Sonntag19. Oktober 2025

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EU-ParlamentShowdown in Brüssel: Kommissar-Anwärter als „Geiseln“

EU-Parlament / Showdown in Brüssel: Kommissar-Anwärter als „Geiseln“
Mit dem italienischen Postfaschisten Raffaele Fitto haben viele EU-Parlamentarier vor allem politische Schwierigkeiten: Sie wollen keinen Rechtspopulisten als Stellvertreter in der EU-Kommission Foto: Nicolas Tucat/AFP

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Einen Kommissar-Anwärter nach dem anderen unterzieht das Europaparlament einem minutiösen Eignungstest. Den Großkonflikt hat sich die Regie für das Finale aufgehoben. Und tatsächlich knallt es um den italienischen Rechtspopulisten Raffaele Fitto gewaltig – werden im Gegenzug auch liberale und sozialdemokratische Kandidaten in Frage gestellt?

Eigentlich könnte es für den 55-jährigen Italiener ein Heimspiel sein. Als er vor fünf Jahren in diesem Alcide-de-Gasperi-Saal des Europaparlaments in Brüssel gesessen habe, sei er einer von ihnen gewesen, sagt Raffaele Fitto den ihn kritisch taxierenden Abgeordneten gegenüber. Inzwischen sei er als Regionalpräsident Mitglied im Ausschuss der Regionen der EU gewesen, als italienischer Minister Mitglied im Ministerrat der EU. Und nun soll er die Mittelverteilung für die Angleichung der Lebensverhältnisse in den Regionen als neuer EU-Kommissar in die Hand nehmen. Soll sagen: Seht her, es passt bei mir alles zusammen. Doch vielen im Saal passt es ganz und gar nicht, dass Fitto als Mitglied der postfaschistischen italienischen Regierungspartei nominiert wurde. Und noch viel weniger: dass er auf einem der zentralen Vizepräsidentenposten der Kommission besonderen Einfluss auf die Gestaltung der EU bekommen soll.

Wenn Europa dem Trumpismus entgegentreten will, darf es keinen Postfaschisten als Vizepräsidenten nominieren

Michael Bloss, Grünen-Abgeordneter

Es herrscht also das Gegenteil von Heimspielatmosphäre. Es liegt an diesem Dienstag Blei in der Luft. Noch ist die aggressive Stimmung auf diesen Saal beschränkt. Zeitgleich wird ein paar Schritte weiter eine weitere Anwärterin auf einen Vizepräsidentschaftsposten examiniert. Aber Kaja Kallas, die liberale Estin, die ihren Job als Ministerpräsidentin aufgegeben hat, um neue Außenbeauftragte der EU und damit auch automatisch Kommissions-Vizepräsidentin zu werden, macht politisch seit langem „bella figura“, wie es in Fittos Sprache ausgedrückt würde. Sie weiß sich in außenpolitischen Herausforderungen zielsicher, bestimmt und zugleich verbindlich auszudrücken. An ihr scheiden sich keine Geister. Die werden erst am Nachmittag und in der Nacht wieder durch die Reihen der Abgeordneten schweben, wenn es zum großen Showdown kommt: Wenn Mitte-Links den rechtspopulistischen Fitto über die Klinge springen lässt, dann soll sich Mitte-Links um den liberalen Franzosen Stéphane Séjourné genauso sorgen wie um die sozialdemokratische Spanierin Teresa Ribera, lautet die Warnung von Mitte-Rechts.

Die Grünen nennen das „Geiselhaft“. Es brauche nun demokratische Prozesse und keinen Kindergarten, meint Grünen-Klimapolitiker Michael Bloss. Und er sieht eine aktuelle Parallele: „Wenn Europa dem Trumpismus entgegentreten will, darf es keinen Postfaschisten als Vizepräsidenten nominieren“, warnt der Europaabgeordnete. Das F-Wort nimmt in der Anhörung die spanische Grünen-Abgeordnete Ana Miranda Paz erstmals in den Mund: „Sie haben mit dem Neo-Faschismus zusammengelebt, wollen Sie bei dieser Vergangenheit wirklich europäischer Kommissar werden?“, fragt sie ihn. Fitto bedankt sich sarkastisch für diese „respektvolle“ Frage und meint, wenn er als Faschist gesehen werde, könne er auch nicht mehr helfen. „Das hat nichts mit der Realität zu tun“, versichert er.

Entscheidung fällt am Mittwoch

Seine Taktik besteht zum einen aus dem Hinweis auf seine christlich-zentristischen Phasen seiner Jahre als Parlamentarier in Brüssel und in einer Unterscheidung: „Jeder hat seinen politischen Werdegang, das ist das eine – und die institutionelle Rolle, das ist das andere.“ Er sei bei dieser Anhörung nicht, um eine politische Partei zu vertreten, auch nicht, um ein Land zu vertreten, sondern um seine „Überzeugungen für Europa zu bekräftigen“, versichert Fitto.

Mitglieder der Fraktion der Konservativen und Reformer, die auch Fittos Fratelli-Abgeordnete in ihren Reihen haben, bescheinigen ihm, der richtige Kandidat zu sein. Doch vor allem Liberale und Grüne versuchen, ihn regelrecht auseinanderzunehmen. Die niederländische Liberale Raquel Garcia hält ihm sein früheres Abstimmungsverhalten gegen ein EU-Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn, gegen einen besseren Schutz für Frauen vor und fordert ihn auf, sich von diesen Positionierungen explizit zu distanzieren. Der deutsche Grüne Rasmus Andresen wirft ihm vor, dass es bei seinem Umgang mit EU-Regionalgeldern in Italien zu „zahlreichen Unregelmäßigkeiten“ gekommen sei. „Wie können wir darauf vertrauen, dass Sie das als Kommissar besser verwalten als als Minister?“, will Andresen wissen. Nach der Anhörung steht für ihn jedenfalls fest, dass Fitto in seiner Anhörung „nicht überzeugt“ hat.

Ob es das für den Italiener war oder nicht, muss erst noch warten. Eigentlich sollten die Koordinatoren bereits am frühen Nachmittag sehen, ob sich eine Drei-Viertel-Mehrheit für Fitto findet und wie das Verfahren weitergeht, wenn diese Voraussetzung verfehlt wird: Weitere Fragen, eine weitere Anhörungsrunde oder gleich eine Ausschusssitzung, in der dann die einfache Mehrheit reicht? Doch die Mehrheit will noch gar kein Votum und setzt eine Vertagung auf den Mittwoch durch. Das scheint das Kalkül von EVP-Fraktionschef Manfred Weber zu sein: Alle Bewertungen zurückhalten, auch die für Séjourné und Ribera in der Nacht zum Mittwoch, um sie dann nebeneinander betrachten zu können. Und dann entweder alle durchzuwinken oder alle scheitern zu lassen. So richtet sich Brüssel am Dienstag auf High Noon am Mittwoch ein.