Freitag24. Oktober 2025

Demaart De Maart

ÖsterreichSkandal um vertuschte Missbrauchsfälle im Kinderdorf – auch der Gründer ist involviert

Österreich / Skandal um vertuschte Missbrauchsfälle  im Kinderdorf – auch der Gründer ist involviert
Die Einfahrt zum SOS-Kinderdorf im österreichischen Moosburg Foto: Wolfgang Jannach/APA/dpa

Ein jahrzehntelang vertuschter Missbrauchsskandal erschüttert SOS-Kinderdorf in Österreich. An mutmaßliche Opfer des verstorbenen Gründers Hermann Gmeiner zahlte die in 153 Ländern vertretene Organisation Entschädigungen.

„Die Geborgenheit eines Zuhauses für jedes Kind“ – so wirbt „SOS Kannerduerf Lëtzbuerg“ um Spenden für eine gute Sache, die ihren seit 39 Jahren toten Gründer zu einer der angesehensten Persönlichkeiten der Alpenrepublik gemacht hatte. Nicht weniger als 146 Auszeichnungen aus aller Welt listet die SOS-Webseite auf, der Dalai Lama und Mutter Teresa zählten zu Gmeiners Freunden. Schon 1958 hatte ihn der „Urwalddoktor“ und Pazifist Albert Schweitzer für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

Doch seit gestern ist der gute Ruf, der bis heute das Kapital der auf Spenden angewiesenen Kinderdorffamilie ist, ruiniert. Als vorläufigen Höhepunkt eines Missbrauchsskandals gab die Organisation am Donnerstag bekannt, dass Gmeiner im Verdacht stand, an zumindest acht minderjährigen Burschen sexuelle Gewalt und Misshandlungen ausgeübt zu haben. Alle acht Betroffenen wurden mit bis zu 25.000 Euro entschädigt, zudem wurden Psychotherapien bezahlt. Die mutmaßlichen Opfer hätten „die Geschehnisse im Rahmen des Opferschutzverfahrens plausibel dargelegt“, so SOS-Geschäftsführerin Annemarie Schlack. Es habe aber keine forensische Untersuchung gegeben. Weitere Betroffene könnten nicht ausgeschlossen werden. Die Meldungen stammen aus Opferschutzverfahren der Organisation in den Jahren 2013 bis 2023. Die Übergriffe selbst sollen in den 1950er- bis 1980er-Jahren an vier Standorten in Österreich stattgefunden haben.

Erzwungene Offenheit

Das heißt: Jahrelang, wenn nicht jahrzehntelang war die Affäre verschwiegen worden. Und auch die jüngste Mitteilsamkeit der SOS-Geschäftsführung ist weniger später Einsicht als vielmehr den Enthüllungen des Nachrichtenmagazins „Falter“ geschuldet. Dieses hatte den Fall im September mit einem Bericht über Vorwürfe gegen das Kinderdorf in Moosburg (Kärnten) ins Rollen gebracht. Ein Mädchen sei drei Jahre hindurch jeden Abend in sein Zimmer weggesperrt worden. Kinder seien geschlagen und auch nackt fotografiert worden. Ein leitender Pädagoge soll sie mit nach Hause genommen haben, was zumindest absolut unprofessionell wäre.

Erst aufgrund dieser Vorwürfe kündigte die Institution eine externe Evaluierung an. Kurz darauf kamen schon Anschuldigungen gegen weitere Kinderdörfer ans Licht, so auch am Tiroler Standort Imst, dem ersten, 1949 gegründeten Kinderdorf. Mittlerweile ermitteln die Staatsanwaltschaften in Klagenfurt, Innsbruck sowie Salzburg aufgrund der Vorwürfe. Etwaige Betroffene werden ersucht, sich an die Meldestelle [email protected] zu wenden. Außerdem wurde eine Whistleblowing-Plattform eingerichtet, da auch Beschäftigte Wissen über Vorfälle haben könnten und wahrscheinlich haben.

Früher hatten eher „Verräter“ mit Folgen zu rechnen. Im Jahr 2020 hatte ein Mitarbeiter mit seinen Informationen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Klagenfurt gegen einen ehemaligen Leiter des Kinderdorfs Moosburg und eine weitere Person eingeleitet. Es ging um den Vorwurf von Missbrauchsdarstellungen Minderjähriger und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses während eines Ferienlagers in Italien. Die Ermittlungen wurden eingestellt, dafür handelte sich der Mann, der die Anzeige eingebracht hatte, selbst ein Verfahren wegen Verleumdung ein. Nach einem Schuldspruch in erster Instanz wurde er erst durch das Urteil eines übergeordneten Gerichts freigesprochen.

Seit zwei Wochen arbeitet eine unabhängige Reformkommission an der Aufklärung von Missständen in allen österreichischen SOS-Kinderdörfern. Geleitet wird sie von der ehemaligen Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und NEOS-Präsidentschaftskandidatin Irmgard Griss. Der Kommission stehen alle Archive offen. Geschäftsführerin Schlack verspricht, man werde sich von der Vergangenheit „nicht durch ein Update, sondern durch einen umfassenden Neustart“ trennen. Das wird auch nötig sein, um das schwer erschütterte Vertrauen vieler Spender wieder zurückzugewinnen.