Es war kurz nach 14 Uhr Ortszeit, als der Leiter des zuständigen Fraktionsausschusses, Graham Brady, offiziell mitteilte, was zu diesem Zeitpunkt alle Interessierten bereits wussten: Rishi Sunak wird der neue Parteichef der Konservativen und damit automatisch auch Premierminister. Denn kurz zuvor hatte die einzige noch verbliebene Rivalin ihre Kandidatur zurückgezogen. Bis dahin hatte Penny Mordaunt noch gehofft, 100 Nominierungen ihrer insgesamt 357 Fraktionskollegen zusammenzukratzen. Doch anders als im Sommer, als die 49-Jährige bis zum Schluss im fraktionsinternen Rennen verblieben war, fehlte ihr diesmal der Rückhalt.
So blieb dem Land erspart, was Cyber-Experten in den vergangenen Tagen heftiges Stirnrunzeln bereitet hatte: Hätten zwei Kandidaten die hohe Hürde übersprungen, wäre der Zweier-Vorschlag an die rund 180.000 Parteimitglieder gegangen. Diese sollten bis kommenden Freitag online abstimmen, was schon allein deshalb schwierig ist, weil Tausende älterer Torys über keinen Internet-Anschluss verfügen.
Im vergangenen Sommer hatten die Torys noch bei zahlreichen Veranstaltungen im ganzen Land die beiden damaligen Kandidaten begutachtet. Am Ende votierten sie mit 57:43 Prozent für die Außenministerin Liz Truss und zeigten deren Gegenkandidaten Sunak die kalte Schulter.
Wie fatal diese Wahl fürs Land war, stellte sich binnen weniger Wochen heraus. Truss erschreckte die Briten, vor allem aber die globalen Finanzmärkte, von deren Wohlwollen die Insel in besonderem Maße abhängt, mit schuldenfinanzierten Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen. Das britische Pfund versank im Keller, die Zinsen für Staatsanleihen schossen in die Höhe – ganz wie es der Kandidat Sunak im Wettstreit mit Truss vorhergesagt hatte. „Die Leute sollten nicht an Märchen glauben“, war Sunaks Mantra, die „Fantasie-Ökonomie“ seiner Rivalin sei nicht tragfähig.
Johnson erhielt nicht genug Unterstützung
Nachdem sich diese Prognose als zutreffend herausgestellt hatte, war Sunak vom Moment an, in dem Truss vergangenen Donnerstag ihren Rücktritt nach der kürzesten Amtszeit eines britischen Premierministers in 301 Jahren angekündigt hatte, der haushohe Favorit auf die Nachfolge. Freilich unterhielten und erschreckten die Torys übers Wochenende noch die Nation mit der Idee, der erst im Juli von der eigenen Fraktion aus dem Amt gejagte Boris Johnson könne triumphal in die Downing Street zurückkehren.
Hastig kehrte der 58-Jährige aus einem ausgedehnten Urlaub in der Karibik zurück. Und bald setzte ein, was die Briten und die Welt seit langem mit Johnson verbinden: Muntere Sprüche mischten sich mit äußerst dubiosen Behauptungen. Am Samstagmittag brüstete sich das Johnson-Lager damit, die Hürde von 100 Unterstützern in der Tory-Fraktion übersprungen zu haben. Am Sonntagabend, nach 36 Stunden fiebrigen Werbens um weitere Abgeordnete, sprach der Chef selbst von 102 Unterstützern, und auch diese wurden nicht namentlich genannt. Seriöse Zählungen waren bis dahin auf rund 60 Johnson-Freunde gekommen.
Aus Sorge ums „nationale Interesse“ werde er nicht antreten, weil der Regierungschef über eine geeinte Fraktion verfügen müsse, erläuterte Johnson seine Entscheidung zum Rückzug. Skeptiker verwiesen darauf, dass der Showman wohl eher die fällige Abstimmungsniederlage gegen seinen früheren Finanzminister fürchtete. Hinter Sunak hatten sich zu diesem Zeitpunkt auch prominente Partei-Rechte wie der Brexit-Ultra Steve Baker und die erst vergangene Woche zurückgetretene Innenministerin Suella Braverman versammelt. Ohne die Unterstützung dieses zahlenmäßig starken Parteiflügels hatte Johnson keine realistische Chance zum Sieg.
Vertreter aller Lager am Kabinettstisch
Das Aus für Mordaunt zeichnete sich spätestens am Montagvormittag ab, als Sunaks Lager 179 Unterstützer und damit mehr als die Hälfte der Fraktion vorweisen konnte. Denn das Experiment, gegen den Willen der Unterhaus-Abgeordneten regieren zu wollen, war mit Truss‘ Scheitern beendet. Für die konservative Partei wird sich zukünftig die Frage stellen, ob die bisher praktizierte Urwahl wirklich dazu taugt, mitten in der Legislaturperiode den Regierungschef auszuwechseln. Das zweimonatige Schaulaufen vor dem Parteivolk hatte im Sommer die Nation verbittert, die dringend Unterstützung in der Energiekrise und gegen die galoppierende Inflation einforderte.
Wenn die Anzeichen stimmen, dürfte Sunak den erst seit zehn Tagen amtierenden Schatzkanzler Jeremy Hunt im Amt belassen. Am Kabinettstisch werde der neue Mann die wichtigsten Vertreter aller Gruppierungen seiner Partei versammeln, hieß es aus Sunaks Lager. Damit würde der 42-Jährige aus den Fehlern seiner beiden Vorgänger lernen: Sowohl Johnson wie Truss hatten nur enge Gefolgsleute um sich geschart und damit Verbitterung, vor allem bei Vertretern des liberal-konservativen Flügels, hervorgerufen.
Die Opposition gratulierte Sunak am Montag zu seiner bevorstehenden Ernennung als erster Nicht-Weißer im Amt. Labour-Chef Keir Starmer mahnte aber wie in den vergangenen Tagen auch, das Land habe Neuwahlen nötig.
De Maart
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