Sonntag19. Oktober 2025

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Messerstecher-Prozess in Diekirch„Ruf die Ambulanz, sonst sterbe ich!“

Messerstecher-Prozess in Diekirch / „Ruf die Ambulanz, sonst sterbe ich!“
Die 44-Jährige muss sich vor Gericht in Diekirch verantworten Foto: Editpress-Archiv/Anne Lommel

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Könnte Eifersucht das Motiv gewesen sein? Oder wollte die Frau den Mann einfach nur loswerden? Die 44-Jährige hat sich einen Reim auf die Welt gemacht, den wohl nur sie selbst versteht. Jetzt steht sie in Diekirch vor Gericht, weil sie ihrem Partner ein Messer ins Herz gerammt hat. Die Anklage lautet auf versuchten Mord. 

Heute sei ihr das peinlich, sagt die Frau. Es sei nie ihr Ziel gewesen, ihren Partner umzubringen. Sie sei über ihre Tat schockiert gewesen.

Seit der vergangenen Woche muss sich die 44-Jährige in Diekirch vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, am 23. Oktober 2018 in Redingen/Attert ihrem Ex-Partner M. mit einem Messer in die Brust gestochen und ihn dabei lebensgefährlich verletzt zu haben. Das Opfer erlitt eine einzige Stichverletzung. Die Hauptschlagader war getroffen und durchstochen. M. hatte viel Blut verloren. Er wurde notoperiert und überlebte nur knapp. Was sich am Tatabend in der Wohnung genau abgespielt hatte, ist unklar.

Ein Zeuge beschrieb die Beziehung als „katastrophal“. Er hatte das Paar auf einer Wirtshaus-Terrasse kennengelernt. Die Frau hätte ihm geschildert, dass M. sie wiederholt körperlich misshandele. Manchmal habe sie auch zurückgeschlagen. Nach der Tat habe sie ihn gegen 22.30 Uhr vom Polizeibüro aus angerufen. „Ech hunn hie ofgestach. Ech hunn et net méi gepackt. Bass du elo rosen iwwert mech?“, hätte sie ihn gefragt. – „Nee, enttäuscht“, habe er geantwortet.

Verdacht auf häusliche Gewalt

Die vorsitzende Richterin konzentrierte sich am Donnerstag vor allem darauf, die Ursachen der Streitigkeiten zu hinterfragen. 2017 ist M. bei der Angeklagten eingezogen. „Ich habe das Haus bewohnbar gemacht. Wir haben viel getrunken. Wir haben immer gestritten, obwohl eigentlich kein Grund da war“, beteuerte der Mann am Donnerstag vor Gericht. „Wenn ihre Tochter zu Besuch war, musste ich mich auf den Speicher begeben und mich dort einsperren, damit die Tochter mich nicht sieht.“ „War et dann net vläicht esou, datt Dir eng am Kanelli hat?“, fragte die vorsitzende Richterin.

Zwei Fotos, die gegen M. vor Gericht präsentiert wurden, sollen beweisen, dass es Gewalt im Haushalt gab. Die Fotos der Frau zeigten ein zum Teil geschwollenes Gesicht mit blauen Flecken, Schrammen, Kratzern und Blutergüssen. M. erklärte aber mit einer in Teilen emotionalen Wortwahl, dass das blaue Hämatom am rechten Auge und die Schrammen am rechten Kinn nicht von ihm stammten. Er habe sie geliebt. Er habe die Frau einmal gestoßen. Einmal geschlagen. Mehr nicht. Verletzt habe er sie nie. Er habe sich immer nur gewehrt. Durch den hohen Alkoholkonsum wäre sie öfters die Treppe heruntergefallen.

Ein Vorfall vom September 2018 sei bei der Polizei gemeldet worden. Damals waren die Beamten wegen des Verdachts auf häusliche Gewalt verständigt worden. Die Frau sei aber wegen einer Panikattacke nicht vernehmbar gewesen. Der Ermittler gab gestern bekannt, dass es von 2017 bis 2018 insgesamt elf Einsätze gab. Am Tag vor der Tat hätte sie wieder mit ihm gestritten. Sie machte ihm den Vorwurf, nach Schnaps zu riechen. Um dem Streit aus dem Weg zu gehen, ging er mit dem Hund spazieren. Begegnete einer Frau. Als er dann zurückkam, hätte sie ihm gedroht, ihn eines Tages abzustechen. Sie hätte hinter ihm gestanden. „Firwat kënns de da vun hannen?”, habe er sie gefragt. „Da komm vu vir.“ Sie ging dann in die Küche, nahm ein Messer. „An zack, huet et mir d’Messer an d’Häerz gestach.“

Ich werde ihren Blick, der voller Hass war, nie vergessen

Das mutmaßliche Opfer

„Ich werde ihren Blick, der voller Hass war, nie vergessen. Ich zog das Messer raus. Blut spritzte aus dem Körper. Noch lebte ich, aber ich zuckte nur noch“, schilderte M. „Ruf die Ambulanz, sonst sterbe ich“, habe er gesagt. Daraufhin habe sie dann den Notruf benachrichtigt.

Alkoholprobleme

Das Paar hatte sich 2016 in Useldingen bei einer Alkoholentziehungskur kennengelernt. Der Angeklagten zufolge soll es in der Beziehung wiederholt zu Übergriffen und häuslicher Gewalt gekommen sein. Sie gab gestern bekannt, dass ihre Alkoholprobleme 2011 begonnen hatten. Durch den Tod ihres Vaters im Jahr 2011 sei sie depressiv geworden. Sie hätte aber nie bewusst nach Möglichkeiten gesucht, aus dem Schlamassel herauszukommen, meinte die vorsitzende Richterin. Die Angeklagte hat mindestens 15 Alkoholentziehungskuren hinter sich. Seit ihrer Untersuchungshaft hätte sie gelernt, besser mit ihren Gefühlen umzugehen.

Am 23. Oktober habe sie Bier und Schnaps getrunken. Sie sei dann eingeschlafen. Als sie wach wurde, sei M. nicht mehr im Haus gewesen. Er war mit dem Hund unterwegs. Als er dann wiederkam und sich auszog, kam es zum Streit. „Wanns de dech elo net gëss, stiechen ech dir d’Messer an Panz“, hätte sie dann gesagt. „Da stiech mir et direkt an d’Häerz“, hätte er geantwortet. Sie ging dann in die Küche, nahm ein Messer aus der Schublade und stach es ihm in die Brust. Das sei ein Widerspruch, sagte das Opfer. „Ich habe nie gesagt, dass sie mich ins Herz stechen sollte“.

Ich wollte ihn verletzen. Umbringen wollte ich ihn nicht.

Die Angeklagte

In der Nebenklage beantragte der Anwalt am Donnerstag einen Schadenersatz von 130.000 Euro für das Opfer sowie ein ärztliches Gutachten, das den Gesundheitszustand seines Mandanten erstellen soll. Die Kosten des Verfahrens sollen der Beschuldigten auferlegt werden. Den Experten soll das Gericht ernennen. Der Anwalt sagte am Freitag, er sei erschrocken gewesen, als er das Tatmesser sah. „Wir sind hier nicht in der Situation einer Selbstverteidigung. Die Angeklagte wollte diesen Mann umbringen“, sagte der Anwalt.

Opfer überlebt knapp

„Was wir hier gehört haben, reicht aus, um die von M. vorgelegte Show zu widerlegen.“ Für den Verteidiger der Angeklagten bestehen eindeutige Beweise, dass seine Mandantin in einem „sozialen Käfig“ gelebt habe. Sie sei ihrem Opfer hörig und von der Außenwelt isoliert gewesen. M. hätte sie vergewaltigt, drangsaliert, geschlagen und sie habe sich nicht von ihm befreien können. Der psychische Druck habe sich dann gesteigert – bis zur Tat.

„Für den beim Progress anwesenden Psychiater standen die Panikattacken meiner Mandantin nicht im Vordergrund“, sagte der Verteidiger. „Allerdings hatte er bestätigt, dass sie ihren Partner nicht töten wollte. Jeder hier im Saal sollte wissen, dass die Wirkung von Alkohol sehr stark von der getrunkenen Menge abhängt. Meine Mandantin stand immerhin unter 2,5 Promille. Es gab keinen Vorsatz zum Töten.“ Hier beantragt der Verteidiger Freispruch. Die zugefügte Verletzung sollte mit einer Strafe auf Bewährung gerügt werden.

Die Anklage fordert zwei Jahre Haft wegen versuchten Mordes, davon drei fest und der Rest auf Bewährung mit Auflagen. Zudem beantragte der Anklagevertreter ein Verbot, das Opfer zu kontaktieren. Der Verletzte habe extrem Glück gehabt, zu überleben. Der gezielte Stich ins Herz beweise die Absicht zum Töten. Der Anklagevertreter beschrieb die Beschuldigte als emotionslos und inkohärent in ihrer Logik.

Das Bezirksgericht Diekirch will das Urteil am 26. November 2020 verkünden.