ÖsterreichRussen-Spioangeskandal bringt FPÖ und deren Chef Herbert Kickl immer mehr unter Druck

Österreich / Russen-Spioangeskandal bringt FPÖ und deren Chef Herbert Kickl immer mehr unter Druck
FPÖ-Bundesparteichef Herbert Kickl  Foto: Georg Hochmuth/APA/dpa

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„Volkskanzler“ möchte Herbert Kickl im Herbst werden. Doch der FPÖ-Chef muss befürchten, als „Volksverräter“ in den Wahlkampf ziehen zu müssen. Der Spionageskandal ist zum FPÖ-Skandal geworden.

Es war gerade so wunderbar gelaufen für Österreichs Rechtspopulisten: Herbert Kickl brauchte sich nur zurückzulehnen und erste Reihe fußfrei zuzusehen, wie ÖVP und Grüne im Finale der Legislaturperiode täglich Szenen ihrer bald geschiedenen Ehe lieferten, wie die SPÖ sich weiter mit internen Grabenkämpfen beschäftigte und wie die FPÖ in den Umfragen stetig stieg. Nur einmal täglich rückte irgendein Freiheitlicher aus, um den Österreichern zu erklären, dass unterm „Volkskanzler“ Kickl alles besser werde.

Zerstörte Hoffnungen

Da der FPÖ ungeachtet ihres Höhenfluges keine absolute Mehrheit winkte, aber kein Koalitionspartner in Sicht war, klammerte sich Kickl an die Hoffnung, dass irgendein Wahlverlierer umfallen und sich doch mit ihm ins Koalitionsbett legen würde. Die ÖVP war ein heißer Kandidat dafür, hatte sie doch nicht nur einmal in der Wahlnacht in die Horizontale gewechselt. Sowohl in Niederösterreich als auch in Salzburg stiegen die Christdemokraten nach den Landtagswahlen entgegen allen Wahlkampfschwüren mit den Rechtspopulisten ins Koalitionsbett.

Doch mittlerweile ist es geradezu unvorstellbar, dass sich die ÖVP nach der Nationalratswahl im September als Kickl-Königsmacher hergibt. Gamechanger ist der seit Ende März schwelende Spionageskandal, in dem immer deutlicher wird: Der in Russland abgetauchte ehemalige Wirecard-Vorstand Jan Marsalek hat im Dunstkreis der FPÖ in Österreich ein Spionagenetz aufgezogen. Die Einschläge der täglich neuen Enthüllungen sind Kickl mittlerweile so nahe gekommen, dass er die Frage, ob er etwas von all dem gewusst hat, kaum noch glaubwürdig mit Nein beantworten kann.

Schattengeheimdienst

An die Medien gelangten Ermittlungsakten zufolge soll der inhaftierte Ex-Verfassungsschützer Egisto O. mit dem von der mittlerweile ebenfalls nach Russland ausgewanderten FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl eingesetzten Außenamts-Generalsekretär Johannes Peterlik am Aufbau eines „Schattengeheimdienstes“, so das ÖVP-Wording, gearbeitet haben. Peterlik wird unter anderem vorgeworfen, Marsalek die hochgeheime Formel des russischen Nervengiftes Nowitschok übergeben zu haben, mit dem Wladimir Putins Schergen 2018 in Großbritannien den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter beinahe umgebracht hatten. Auch auf dem Handy von O. wurde die Formel gefunden. In einem von der ÖVP verbreiteten Organigramm für eine Neustrukturierung des Geheimdienstes wäre Peterlik als Chef und für O. ein hochrangiger Posten vorgesehen gewesen. Der Bezug zu Kickl wird über einen FPÖ-Abgeordneten hergestellt, der einerseits enge Beziehungen zu O. pflegte und aus dem Kabinett des damaligen Innenministers als vertraulich bzw. geheim klassifizierte Dokumente bezogen haben soll.

Kanzlergattin versenkte Handys

Unter anderem geht es um Chats des Kabinettschefs des früheren ÖVP-Innenministers Wolfgang Sobotka, Michael Kloibmüller. Dessen Handy war im Jahr 2017 zusammen mit den Smartphones zweier weiterer Topbeamter des Innenministeriums bei einem Bootsausflug ins Wasser gefallen. Die damalige Ministerialmitarbeiterin und heutige Kanzlergattin Katharina Nehammer soll im Kanu gesessen und zu sehr geschaukelt haben. Die Mobiltelefone konnten aus dem Wasser gefischt werden, gingen dann aber nicht über den offiziellen Dienstweg zum Trocknen, sondern landeten bei einem Handy-Experten des Verfassungsschutzes und von dort über O. samt Staatsgeheimnissen beim russischen Geheimdienst. Aber nicht nur dort: 2019, Kickl war nun Innenminister, soll ein FPÖ-Abgeordneter nach Erhebungen der Staatsanwaltschaft neben geheimen Dokumenten auch die Kloibmüller-Chats aus dem Ministerkabinett erhalten haben, um diese gegen die ÖVP verwenden zu können. In den Chats geht es unter anderem um Postenschacher.

Eine weitere Figur in dem Skandal: ein ehemaliger Abteilungsleiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT): Martin W. soll laut Staatsanwaltschaft mit O., der laut seinem Anwalt alle Vorwürfe als „absurdes Konstrukt“ zurückweist, und Marsalek im Interesse des russischen Geheimdienstes gearbeitet haben. W. war schon 2021 vorübergehend festgenommen worden, weil er im Verdacht stand, nach dem Auffliegen des Wirecard-Skandals Marsaleks überstürzte Flucht von Österreich nach Russland mitorganisiert zu haben. In den Vernehmungen gab W. damals zu, seit 2018 in 25 Fällen für Marsalek personenbezogene Daten abfragen und Überprüfungen durchführen lassen zu haben. Ausführendes Organ soll der Ex-BVT-Beamte O. gewesen sein. W. wurde gegen die Zusicherung, für weitere Einvernahmen zur Verfügung zu stehen, freigelassen – und entschwand mit Marsaleks Hilfe in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die kein Auslieferungsabkommen mit Österreich haben. „Ich habe es gerade geschafft, meinen österreichischen Mann nach Dubai zu evakuieren“, schrieb Marsalek am 22. Februar 2021 an Orlin Roussev, Kopf einer in Großbritannien aufgeflogenen russischen Spionage-Zelle, die Marsalek von Moskau koordiniert haben dürfte. Erst die Erkenntnisse der Briten hatten in Österreich die Affäre ins Rollen gebracht.

Was wusste Kickl?

Neben der außenpolitischen Dimension der Affäre, die Österreich einmal mehr als unsicheren Kantonisten im westlichen Geheimdienst-Netzwerk dastehen lässt, geht es nun vor allem um die innenpolitische Frage: Was wusste Kickl? Für ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS steht fest: Auf jeden Fall mehr als er zugeben will. Für Grünen-Fraktionschefin Sigrid Maurer ist der FPÖ-Chef „kein Volkskanzler, sondern ein Volksverräter in Richtung Russland“. Die ÖVP betrachtet den einstigen Koalitionspartner inzwischen als „Sicherheitsrisiko für Österreich“. Die Sozialdemokraten sehen das nicht anders, wollen aber auch die ÖVP nicht aus der Mitverantwortung entlassen. Schließlich waren es die Christdemokraten, die Kickl 2017 das Innenministerium überlassen und dieses samt dem Verfassungsschutz davor seit der Jahrtausendwende unter ihrer Kontrolle hatten. Der FPÖ-Chef selbst beteuert zwar, volle Aufklärung und wie die anderen Parteien einen Untersuchungsausschuss zu wollen. Dieser solle allerdings erst nach der Wahl eingesetzt werden. Denn die Aufarbeitung solle, so Kickl, „nicht in eine Schlammschlacht ausarten“. Ausgerechnet Österreichs Oberpopulist, der bislang jeden Schmutzkübel, dessen er habhaft werden konnte, mit Genuss über politische Gegner kippte, scheut plötzlich den Schlamm. Ein weiteres Indiz, dass er selber ziemlich tief drin steckt.