Überall liegen Trümmer herum, zwei rote Post-Lastwagen sind zerstört, vier weitere scheinen noch brauchbar. Getroffen wurde ein großes Lagerhaus der „Neuen Post“ am Stadtrand von Charkiw. Sechs Arbeiter waren sofort tot, ein weiterer erlag am Sonntag seinen Verbrennungswunden. Dazu kommen 16 Verletzte, acht von ihnen mit sehr schweren Verbrennungen.
Auf der russischen Seite wiederum wollen die Ukrainer allein an diesem Wochenende über 1.000 Soldaten getötet haben. Die meisten von ihnen dürften rund um die kleine Industriestadt Awdijewka unweit von Donzek gefallen sein. Dort hat das russische Heer nämlich ausgerechnet vor zwei Wochen massiven Druck auf die noch ukrainisch kontrollierte Stadt ausgeübt. Während die ganze Welt auf Israel blickt, machen die Russen im Norden und Süden der seit Kriegsbeginn von drei Seiten eingekesselten Stadt Geländegewinne. Nach Soledar und Bachmut im Frühsommer soll nun vor Einbruch des Winters auch die letzte ukrainische Stadt direkt an der Frontlinie eingenommen werden.
Am Freitag haben die Russen offenbar den größten Teil der Mülldeponie etwas außerhalb von Awdijewka erobert. Diese stinkenden Abfallberge liegen gut fünf Kilometer nördlich von Donezk, der einstigen „Hauptstadt“ der im April 2014 einseitig ausgerufenen, prorussischen „Volksrepublik Donezk“ (DNR). Die vor der russischen Invasion rund 40.000 Einwohner zählende Stadt ist vor allem wegen des für den ganzen Donbass wichtigen Kokswerks am nördlichen Stadtende bekannt. Noch immer harren dort 1.600 Zivilisten aus. Diese sollen nun laut Bürgermeister Witalij Barabasch evakuiert werden. Dies hat das Rathaus am Sonntag beschlossen.
Den ukrainischen Truppen ist es offenbar bisher gelungen, das ganze Stadtgebiet – bis auf die Abfallberge am südlichen Ende – zu halten. „Trotz großer Verluste greifen die Russen jede Nacht an“, sagte am Wochenende ein ukrainischer Militärsprecher. Inzwischen setzten die Russen mehr Drohnen ein, auch seien Roboter beobachtet worden, die die Stellungen mit Munition versorgten. „Der Gegner unternimmt alles, um unsere Verteidigungslinien zu durchbrechen und die Stadt völlig einzuschließen“, berichtete am Donnerstag Generalstabschef Waleri Zaluschny nach einem Frontbesuch in der Gegend. Im Unterschied zu Bachmut haben die Russen bei Awdijewka wegen der Nähe der ehemaligen Millionenstadt Donetzk eine viel bessere Versorgungslage.
Brückenkopf am Ostufer des Dnipro besetzt
Die Schlacht um Awdijewka lenkt sowohl die russische wie ukrainische Bevölkerung von Misserfolgen an anderen Frontabschnitten ab. Im Norden der Ostfront, in der Nähe der vor 13 Monaten von Kiew zurückeroberten Stadt Kupjansk, kommen die Russen mit ihrer eigenen Gegenoffensive seit Monaten nicht vom Fleck. Im Süden wiederum, bei Orachiw in der Oblast Saporischschja, machen die Ukrainer nur noch äußerst bescheidene Geländegewinne. Die im Sommer gestartete Gegenoffensive scheint fast zum Erliegen gekommen.
Einzig in der Nähe der vor Jahresfrist zurückeroberten Regionalhauptstadt Cherson kann Kiew in den letzten paar Tagen Erfolge vermelden. Offenbar ist es einem ukrainischen Vorstoßtrupp dort gelungen, auf dem russisch besetzten Ostufer des Dnipro bisher fünf Tage lang einen Brückenkopf im Dorf Krynki zu halten. Bisherige Versuche, in der Nähe der größtenteils zerstörten Antoniwka-Brücke bei Cherson weiterzukommen, waren jeweils nach ein paar Tagen gescheitert. Gelingt dieser Vorstoß, könnten die Ukrainer bald mehr Truppen über den an jener Stelle gut 100 Meter breiten Fluss übersetzen und Richtung der seit 2014 von den Russen besetzten Halbinsel Krim marschieren.
De Maart
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