Selbst Serbiens ranghöchster Bittsteller kann sich über die nochmals gewährte Galgenfrist kaum freuen. Er danke den USA für den Serbien gezeigten „Respekt“, versicherte Präsident Aleksandar Vucic zu Wochenbeginn ungewöhnlich kleinlaut, nachdem Washington die angekündigten Sanktionen gegen den Mineralölkonzern NIS auf Drängen Belgrads noch einmal vom 1. auf den 9. Oktober verschoben hatte: „Aber in wenigen Tagen werden wir vor derselben Frage stehen, auf die wir keine Antwort haben.“
Egal, ob Belgrad erneut einen Sanktionsaufschub erbetteln kann oder nicht: Der Preis, den Serbien für die Sanktionen zu bezahlen habe, werde „ausgesprochen teuer“ sein, fürchtet Vucic: „Es erwartet uns eine schwere Zeit – und ein schwerer Winter.“ Die Sanktionen könnten sich als „der schwerste Schlag seit der NATO-Bombardierung 1999“ erweisen, unkt gar der Ökonom Branislav Jorgic: „Der Staat sollte dafür bereits eine Strategie haben.“
Doch obwohl das Damoklesschwert der US-Sanktionen bereits seit Jahresbeginn über der NIS baumelt, ist Ratlosigkeit nicht nur im Belgrader Präsidentenpalast Trumpf. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 hatte der zwischen Ost und West schlingernde Balkanstaat hartnäckig die Übernahme der EU-Sanktionen abgelehnt – und seinen Verweigerungskurs auffällig gleichgültig mit dem völligen Stillstand seiner EU-Annäherung bezahlt.
Es erwartet uns eine schwere Zeit – und ein schwerer Winter
Doch gegenüber Washington scheint Serbiens Politik des tatenlosen Aussitzens und des Hoffens auf ein baldiges Ende des Ukraine-Kriegs an ihre Grenzen zu stoßen. Mit dem mehrheitlich russisch kontrollierten Mineralölkonzern NIS droht der US-Bannstrahl eines der wichtigsten Schlüsselunternehmen des EU-Anwärters zu treffen: Mit Abgaben von rund zwei Milliarden Euro im Jahr speist der Raffinerie-Gigant bisher zu gut einem Zehntel den Staatshaushalt.
NIS-Anteile billig an Moskau verscheuert
Moskau nutze auch die NIS-Profite zur Finanzierung des Ukrainekriegs, begründet Washington die bereits vor dem US-Machtwechsel Mitte Januar erhobene Forderung, die russische Mehrheitsbeteiligung an der NIS auf null zu reduzieren. Zwar wurde das anfängliche 45-Tage-Ultimatum zunächst monats-, dann wochen- und zuletzt tageweise bereits sieben Mal verlängert. Doch die Hoffnung Belgrads, dass die neue US-Administration mehr Verständnis für die serbischen Nöte haben könnte als die alte, hat sich als vergeblich erwiesen.
Unerbittlich pocht Washington auf eine serbische Übernahme der russischen, von zwei Gazprom-Töchtern gehaltenen Mehrheitsbeteiligung von insgesamt 56,2 Prozent. Doch bisher zeigt Moskau keine Neigung, dem in die Energiezwickmühle geratenen Bruderstaat mit einem freiwilligen Rückzug aus der hoch profitablen NIS aus der Patsche zu helfen.
Als Dank für Moskaus Unterstützung in Serbiens Windmühlenkampf gegen die Unabhängigkeit des Kosovo hatte Belgrad 2008 eine Mehrheitsbeteiligung an der NIS für nur 400 Millionen Euro weit unter Marktwert an die Gazprom verscheuert. Am besten wäre es, wenn die Russen ihre NIS-Beteiligung nun den Amerikanern verkaufen würden, sagt der Publizist Milan Culibrik. Doch Moskau sei daran gelegen, diese zu halten: Für die Russen sei NIS „eine Karte, die sie im geopolitischen Spiel nutzen, sobald es ihnen nötig scheint“.
Nicht nur die Versorgung der NIS-Raffinerien mit Rohöl über die kroatische Janaf-Pipeline wird bei Inkrafttreten der Sanktionen zum Erliegen kommen. Banken pflegen meist, Geschäftskontakte mit unter US-Sanktionen stehenden Unternehmen abzubrechen, um nicht selbst zu deren Opfern zu werden.
Auch Gaslieferungen könnten ausbleiben
70 Prozent aller Erdölderivate in Serbien werden bisher von NIS produziert. Die Tankstellenketten könnten zwar vermehrt auf importiertes Benzin zurückgreifen. Doch nicht nur den Staat drohen die Sanktionen gegen NIS in Form von erheblichen Steuerausfällen zu treffen. Benzinpreiserhöhungen und den zu erwartenden Inflationsschub hätten alle Konsumenten auszubaden.
Zu allem Übel kommt auf dem Balkan ein Energieproblem selten allein. Noch immer hat Moskau das Ende Mai ausgelaufene Gaslieferungsabkommen mit Serbien nicht verlängert – möglicherweise auch, um Belgrad beim Tauziehen um NIS an der Kandare zu halten. Ende September kündigte die Regierung des EU-Nachbarn Bulgarien mit Verweis auf die EU-Sanktionen an, ab Januar 2026 keine kurzfristigen russischen Transitgaslieferungen mehr weiterzuleiten.
Doch auch beim Gas hängt Serbien noch immer zu 90 Prozent am russischen Brudertropf. Zwar kündigte Vucic in dieser Woche an, dass Serbien „in Zukunft“ den Gasimport aus Aserbaidschan erhöhen werde. Doch die Diversifizierungsanstrengungen kommen spät. Kritiker werfen Belgrad vor, sich bewusst und selbst in die nahezu totale Energieabhängigkeit von Russland manövriert zu haben. Serbiens Staats- und Regierungsführung hätten sich in den letzten zehn bis 15 Jahren beim Gas nach Kräften darum bemüht, „keine Alternative zu haben“, ätzt der Ökonomie-Professor Goran Radosavljevic.
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