Dienstag4. November 2025

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Ukraine-KriegRusslands Referendum in Cherson findet wegen ukrainischer Gegenoffensive nicht wie geplant statt

Ukraine-Krieg / Russlands Referendum in Cherson findet wegen ukrainischer Gegenoffensive nicht wie geplant statt
Ukrainische Soldaten sind an der Front bei Donezk: Kiew berichtet auch von Fortschritten im Osten Foto: dpa/Kostiantyn Liberov

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In der von ihnen besetzten ukrainischen Region Cherson wollte Russland ein Referendum durchsetzen. Angriffe der ukrainischen Streitkräfte machten dem Vorhaben vorerst einen Strich durch die Rechnung.

Die pro-russischen Behörden in der besetzten und derzeit stark umkämpften südukrainischen Region Cherson haben eine Verschiebung ihres geplanten Referendums über eine Annexion angedeutet. „Angesichts der aktuellen Entwicklungen glaube ich, dass wir im Moment eine Pause einlegen werden“, sagte der Chef der pro-russischen Behörden, Kirill Stremusow, am Montag im Fernsehen. Im ebenfalls von russischen Soldaten besetzten Atomkraftwerk Saporischschja wurde indes der letzte Reaktor vom Netz genommen.

Der pro-russische Verwaltungschef von Cherson, Stremusow, erklärte kurz nach seinem Interview indes im Online-Dienst Telegram, bei dem Annexionsreferendum gehe zwar „alles nicht so schnell wie geplant“. Die Abstimmung werde aber „auf jeden Fall“ stattfinden. „Niemand wird es absagen.“ Es gebe „keine Pause“, da zuvor kein Datum festgelegt worden sei. Die von Moskau eingesetzten Behörden in der Region Cherson sprechen seit mehreren Wochen von einem Referendum zur Annexion an Russland.

Die nun angekündigte Verzögerung sei eine „verständlicherweise pragmatische“ Entscheidung. Die pro-russischen Behörden seien derzeit mit ihrer „Hauptaufgabe“ beschäftigt: „die Bevölkerung zu ernähren und sie zu schützen“.

Ukraine meldet Geländegewinne

Zuvor hatte die Ukraine Fortschritte bei ihrer Gegenoffensive in der Region gemeldet. Nach Angaben des Südkommandos eroberten die ukrainischen Soldaten mehrere Gebiete zurück und zerstörten unter anderem ein Munitionsdepot, eine Pontonbrücke und ein Kontrollzentrum der russischen Armee. Die in den USA ansässige Denkfabrik Institute for the Study of War schrieb in einem Bericht von „verifizierbaren Fortschritten im Süden und Osten“ seitens der Ukraine.

Straflager für Ex-Journalisten

In einem umstrittenen Spionageprozess hat ein Gericht in Moskau den früheren russischen Journalisten Iwan Safronow wegen Hochverrats zu 22 Jahren Haft in einem Straflager verurteilt. Die Verteidigung kündigte Einspruch an. Das Urteil löste unter Journalisten und Menschenrechtlern Entsetzen aus. Safronow hatte zuvor ein Angebot abgelehnt, seine Schuld einzugestehen, um eine mildere Strafe von zwölf Jahren Haft zu erhalten. Der Kreml hatte mitgeteilt, die Vorwürfe gegen Safronow seien ernst. Demnach soll der 32-Jährige vertrauliche Informationen über Waffendeals und Einsätze der russischen Streitkräfte in Afrika und im Nahen Osten an ausländische Geheimdienste weitergegeben haben. Safronows Anwalt wies die Vorwürfe zurück und erklärte, der Journalist habe lediglich öffentlich zugängliche Quellen verwendet. Safronow sitzt seit seiner Festnahme vor zwei Jahren in Haft. Der Prozess lief unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Journalist schrieb früher für die Zeitungen „Kommersant“ und „Wedomosti“ über Militär- und Sicherheitsfragen. Vor seiner Festnahme arbeitete er für die russische Weltraumbehörde Roskosmos.

Die Region Cherson mit ihrer gleichnamigen Hauptstadt am Ufer des Dnipro grenzt an die 2014 – ebenfalls nach einem von Moskau organisierten Referendum – von Russland annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Als erste Großstadt der Ukraine war Cherson Anfang März kurz nach Beginn der russischen Offensive von der russischen Armee eingenommen worden. Die Region ist für die Landwirtschaft von zentraler Bedeutung und wegen ihrer Nähe zur Krim auch strategisch wichtig.

Im Atomkraftwerk Saporischschja wurde der letzte noch arbeitende Reaktor wegen eines „durch Angriffe ausgelösten Feuers“ vom Netz genommen, wie der ukrainische Betreiber Energoatom mitteilte. Dieses habe eine Stromleitung zwischen dem Kraftwerk und dem ukrainischen Stromnetz beschädigt. Laut der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) verfügte das AKW ursprünglich über vier Hauptleitungen zum ukrainischen Stromnetz. Drei davon seien schon „früher während des Konflikts“ abgeschnitten worden.

Die Welt ist erneut am Rande einer nuklearen Katastrophe

Der ukrainische Energieminister Galuschenko nach der Abkopplung des AKW Saporischschja

„Die Welt ist erneut am Rande einer nuklearen Katastrophe“, sagte der ukrainische Energieminister German Galuschenko nach Bekanntwerden der Abkopplung des AKW Saporischschja. Galuschenko forderte einen Rückzug des russischen Militärs und die Einrichtung einer entmilitarisierten Zone rund um das Kraftwerk.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schloss sich dieser Forderung in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj an. Die Sicherheit des AKW könne nur durch „einen Rückzug der russischen Truppen“ gewährleistet werden, sagte Macron laut seinem Büro. Es sei „zwingend notwendig“, die Sicherheit des AKW zu gewährleisten.

Zuletzt produzierte laut IAEA nur noch einer von sechs Reaktoren des AKW Strom „sowohl für die Kühlung als auch für andere wesentliche Sicherheitsfunktionen der Anlage und über das Stromnetz für Haushalte, Fabriken und andere“.

Eine Mission der IAEA unter Leitung ihres Vorsitzenden Rafael Grossi hatte vergangene Woche das AKW Saporischschja besucht. Sechs Inspekteure verblieben danach zunächst dort. Am Montag reisten vier Mitglieder des IAEA-Teams ab, zwei weitere würden allerdings „dauerhaft“ dort verbleiben, erklärte der ukrainische Betreiber Energoatom. Saporischschja ist das größte Atomkraftwerk Europas. Die Kämpfe rund um das AKW schüren die Angst vor einer Nuklearkatastrophe wie 1986 in Tschernobyl. (AFP, dpa)

Kritiker ohne Drucklizenz

Die russischen Behörden haben der wichtigsten unabhängigen Zeitung im Land die Drucklizenz entzogen und damit international Kritik ausgelöst. Die „Nowaja Gaseta“ teilte am Montag im Online-Dienst Telegram mit, ein Gericht in Moskau habe ihre Drucklizenz „für ungültig erklärt“. Das Urteil erfolgte nach einem durch die russische Medienaufsichtsbehörde eingeleiteten Verfahren. Die „Nowaja Gaseta“ erklärte weiter, die Zeitung werde durch das Gerichtsurteil „getötet“. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern würden 30 Jahre ihres Lebens gestohlen. „Den Lesern wurde das Recht genommen, Informationen zu erhalten.“ Der Chefredakteur der Zeitung, Dmitri Muratow, kündigte an, gegen die Entscheidung des Gerichts Berufung einlegen zu wollen. Er bezeichnete das Urteil als „politisch“. Das Gerichtsurteil fiel wenige Tage nach dem Tod des letzten sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow, der in den 1990er-Jahren an der Gründung der „Nowaja Gaseta“ beteiligt war. Chefredakteur Muratow, der 2021 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden, hatte bei der Trauerfeier die Prozession angeführt, die den Sarg aus dem Saal zur Beisetzung trug.