RusslandSchon lange im Visier der Islamisten

Russland / Schon lange im Visier der Islamisten
Der afghanische Ableger des IS, der als Hauptverdächtiger beim Anschlag auf die Crocus City Hall gilt, rekrutiert einen Großteil seiner Kämpfer aus dem Kaukasus und Zentralasien Foto: AFP/Natalia Kolesnikova

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Hartnäckig versucht der Kreml eine Verbindung zwischen der Ukraine und dem Anschlag auf die Konzerthalle bei Moskau zu konstruieren. Dabei ist es nicht überraschend, dass die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS), die sich zu der Tat bekannte, in Russland zuschlug.

Die Islamisten wollen Moskau für seine Rolle in Afghanistan, Syrien und Afrika sowie seine Beziehungen zum Iran bezahlen lassen. Das Land ist „aus historischen und aktuellen Gründen ein offensichtliches Ziel“, sagt Jérôme Drevon, Islamismus-Experte der Organisation International Crisis Group. „Die sowjetische Invasion in Afghanistan 1979 und die darauf folgende zehnjährige Besatzung macht viele Dschihadisten immer noch wütend.“

Seit fast zehn Jahren unterstützt der Kreml zudem den syrischen Machthaber Baschar al-Assad militärisch im Krieg gegen islamistische Gruppen. Und im afrikanischen Mali arbeiten russische Söldner mit den herrschenden Militärs zusammen, um gegen das Extremistennetzwerk Al-Kaida und den IS vorzugehen.

Seit einigen Jahren schließlich nähert sich Moskau Teheran an, dessen schiitischer Islam den Sunniten des Islamischen Staates ein Gräuel ist. „Der IS nimmt Russland als Vorhut der schiitischen Welt wahr“, sagt Colin Clarke von der Denkfabrik Soufan Center in New York.

„Auf der Liste derer, die sie am meisten hassen, stehen die Schiiten noch über den Amerikanern, Israel und den sogenannten abtrünnigen Regimen.“ Im Januar bekannte sich der IS zu dem Anschlag im iranischen Kerman, bei dem 89 Menschen getötet wurden.

20 Millionen Muslime im Land

Hinzu kommt das feindselige Verhältnis der russischen Führung zu den muslimischen Minderheiten im Land. Die beiden Kriege in Tschetschenien 1994 und 2000 sowie das russische Vorgehen gegen islamistische Aufständische in Dagestan im Nordkaukasus haben ihre Spuren hinterlassen.

Die Haltung Moskaus gegenüber den etwa 20 Millionen Muslimen im Land sei schizophren, urteilt Frederik Kagan vom Thinktank American Enterprise Institute. Einerseits propagiere der Kreml Eintracht, zugleich dulde er die massive Diskriminierung der Millionen Migranten aus Zentralasien und dem Kaukasus.

Für ihren Krieg gegen die Ukraine rekrutiert die russische Armee zwar gern Männer aus den muslimischen Republiken des Landes. Gleichzeitig habe Präsident Wladimir Putin seit dem Überfall auf das Nachbarland eine Wende hin zu einer „ultranationalistischen, russifizierenden und christlich-orthodoxen Pseudoideologie“ vollzogen, welche die Ausgrenzung von Migranten verstärke, sagt Kagan.

Auch der usbekische Analyst Temur Umarow beschreibt wachsende ethnisch-religiöse Spannungen seit Beginn des Krieges im Februar 2022. „Fremdenfeindlichkeit ist unter Patrioten und Militärbloggern zur Norm geworden“, schreibt Umarow in einem Artikel für die Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace. Der „besonders migrantenfeindliche russische Sicherheitsapparat“ und die zunehmend repressive Gesetzgebung förderten diese Haltung.

Die von den russischen Behörden Beschuldigten, die am 22. März mindestens 144 Menschen in der Crocus City Hall getötet haben sollen, sind Tadschiken. Der afghanische Ableger des IS, der als Hauptverdächtiger gilt, rekrutiert einen Großteil seiner Kämpfer aus dem Kaukasus und Zentralasien.

Der Pool von potenziellen Attentätern sei riesig, sind sich die befragten Experten einig. Die Gefahr von weiteren islamistischen Anschlägen in Russland sei deshalb hoch – zumal die russischen Sicherheitsdienste völlig auf die Ukraine fixiert sind. (AFP)