10. November 2025 - 18.33 Uhr
GroßbritannienSchwere Krise bei der BBC: Intendant tritt wegen journalistischer Fehler zurück
Was hat den Schritt ausgelöst? Ein Beitrag im Fernsehmagazin „Panorama“. Zur besten Sendezeit wurde darin im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2024 die Karriere von Donald Trump, vor allem seine erste Amtszeit, nachgezeichnet. Zum Sturm gewalttätiger Trump-Anhänger aufs Kapitol im Januar 2021 zeigte der Film zwei Zitate des Präsidenten vom selben Tag, ohne deutlich zu machen, dass sie aus verschiedenen Teilen seiner Rede stammten. Für die Zuschauer konnte der Eindruck entstehen, Trump habe seine Anhänger dazu aufgefordert, zu „kämpfen wie der Teufel“ (fight like hell).
Den klaren journalistischen Fauxpas mochten die Verantwortlichen lange nicht einräumen, eine interne Untersuchung dümpelte vor sich hin. Nachdem vergangene Woche der konservative Telegraph den Fall aufgegriffen hatte, sprach das Weiße Haus von „fake news“; drohend stand eine Klage des unberechenbaren 79-Jährigen am Horizont, der in den USA bereits mehrfach unbotmäßige Medien mit Prozessen überzogen hat.
Offenbar kam es im 14-köpfigen BBC-Aufsichtsrat zu einem mehrtägigen Tauziehen um die beste Vorgehensweise, der Medienausschuss des Unterhauses stellte bohrende Fragen zur Trump-Affäre. Generaldirektor Davie und Nachrichtenchefin Deborah Turness akzeptierten ihre Verantwortung, stellten sich aber gleichzeitig vor den Sender. „BBC News leidet nicht an institutionell verankerter Voreingenommenheit“, betonte Turness.
Wie fielen die Reaktionen aus? Im BBC-Radiomagazin „Today“ sprach Moderator Nick Robinson von „Lähmung an der Spitze“, weil die BBC eine Woche lang nicht auf die Telegraph-Vorwürfe reagiert hatte. Der frühere Abteilungsleiter Peter Fincham bescheinigte seinem Ex-Arbeitgeber eine „Bunkermentalität: Es zählt zu den schlechten Angewohnheiten der BBC, sich totzustellen und das für normal zu halten.“ Der frühere Chefredakteur des Boulevardblatts The Sun, David Yelland, beklagte „einen Putsch“ konservativer Kräfte innerhalb und außerhalb der BBC.
Konservative und Rechte wettern gegen den Sender
Hingegen begrüßte die konservative Oppositionsführerin Kemi Badenoch die Entwicklung. Reform-Parteichef Nigel Farage gibt der BBC „eine letzte Chance“. US-Präsident Trump zeigte sich begeistert, schließlich sei die infrage stehende Rede „sehr gut (perfekt!)“ gewesen.
Welche anderen Vorwürfe gibt es? Die Berichterstattung des Telegraph stützt sich auf das schriftliche Gutachten des Medienexperten Michael Prescott. In der Berichterstattung des arabischsprachigen BBC Arabic herrsche „Voreingenommenheit gegenüber Israel“. Das Papier erinnert auch an die Kontroverse um einen Film aus dem Gaza-Krieg, in dem ein 14-Jähriger als Erzähler fungierte, ohne dass er als Sohn eines Hamas-Funktionärs identifiziert wurde. Beim Musikfestival Glastonbury strahlte die BBC live antisemitische Hassparolen des Rappers Bob Vylan aus.
Prescott kritisiert auch die Berichterstattung über das hochumstrittene Thema von Transsexuellen. Bei Gender-Fragen gebe die BBC ihren sogenannten „Identitätskorrespondenten“ zu viel Raum.
Wie positioniert sich Davie? Die Erklärung des 58-Jährigen lässt auf tiefgehende Frustration über den Aufsichtsrat und dessen Vorsitzenden Samir Shah schließen. Sein weltweit geachtetes Medienunternehmen gehöre „unbedingt zu einer gesunden Gesellschaft“, argumentiert Davie: „Wir sollten uns für die BBC starkmachen, anstatt sie als Waffe einzusetzen.“ Offenbar spielt der Generaldirektor darauf an, dass „Tantchen Beeb“ in den Auseinandersetzungen um Europa, um die Rechte von Trans-Menschen, um die britische Antwort auf den Gaza-Krieg oder den Berserker im Weißen Haus beinahe täglich unter Beschuss von Interessengruppen und Schreihälsen beider Seiten steht.
Verlässlichste Informationsquelle
Die konservativen Brexit-Regierungen, insbesondere unter Premier Boris Johnson (2019-22), ließen kaum ein gutes Haar an der BBC. Der Sender sei zu links, zu liberal, zu urban, zu europäisch. Printmedien wie das rechte Intellektuellen-Magazin Spectator oder der Telegraph betreiben seit Jahren eine Vendetta gegen das globale Symbol britischer Soft Power. Verschwiegen wird dabei meist das kommerzielle Interesse der Besitzer. So gehört dem Spectator-Verleger und Hedgefondsmanager Paul Marshall auch ein erheblicher Anteil des rechten Senders GB News, dem die Aufsichtsbehörde Ofcom eine Mahnung nach der anderen zukommen lässt.
Der parteipolitische Druck auf die BBC hat seit dem Amtsantritt der Labour-Regierung nachgelassen, in diesem Jahr durfte der Sender nach jahrelanger Stagnation unter den Torys erstmals die Rundfunkgebühr um 2,9 Prozent auf jetzt 174,50 Pfund (198,62 Euro) pro Haushalt erhöhen.
Wie sieht die Zukunft aus? Verhangen. Auf der Suche nach neuen Finanzierungsmodellen ist die 103 Jahre alte Corporation auf das Wohlwollen von Regierung und Bevölkerung angewiesen. Die derzeitige Royal Charta läuft noch bis Ende 2027. Dann steht die Rundfunkgebühr im Zweifel. Besonders junge Leute sind mehr auf TikTok oder YouTube unterwegs als mit BBC-Programmen vertraut. In der politisch und medial gespaltenen Gesellschaft sinkt das Interesse an der Institution, die bei allen Fehlern unbestechliche und unparteiische Berichterstattung wenigstens anstrebt. Bis heute nennen die Briten die BBC in allen Umfragen als verlässlichste Informationsquelle, weit vor allen anderen Medien, geschweige denn Regierung oder Parlament.
De Maart
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