EditorialRuanda leidet noch immer unter den Folgen des Genozids

Editorial / Ruanda leidet noch immer unter den Folgen des Genozids
Man kann Paul Kagame noch so kritisieren: Er ist ein Stabilitätsfaktor in Ruanda und der gesamten Region Foto: Peter Klauzner/AP

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Es sind nur noch wenige Tage, dann jährt sich der Völkermord in Ruanda zum 30. Mal. Er kostete zwischen 800.000 und einer Million Menschen das Leben in dem ostafrikanischen Land. Bei den schrecklichen Massakern, die am 7. April 1994 begannen, nachdem das Flugzeug des damaligen Präsidenten Juvénal Habyarimana abgeschossen worden war, und bis Mitte Juli 1994 andauerten, töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit, vorwiegend aus den Reihen der Armee, Präsidentengarde und Gendarmerie, aber auch der paramilitärischen Miliz der Hutu-Jugend namens Interahamwe sowie aus Teilen der Zivilbevölkerung, etwa drei Viertel der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit und jene Hutu, die sich nicht an den Gräueltaten beteiligten. Angetrieben wurden die Mörder durch die Hetzpropaganda des Senders Radio-Télévision Libre des Mille Collines. Derweil versagte die internationale Gemeinschaft kläglich. Der Befehlshaber der sogenannten Unterstützungsmission der Vereinten Nationen (UNAMIR) in Ruanda, der kanadische Generalmajor Roméo Antonius Dallaire, bat mehrmals um Hilfe – vergeblich. Er wurde allein gelassen. Bis von dem benachbarten Uganda aus die Rebellenarmee „Ruandische Patriotische Front“ (RPF) unter Paul Kagame einzog, das Morden beendete und die Täter verjagte. Kagame ist seit 2000 Präsident von Ruanda.

Die ruandischen Genozid-Generäle zogen sich unter dem Schutz französischer Soldaten ins damalige Zaire zurück (heute Demokratische Republik Kongo). Während bis heute eine ruandische Ermittlereinheit weltweit nach den flüchtigen Hauptverantwortlichen der Massaker sucht, ist also die Rolle Frankreichs in Ruanda mehr als umstritten. Einer der Haupttäter, der mittlerweile 90-jährige Geschäftsmann und „Finanzier des Völkermords“ Félicien Kabuga, wurde 2020 in Paris entdeckt und in das für Ruanda zuständige UN-Sondertribunal nach Den Haag überstellt. Dass die Franzosen ein unrühmliches Bild abgaben und als Komplizen der Mörder von damals gelten, ist unter anderem auf Vorkommnisse wie jenes zurückzuführen: So quartierten sich französische Soldaten 1994, zwei Monate nach dem Blutbad, in eine Berufsschule in Murambi ein und spielten auf den Massengräbern Volleyball, wie Simone Schlindwein berichtet, Historikerin, Politologin und Afrika-Korrespondentin der taz. Vor drei Jahren gab Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einem Staatsbesuch in Ruanda zu, dass sein Land „zu lange das Schweigen der Wahrheitsfindung vorgezogen hat“, und gab einen Untersuchungsbericht in Auftrag, der das Ausmaß der französischen Verstrickung enthüllte. Im Juni 2023 ordnete ein Gericht in Paris an, ein Verfahren wegen mutmaßlicher Komplizenschaft Frankreichs mit den Mördern wieder aufzunehmen.

Während Kagame Ruanda mit harter Hand regiert, aber mit einer strikten Antikorruptionspolitik und mit einer vorbildlichen Infrastrukturpolitik wirtschaftlich nach vorne gebracht hat, leiden die Menschen noch immer unter den Traumata. Die seelischen Wunden der Gewalt sind tief. Das Land ist nach wie vor traumatisiert. Zugleich sind im Ostkongo die einstigen Völkermörder als „Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas“ (FDLR) präsent und haben die Rückeroberung Ruandas zum Ziel. Auch in Kongo gibt es Hutu und Tutsi, und Kongos Staat traut Ruandas Staat nicht, konstatiert der Afrika-Kenner Dominic Johnson und weist darauf hin, dass Kongos Präsident Félix Tshisekedi im Wahlkampf vergangenes Jahr zum Krieg gegen Ruanda aufgerufen hat. Auch Burundis Präsident Évariste Ndayishimiye fordert einen Regimewechsel in Ruanda. Derweil ist Ugandas Präsident Yoweri Museveni traditionell ein Beschützer von Kagames RPF. Die gesamte Region bleibt jedenfalls höchst instabil, und Kagame ist dabei der größte Stabilitätsfaktor, so kritisch man ihn auch sehen mag. Die internationale Gemeinschaft muss auf der Hut sein. Und vor allem Ruanda nicht noch einmal im Stich lassen.