Donnerstag30. Oktober 2025

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FeatureRussische Prankster: Comedy auf Kosten des Westens

Feature / Russische Prankster: Comedy auf Kosten des Westens
„Macht’s wie Alexej, macht einen Hungerstreik!“: Kusnezow und Stoljarow gaben auch Parlamentariern in den Niederlanden Tipps Foto: dpa/Yuri Kochetkow

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Vovan und Lexus stellen mit Vorliebe westliche Politiker und Prominente bloß. Für manche gelten sie deshalb als Putins Agenten. Im Interview betont das Duo seine Unabhängigkeit. Dem Kreml gefallen die Späße trotzdem.

In den Nullerjahren fiel Wladimir Kusnezow eine CD mit sogenannten Telefon-Pranks in die Hände: Spaßanrufe bei russischen Celebrities, die auf die Streiche mit heftigen Schimpftiraden reagierten. Dass Prominente sich so ungehobelt ausdrücken, schockierte und faszinierte den jungen Mann aus dem südrussischen Krasnodar zugleich. „Das kann ich auch“, sagte er sich.

So begann Kusnezow, heute 34 Jahre alt und besser bekannt als Prankster Vovan, seine Karriere. Später schloss er sich mit einem Kollegen, Alexej Stoljarow, zusammen. Gemeinsam sind sie Vovan und Lexus, das berüchtigte russische Prankster-Duo, das vorwiegend westliche Politiker und Prominente in die Irre führt. Vovan und Lexus haben Elton John glauben gemacht, mit dem echten Wladimir Putin zu sprechen, sie haben den französischen Präsidenten Emmanuel Macron ausgetrickst und mehrere US-Senatoren düpiert.

Während russische Prankster in den Anfangsjahren eine Underground-Szene bildeten und „Hooligan-Streiche“ (Kusnezow) betrieben, hat sich das Genre in der Zwischenzeit professionalisiert. Pranks haben ihren Platz in TV-Shows und in den Nachrichten gefunden. Das hat auch mit der verstärkten Politisierung der früher eher unpolitischen Späße zu tun. Vovan und Lexus sind heute die bekanntesten russischen Prankster. Während die russische Mainstream-Kultur die beiden als Satire-Guerilleros feiert, ist die Reaktion im Westen negativer. Dort stehen Vovan und Lexus im Verdacht, ein Instrument des Kremls oder der Geheimdienste zu sein.

Neun niederländische Parlamentarier zum Hungerstreik aufgefordert

Befördert hat diese Vermutung unter anderem jene Scherz-Serie, die das Duo auf Kosten von Leonid Wolkow gemacht hat. Wolkow ist ein im litauischen Exil lebender Vertrauter des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Alexej Stoljarow, alias Prankster Lexus, narrte ukrainische, baltische und niederländische Parlamentarier, indem er sich in Videokonferenzen als Leonid Wolkow ausgab. Der Clip mit den niederländischen Politikern wurde Ende Mai veröffentlicht.

Stoljarow verulkte in der Videokonferenz neun niederländische Parlamentarier, darunter den Vorsitzenden des Außenpolitischen Komitees: den bekannten Rechts-Politiker Geert Wilders. Auf die routinemäßig geäußerte Frage eines Parlamentariers, wie man die Nawalny-Anhänger in Russland unterstützen könne, fordert der falsche Wolkow die Politiker auf, „wie Alexej“ in einen Hungerstreik zu treten. Darauf folgt peinliche Stille. Die Abgeordneten im Sitzungssaal weichen aus, schlagen Sanktionen und andere Maßnahmen vor. Doch Stoljarow-Wolkow lässt nicht locker: „Sind Sie bereit, in einen Hungerstreik zu treten? Are you ready?“ Richtig absurd wird es später, als Stoljarow unverhohlen Bitcoin-Spenden von den Europäern fordert und mit einem Holzgewehr gegen die russische „illegale Regierung“ herumfuchtelt.

Von einer „Spezial-Operation“ gegen die russische Opposition sprach der richtige Wolkow nach Bekanntwerden der Videos. Mit anderen Worten: Das Prankster-Duo stehe in Diensten des russischen Geheimdiensts.

Im Auftrag des Geheimdiensts? Die beiden lachen die Vorwürfe weg

Kusnezow und Stoljarow lachen diese Vorwürfe im Gespräch mit dem Tageblatt weg. „Solche Beschuldigungen sind wir gewohnt“, entgegnet Kusnezow. „Aber bisher konnte niemand auch nur einen Beweis dafür vorlegen, dass wir für jemand anderen als uns selbst arbeiten.“ Auch der von Wolkow geäußerte Vorwurf des „Deep Fake“ – also von computergestützter Täuschung – entlockt Stoljarow nur ein Schmunzeln. Ein bisschen Schminke, die richtige Beleuchtung – mehr sei da nicht gewesen. „Das war alles ganz einfach“, erzählt der 33-Jährige im Zoom-Interview. Er sitzt bei sich zu Hause am Küchentisch in einem Bademantel – es ist derselbe, den er beim Prank mit den Abgeordneten trug. Die Politiker schien der eigenwillige Aufzug nicht weiter zu verwundern.

Emmanuel Macron dachte, er hätte den Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, am Telefon
Emmanuel Macron dachte, er hätte den Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, am Telefon Foto: AFP/Christophe Archambault

Als Vorbereitung habe er Wolkows Mimik, Gestik und Gesprächshaltung aufmerksam studiert. Der Nawalny-Vertraute lebt zwar seit Längerem in Litauen, hat aber offenbar wenig persönliche Kontakte. Dass seine Gesprächspartner nicht genau wussten, wie er aussieht, nutzten die Prankster aus – ebenso wie Naivität und Unaufmerksamkeit. Die Wolkow-Clips laufen auf YouTube nun unter dem unerbittlichen Titel „Deep Fake Show“.

Bisher konnte niemand auch nur einen Beweis dafür vorlegen, dass wir für jemand anderen als uns selbst arbeiten

Wladimir Kusnezow

In einem anderen unlängst veröffentlichten Streich mimten Stoljarow und Kusnezow die belarussische Bürgerrechtlerin Swetlana Tichanowskaja und ihren Berater im Videogespräch mit der Führungsriege des US-Thinktanks National Endowment for Democracy (NED). Thema: die Unterstützung von Oppositionsaktivitäten in Belarus und Russland. Der Clip, der im Februar aufgezeichnet wurde, hat seine komödiantischen Momente: „Ich brauche Geld für Kleidung“, ruft eine verzweifelte Tichanowskaja, deren Stimme von einer Helferin des Duos imitiert wird. „Wie soll ich mich sonst mit Anthony Blinken treffen?“

In dieser Frage könne man nicht weiterhelfen, entgegnet eine NED-Vertreterin. Erst als ein angeblicher belarussischer KGB-Major zugeschaltet wird und den Teilnehmern droht, schwant den US-Kollegen, dass sie Opfer eines Juxes geworden sind.

Der Prank wurde auch in den Nachrichten des russischen Staatsfernsehens veröffentlicht. Dort diente der Clip als Beweis dafür, dass westliche Kräfte wegen ihrer Unterstützung von Bürgerbewegungen hinter den Farbrevolutionen der vergangenen beiden Jahrzehnte stehen. Vovan und Lexus‘ Prank scheint die Propaganda des Kremls zu stützen, wonach der Westen weitere Umstürze im postsowjetischen Raum plane. In der aufgeheizten Ost-West-Stimmung werden die Pranks schnell zum politischen Skandal – in Russland und Europa unter jeweils anderen Vorzeichen. Während vom Kreml kontrollierte Medien Vovan und Lexus‘ Satirebeiträge nur allzu gern vereinnahmen und darin einen Beweis für die Russophobie des Auslands sehen, reagiert der Westen oft überspannt oder übertrieben ängstlich auf russische Frechheiten.

Beide Prankster behaupten, sie wählten ihre „Gegenspieler“, wie sie ihre Opfer nennen, unabhängig aus. Dass es Versuche der Einflussnahme gebe, bestreiten Kusnezow und Stoljarow nicht. Aber diese „politischen Bestellungen“ würden anders aussehen, als man sich das im Westen gemeinhin vorstelle.

Elton John ging davon aus, mit dem echten Wladimir Putin zu reden
Elton John ging davon aus, mit dem echten Wladimir Putin zu reden Foto: dpa/Matt Crossick

So wünschten sich russische Funktionäre etwa vor der Duma-Wahl im Herbst, dass ihre Namen in Clips genannt würden oder ein Konkurrent durch den Dreck gezogen werde. Keine große Geopolitik also. „Unsere Beamten denken nicht in diesen Kategorien. Das ist für sie uninteressant.“

Das Duo hat eigenen Angaben zufolge auch in Russland mit „Zensur“ zu kämpfen. Tatsächlich wurden einige Pranks in Kreml-nahen Medien nicht oder nur ausschnittweise gezeigt, wenn sie nicht in das politische Programm passten.

Andererseits ist offenkundig, dass viele von Vovan und Lexus‘ Pranks wie ein augenzwinkernder Verstärker der Kreml-Propaganda wirken. Das Duo provoziert seine Gesprächspartner zu Aussagen, die die Weltsicht der Staatsführung indirekt bestätigen: Dass das Ausland Russland schwächen wolle und voller russophober Politiker sei. So sprach sich der demokratische US-Senator Ben Cardin freimütig für weitere Sanktionen gegen Unternehmen aus, die am Bau der Pipeline Nord Stream 2 beteiligt seien. Auf die Frage seines fingierten französischen Gegenübers, ob man nicht auch deutsche Beamte bestrafen könne, sagt er: „Das werde ich überprüfen.“ Die Falle schnappt zu. „Die Leute sagen selbst, was sie sagen wollen. Wir geben ihnen einfach eine Gelegenheit.“ Die Prankster als Stichwortgeber? Das wirkt ein wenig wohlfeil.

Die spezifische ideologische Kerbe bestreiten die Prankster nicht. „Natürlich geht es in diese Richtung“, sagt Kusnezow. Das interessiere eben das russische Publikum. Das Gesetz von Angebot und Nachfrage also. Und wie begründen sie ihre Auswahl? „Es ist interessanter, westliche Politiker zu kontaktieren als östliche.“ Vermutlich wäre es zudem riskant, wenn sich Vovan und Lexus mit hochrangigen einheimischen Funktionären anlegten. Der russische Staat versteht bei Provokationen normalerweise keinen Spaß. Das Duo bestätigt auf Nachfrage, dass „Pranks sicherer sind, wenn man sich nicht in dem Land aufhält, in das man anruft“. Andererseits habe man noch nie von rechtlichen Konsequenzen für „lokale“ russische Prankster gehört.

Offenheit des westlichen Diskurses gnadenlos ausgenutzt

Die Prankster nutzen die Pluralität und Offenheit des westlichen Diskurses gnadenlos aus. Von ihrem Selbstverständnis her sind sie Hooligans des Humors: Ihr Ziel ist es, ihren Opfern satirische Schläge in die Magengegend zu verabreichen. „In Russland gibt es so gut wie keine Politik mehr“, erklärt Kusnezow. „Hier tut sich nichts Neues. Wen sollten wir da anrufen?“ Warum nicht Wladimir Putin? Die beiden antworten: „Grundsätzlich kann man jeden Menschen anrufen, der ein Telefon benutzt.“ Wobei: Menschen wie Putin, Joe Biden und Angela Merkel seien wegen der Sicherheitsvorkehrungen sehr schwer zu erreichen. Bis ein Kontakt zu Macron zustande kam, habe es zwei Jahre gedauert.

Prinz Harry diskutierte mit einer falschen Greta Thunberg
Prinz Harry diskutierte mit einer falschen Greta Thunberg Foto: AP/Frank Augstein

Das Duo profitiert davon, dass die einen mit den anderen reden wollen oder berufsbedingt reden müssen – und dabei oft nicht so genau darauf achten, woher das Gesprächsangebot kommt. Vor der Corona-Krise war Greta Thunberg eine immens gefragte Persönlichkeit. Kusnezow und Stoljarow benutzten das „arme Mädchen“, wie sie sagen, um an andere Prominente heranzukommen. Mithilfe einer weiblichen Stimme, die „Greta“ spielte, telefonierten sich die Russen zu Prinz Harry, Justin Trudeau und Bernie Sanders durch.

Die West-Orientierung der Prankster ist auch durch kommerzielle Interessen begründet. Neben Werbung auf ihrem YouTube-Kanal finanzieren sie sich durch den Verkauf ihrer Videos an Medien. 2020 bezogen Vovan und Lexus die meisten Einnahmen aus Großbritannien. Britische Medien ließen sich den Clip einiges kosten, in dem Prinz Harry auf die falsche Klimaschützerin hereinfällt. Auch anderswo in Europa finden sie durch spezifische Gags Abnehmer. „In Russland können wir nicht mehr viel erreichen“, sagen sie. „PR-mäßig hat der Westen mehr Perspektiven.“ Ihr Image als böse Buben des Kremls scheint die Prankster dabei nicht zu beunruhigen. Im Gegenteil.

Kurz-Bio

Wladimir Kusnezow wurde 1986 im Gebiet Krasnodar geboren. Nach seiner Übersiedlung nach Moskau 2011 war er drei Jahre lang als Sensationsreporter für ein Boulevard-Blatt tätig. Danach widmete er sich vollständig den Pranks.
Alexej Stoljarow wurde 1987 im heutigen Jekaterinburg geboren. Auch er war seit den Nullerjahren in der Szene aktiv. Im Jahr 2014 verbündeten sich beide Prankster zum Duo Vovan und Lexus. In einem früheren Interview gab Stoljarow an, bei der Auswahl seiner „Opfer“ nicht sein eigenes Land schädigen zu wollen.