stimmen unter den Tageblatt-Beiträgen in den sozialen Medien derzeit teilweise recht laut scheinen und immer wieder auf Einschüchterung aus sind, bekundeten nach kritischer Berichterstattung viele Menschen ihre Solidarität. Einigen davon kennen die Slapp-Methode bereits. Twitter-Userin Géraldine Haller schreibt beispielsweise in einem Tweet zum jüngsten Tageblatt-Editorial unseres Chefredakteurs: „Absolut richtig vom @tageblatt.lu! Anwälte bemühen, um jemanden mundtot zu machen, eine bekannte Praktik, die euch hoffentlich nicht einschüchtert. Die große Mehrheit steht hinter euch.“
Absolut richteg vum @tageblatt_lu!
Elo Affektoten beméihen fir een monddoud ze maan; eng bekannte Praktik, déi Iech hoffentlech net aschüchtert. Di grouss Majoritéit steet hannert Iech.Warum wir uns nicht von Schwurblern erpressen lassen https://t.co/cTMpHwHnWC
— Géraldine Haller (@GeraldineHaller) December 16, 2021
Weitere Tweets klingen ähnlich: „100% Solidaritéit mat de Journalist*Innen vum @tageblatt_lu“, schreibt zum Beispiel der Journalist und Aktivist Philippe Schockweiler. Max Leners, Anwalt, LSAP-Politiker und Generalsekretär der Fondation Krieps, twittert zum Tageblatt-Leitartikel: „Die Schwurbler versuchen, das @tageblatt_lu, die freie Presse, durch juristischen Hokuspokus einzuschüchtern. Eine weitere Säule unserer Demokratie wird attackiert. Aktuell sind die, die ‚Diktatur’ rufen selbst die größte Gefahr für unsere Demokratie.“
Wir bedanken uns für die unglaubliche Solidarität mit dem Tageblatt. Wenn Sie kritischen Journalismus unterstützen wollen, hier der einfachste Weg: Support Tageblatt.
Wie steht es momentan um die Pressefreiheit?
Das Großherzogtum liegt derzeit laut dem Pressefreiheit-Ranking von Reporter ohne Grenzen auf Platz 20 von 180 – eine Verschlechterung zum vorherigen Ranking um drei Ränge. Auf Platz eins liegt derzeit Norwegen, gefolgt von Finnland, Schweden und Dänemark – den letzten Platz belegt Eritrea, den vorletzten Nordkorea. Luxemburgs Nachbarland Deutschland verschlechterte sich beispielsweise kürzlich um zwei Plätze vom 11. auf den 13. Rang und wird mittlerweile nicht mehr als „gut“, sondern nur noch als „zufriedenstellend“ eingestuft. Hauptgrund dieser Bewertung sei, dass Gewalt gegen Medienschaffende in Deutschland in 2020 eine noch nie dagewesene Dimension erreicht habe, heißt es auf der Webseite von Reporter ohne Grenzen. Mindestens 65 gewalttätige Angriffe gegen Journalisten seien dort vergangenes Jahr gezählt worden. Damit habe sich die Zahl im Vergleich zum Jahr 2019 verfünffacht. Generell haben Journalisten vielerorts einen riskanten Job – das zeigt unter anderem das Barometer der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen für das laufende Jahr. Demnach wurden 2021 weltweit 36 Journalisten, vier Medienmitarbeiter und vier Blogger oder Bürgerjournalisten im Zusammenhang mit ihrem Beruf getötet, 489 weitere sitzen in Haft.
De Maart
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