Die Soldatin war vor Jahresfrist in russische Kriegsgefangenschaft geraten. Immer wieder wurde sie zu Scheinfreilassungen gekarrt und dann doch wieder zurück in ihre Zelle gebracht. Als sie am Mittwochabend doch noch frei kam, glaubte sie ihren Augen erst nicht.
Da standen sie, vier Kolleginnen und 225 Kollegen, manche mit ukrainischen Flaggen über den Schultern, elend, verletzt, müde, irgendwo auf einem nächtlichen Platz. Sie wurden auf Ukrainisch begrüßt. Das Leid und die Ungewissheit waren zu Ende. Der Traum der Freilassung nach sechs oder auch 19 Monaten endlich wahr geworden.
Kiew und Moskau hatten in zähen monatelangen Verhandlungen den größten Austausch von Kriegsgefangenen seit Beginn der russischen Invasion vor fast zwei Jahren vollzogen. Vermittelt hatten die Vereinigten Arabischen Emirate, die mit beiden Kriegsparteien freundschaftliche diplomatische Beziehungen unterhalten. Insgesamt kamen 488 Gefangene auf beiden Seiten frei. Moskau hatte auf einer leicht höheren Zahl russischer Kriegsgefangener bestanden.
Ich hoffe, der Gefangenaustausch wird 2024 systematisch. Bereits in den nächsten Wochen soll es einen neuen geben.
Zuvor war der Austauschprozess für mehr als fünf Monate völlig zum Erliegen gekommen. Mitte November legte Moskau das ganze Programm auf Eis. „Verhandelt wurde dennoch immer weiter“, sagte Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj am Mittwochabend kurz nach der Freilassung. Diese kam zustande, obwohl erst Mitte Dezember mehrere ukrainische Kriegsgefangene beim Frontdorf Robotyne im Oblast Saporischtschija von russischen Soldaten hingerichtet worden waren.
Immer wieder kommt es in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine oder Russland selbst zu klaren Verletzungen der Genfer Konvention über Kriegsgefangene von 1949. Laut UNO-Angaben waren bis Sommer 2023 mindestens sechs Hinrichtungen von ukrainischen Kriegsgefangenen belegt. Laut Kiew werden diese auch immer wieder als menschliche Schutzschilde bei russischen Angriffen missbraucht. Am Mittwoch kamen dazu sechs illegal festgehaltene Zivilisten frei, darunter ein Professor einer Universität im inzwischen russisch besetzten Luhansk.
Kein Zugang für Rotes Kreuz
Nach dem neuesten Gefangenenaustausch sollen rund 2.900 Ukrainer seit Invasionsbeginn freigekommen sein. Doch weit über 10.000 sollen sich noch in russischer Gefangenschaft befinden. Genaue Zahlen kennt niemand, denn die Kriegsparteien äußern sich dazu nicht. In der Ukraine ist einzig ein manchmal der internationalen Presse vorgeführtes Vorzeige-Gefängnis für ein paar hundert russische Kriegsgefangene in der Nähe von Lwiw bekannt. Dort sind die Bedingungen mit internationalen Normen kompatibel. Was in Russland und in den prorussischen Separatistengebieten mit ukrainischen Kriegsgefangenen geschieht, ist weitgehend unbekannt. Im persönlichen Gespräch berichten ehemalige Kriegsgefangene von physischer und psychischer Folter. Selbst das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) hat in den allermeisten Fällen keinen Zutritt zu diesen Gefangenen. „Die Lage in Russland ist für uns schwieriger als in Gaza“, gesteht ein IKRK-Vertreter in einem informellen Gespräch in Warschau.
Dies könnte sich jedoch im neuen Jahr ändern, glaubt Menschenrechts-Ombudsmann Dmytro Lubinets: „Ich hoffe, der Gefangenenaustausch wird 2024 systematisch. Bereits in den nächsten Wochen soll es einen neuen geben“, berichtete der Ukrainer am Donnerstag im Fernsehen optimistisch. Auch habe man den Gefangenen erstmals Winterkleider und warme Decken nach Russland senden dürfen.
De Maart
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