Donnerstag27. November 2025

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Nato-BeitrittSchweden und Finnland suchen den Schutz des Militärbündnisses

Nato-Beitritt / Schweden und Finnland suchen den Schutz des Militärbündnisses
Die schwedische Regierungschefin Magdalena Andersson empfing am Mittwoch ihre finnische Amtskollegin Sanna Marin (r.): Hauptdiskussionspunkt war ein Beitritt beider Länder zur NATO Foto: Paul Wennerholm/TT News Agency/AFP

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Mit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine nahm die Zahl der Befürworter eines NATO-Beitritts in Schweden und Finnland rasant zu. Jetzt geht es bereits um die Aufnahmeanträge, die in wenigen Wochen vorliegen sollen.

Zwei Staatsfrauen, zwei Länder, ein Problem: das aggressiv-kriegerische Russland als direkten Nachbarn. Bei einem Arbeitsbesuch in Stockholm besprachen Sanna Marin und Magdalena Andersson, die Regierungschefinnen von Finnland und Schweden, am Mittwoch die mögliche Lösung: Beitritt zur NATO. Beide dürften im Januar noch nicht für möglich gehalten haben, was sie nun unterstrichen: Dass „es“ keine Frage von Monaten, sondern nur noch von Wochen sein werde: Bereits beim NATO-Gipfel Ende Juni in Madrid könnten die Aufnahmeanträge auf dem Tisch liegen.

Dabei hatten sich die Länder in der Nachkriegsordnung Europas scheinbar dauerhaft in ihrer Bündnis-Neutralität eingerichtet. Beiden reichte seit 1995 die EU-Mitgliedschaft, die auch eine Beistandspflicht enthält. Doch die besagt nur, dass jedes Land im Fall des Falles selbst entscheidet, auf welche Weise es dem bedrohten Partner hilft. Bei der NATO zieht jedoch eine ganz andere Dimension: Ein Angriff auf einen wird als Kriegserklärung gegen alle gewertet – und entsprechend beantwortet.

Finnland hat bereits einschlägige Erfahrungen mit Moskau gesammelt. Im Herbst 1939 konfrontierte die Sowjetunion das unabhängige Land mit unannehmbaren Gebietsforderungen – und überfiel es dann Ende November mit einer weit überlegenen, brutal vorgehenden Armee. Die gerade noch in der Selbstfindung befindliche, militärisch weit unterlegene finnische Nation wehrte sich überraschend erfolgreich, konnte den Sowjetsoldaten unerwartet starke Verluste beibringen und die geplante Annexion des gesamten Landes verhindern. Allerdings musste Finnland in den Friedensverhandlungen im März 1940 erhebliche Gebietsverluste, vor allem in Karelien hinnehmen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich entlang der 1.340 Kilometer langen finnisch-sowjetischen Grenze ein oberflächlich freundliches Verhältnis, das von Machtdemonstration und vorauseilendem Gehorsam geprägt war. „Finnlandisierung“ wurde dafür der Begriff: Freiheit und Unabhängigkeit gegen Neutralität und eingeschränktem Bewegungsspielraum. Der finnische Langzeit-Präsident Urho Kekkonen verstand dieses Spiel, wehrte Gelüste auf einen Anschluss als finnische Sowjetrepublik ab. Einer Anekdote zufolge soll ihm bei einem Staatsbesuch von den Sowjets die Frage gestellt worden sein, warum es denn überhaupt noch einer Grenze bedürfe, wo man sich doch so gut verstehe. Seine in Finnland noch heute gerühmte angebliche Antwort: „Das frage ich mich auch, aber ich bin zu alt, um ein so großes Land zu führen.“

Zustimmung zu Beitritt groß

Der Respekt vor dem großen Nachbarn war über die Jahrzehnte begleitet von der Hoffnung, dass es sich um eine Gegenseitigkeit handelt. Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigte sich jedoch, was verbindlich abgegebene Garantien Russlands für unantastbare Grenzen noch wert sind, wenn ein Land schwach und ohne Bündnispartner erscheint. Schlagartig verwandelte sich die Zustimmung zur immerwährenden Neutralität in eine fieberhafte Suche nach mehr Sicherheit. Zuletzt erklärten 84 Prozent der Finnen, sie fühlten sich von Russland bedroht, auf 68 Prozent verdoppelte sich der Anteil der Befürworter eines NATO-Beitritts.

Auch im neutralen Schweden sind die Zustimmungswerte zu einem NATO-Schutz in die Höhe geschnellt. Immer wieder kam es zu Zwischenfällen in der Ostsee, und als während des schon laufenden Krieges gegen die Ukraine vier russische Kampfjets auch in den schwedischen Luftraum eindrangen, wurden die Möglichkeiten für kriegerische Konflikte zwischen den beiden Ländern überdeutlich. Schon beim russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze und den verstärkten russischen Aktivitäten von Kriegsschiffen in der Ostsee hatte Schweden demonstrativ gepanzerte Fahrzeuge auf seiner Insel Gotland auffahren lassen – diese liegt gerade mal 20 Flugminuten von der russischen Enklave Kaliningrad. Dort brachte Russland neue Raketensysteme in Stellung. Ausrichtung: Skandinavien. Mehrfach warnte Moskau Helsinki und Stockholm massiv vor einem NATO-Beitritt. Russland müsse dann die „Lage“ neu „ausbalancieren“, das sei mit „schwerwiegenden Konsequenzen“ verbunden.

Die Debatte läuft

Doch der Besuch Marins bei Andersson am Mittwoch diente bereits dem Ziel, aus den ungeordneten Schritten Richtung NATO ein abgestimmtes Vorgehen zu machen. Beide Regierungschefinnen verfassen für ihre Parlamente Analysen, in denen sie die Vor- und Nachteile einer NATO-Mitgliedschaft gegeneinander stellen. Finnland legte das Papier bereits am Mittwoch vor, Schweden will bis Ende Mai folgen. Damit wird die Debatte in den beiden Nationen formalisiert und in Richtung Entscheidung strukturiert. In beiden Parlamenten zeichnen sich breite Mehrheiten für den Beitritt ab.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg band beide Länder bereits seit Kriegsbeginn in die Bündnis-Bewertungen Russlands mit ein und betonte stets das Prinzip der „offenen Tür“. Keiner übe Druck aus, nur die Länder selbst und die NATO-Mitglieder hätten darüber zu entscheiden. Auch Russland nicht. Ob Ungarn mit dem Gedanken eines Vetos spielt, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.