Es ist ein großer Auflauf auf der Fraktionsebene im Bundestag am Montag. Ein ungewöhnliches Pressestatement der Grünen ist angesetzt: Partei und Fraktionschefs wollen sich gemeinsam äußern. SMS gehen in Berlin hin und her: Wird es ein Nein der Grünen zu den geplanten Grundgesetzänderungen geben? Der SPD-Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil steht nur einen Flur entfernt und blickt auf die Szenerie. Er wird zu diesem Zeitpunkt geahnt haben, dass ein Problem auf ihn und CDU-Chef Friedrich Merz zukommt.
Und er sollte recht behalten: Die Grünen wollen das geplante milliardenschwere Finanzpaket von Union und SPD nicht mittragen. Man werde den Abgeordneten der Grünen-Bundestagsfraktion empfehlen, den Grundgesetzänderungen „nicht zuzustimmen“, sagt Fraktionschefin Katharina Dröge. Auch den Angeboten, die Merz Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann auf die Mobilbox gesprochen habe, werde man nicht zustimmen, betont Dröge. Sie spielt damit auf einen Anruf des CDU-Chefs vom Wochenende an.
Die Grünen kritisieren, dass die Union bisher keine ernsthaften Verhandlungen mit den Grünen geführt habe und sie mit aus ihrer Sicht fadenscheinigen Angeboten etwa zum Klimaschutz abzuspeisen versuche. Von Tricksereien und Erpressung ist die Rede und davon, dass Union und SPD ihre Wahlversprechen mit Schulden finanzieren wollten. Dafür stehe man nicht zur Verfügung, macht Parteichefin Franziska Brantner klar.
Das sitzt – und bringt Union und SPD, die gerade mitten in der Bildung einer Regierung stecken, in eine schwierige Lage. Für deren gigantisches schuldenfinanziertes Finanzvorhaben wären insgesamt drei Grundgesetzänderungen notwendig. Für diese braucht es allerdings eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag, die ohne die Stimmen der Grünen nicht zustande kommt, weil die FDP eine Zustimmung bereits ausgeschlossen hat. Also ist das Vorhaben endgültig vom Tisch?
Grüne treiben den Preis nach oben
Ganz klar ist das noch nicht. Die Grünen schlagen nicht alle Türen zu, allerdings stellen sie Bedingungen. Man werde auch in den nächsten Tagen an Gesprächen teilnehmen, sagt Dröge, „wenn sie dahingehend ausgerichtet sind, dass man zu einer wirklich zukunftsorientierten Lösung kommt“. Zukunftsorientiert – das heißt für die Grünen vor allem, dass der Klimaschutz einen höheren Stellenwert bekommen muss.
Auch bei Sicherheit und Verteidigung sehen die Grünen Nachbesserungsbedarf. Dieser Bereich springe im schwarz-roten Gesetzentwurf „komplett zu kurz“, kritisiert Haßelmann. Die Grünen fordern stattdessen einen „erweiterten Sicherheitsbegriff“, der neben Verteidigung und Bundeswehr auch Aspekte wie Krisenresilienz, Bündnisfähigkeit oder die Unterstützung für die Ukraine umfassen soll.
Die Grünen treiben den Preis für die eigene Zustimmung weiter nach oben. Aber verbauen sie mit ihren Forderungen nicht den Weg zum Kompromiss, was sie umgekehrt der Union vorwerfen? Die Grünen hätten sich bei der Kompromissfähigkeit keinen Vorwurf zu machen, betont Haßelmann, das hätten weitreichende Entscheidungen der letzten zehn Jahre gezeigt.
Kurz darauf tritt dann Klingbeil an die Mikrofone. Er zeigt sich nicht überrascht, dass die Grünen Forderungen stellen. Sein Ziel sei es, etwas hinzubekommen, das dem Ernst der Lage im Land angemessen sei. „Ich gebe die Zuversicht nicht auf, dass es gelingt“, sagt er und verweist auf Gespräche, die er noch am Abend gemeinsam mit Merz und den Grünen führen wolle.
SPD sieht sich in einer Mittlerrolle
In der SPD sieht man sich nun in einer Mittlerrolle. Verständnis für das Auftreten der Grünen nach dem Umgang der Union mit der Partei ist bei der SPD zu hören. Aber auch, dass man sich nicht erpressen lassen dürfe. Die SPD pocht am Montag auf ein Gesamtpaket, lehnt beispielsweise getrennte Abstimmungen zu den Finanzplänen für Verteidigung einerseits und Infrastruktur andererseits ab. Und man will, so heißt es aus der Fraktion, dazu beitragen, dass alle gesichtswahrend zu einer Einigung kommen können. Beispielsweise mit der Betonung, dass es natürlich um zusätzliche Mittel und auch um Klimaschutz und Strukturreformen gehen müsse.
Und die Union? Dort ist am Montagmittag das Wort „überrascht“ zu hören, ein anderes lautet „verwundert“. Vertreter von CDU/CSU wirken im Bundestag wie auf dem falschen Fuß erwischt von dem Nein der Grünen. Damit hatte man offenkundig nicht gerechnet, zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt.
„Wer A sagt, muss auch B sagen“, meint einer aus der Fraktionsspitze. Wenn die Grünen also für mehr Sicherheit und mehr Unterstützung der Ukraine seien, könnten sie sich einer Lockerung der Schuldenbremse nicht widersetzen. Ein anderer betonte, vielleicht sei die Ablehnung auch nur ein Versuch, zunächst einmal für Ordnung im eigenen Laden zu sorgen. Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei sagt auf Nachfrage, er sei noch „hoffnungsfroh“. Auch die Grünen hätten eine „staatspolitische Verantwortung, die über Parteipolitik hinausgeht“. Schließlich müsse jetzt viel schneller dafür gesorgt werden, „dass unser Land verteidigungsfähig wird“.
Union offen für gemeinsame Lösung
Es habe bereits Gespräche mit den Grünen gegeben, und diese würden auch weitergehen, so Frei. Zudem erinnert er an den bevorstehenden Zeitablauf: So sei die Einbringung der Fraktionsinitiativen zu den Grundgesetzänderungen für den kommenden Donnerstag geplant, dann gebe es Ausschussberatungen, „wahrscheinlich werden 15, 16 Ausschüsse des Bundestags beteiligt sein“. Dann sei auch noch eine Expertenanhörung geplant. „Das dient natürlich auch dazu, weiter daran zu feilen, die Vorlage besser zu machen“, erläutert der Parlamentsgeschäftsführer. Die Union sei „jedenfalls offen dafür, nach gemeinsamen Lösungen zu suchen“.
Von der FDP gibt es am Nachmittag den Vorschlag, die regulären Verteidigungsausgaben im Haushalt auf zwei Prozent zu erhöhen und zusätzlich einen Verteidigungsfonds für Deutschland in Höhe von 300 Milliarden Euro einzurichten. „Die demokratische Mitte sollte jetzt zur Vernunft kommen und ihre volle Kraft auf die Stärkung unserer Verteidigungsfähigkeit lenken“, sagt FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Es ist noch viel in Bewegung in Berlin.
De Maart
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