Sonntag9. November 2025

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ForumRichtung22: Seitwärts in die Büsche?

Forum / Richtung22: Seitwärts in die Büsche?
 Foto: Editpress-Archiv/Fabrizio Pizzolante

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Der Historiker Dr. Yves Schmitz hat das Buch „Luxemburg war nie eine Kolonialmacht“ veröffentlicht. Für sein Werk wurde er mit dem sogenannten „Lëtzebuerger Buchpräis“, einer Selbstbefriedigungstrophäe des Verlegerverbands, ausgezeichnet. In der Radio-100,7-Sendung „Déi wonnerbar Valibrairie“, live übertragen von den „Walfer Bicherdeeg“, gab er Auskunft über seine Arbeitsweise.

Auf die Frage des Moderators, ob der Kolonialismus Spuren in der aktuellen Luxemburger Gesellschaft hinterlassen habe, zum Beispiel in Bezug auf Rassismus und Stereotypen, antwortete Dr. Schmitz wörtlich: „Rassismus a Stereotypen ass eppes, wat ee wierklech plastesch hautdesdaags gesäit. Do muss een einfach quasi nëmmen duerch Lëtzebuerg lafen. An do gesäit ee mengen ech vill Beispiller, vu Monumenter iwwert Stroosseschëlter. Et gëtt awer nach méi Saachen, z.B. a Kannerlidder oder bei Missionaren, dee jo bis haut e wichtege Personnage fir d’Lëtzebuerger Kultur ass.“

Rassismus in Kinderliedern? Wie kommt Dr. Schmitz auf diese abenteuerliche Behauptung? Ja, in der Tat, vor kurzem tobte in den asozialen Hetzwerken ein merkwürdiger Shitstorm. Ein paar besonders helle Köpfe wollten herausgefunden haben, dass im 2003 veröffentlichten Kinderlied „Kleng Ried fir déi friem Päiperleken“ krasse rassistische Klischees zu verzeichnen seien. Der Autor (der mir bekannt ist) wurde an den Pranger gestellt und als Hetzer gegen die kosovo-albanische Gemeinschaft in Luxemburg gebrandmarkt. Diese Darstellung wurde allerdings schnell entkräftet. Deutliche Stellungnahmen in der Presse unterstrichen, dass „Kleng Ried fir déi friem Päiperleken“ ganz im Gegenteil ein satirisches Pamphlet wider die Rassisten aller Couleur ist, also ein genuin antirassistischer Text. Wie üblich hatten die Leichtfertigen und Fahrlässigen in einem zwielichtigen Medium einen vermeintlichen Skandal vom Zaun gebrochen. So weit, so schlecht.

Flüchtigkeit und Ungenauigkeit?

Doch nun verkompliziert sich die Sache. Obwohl der erwähnte Shitstorm vollends daneben zielte und unmissverständlich widerlegt wurde, greift Dr. Schmitz den Rassismusvorwurf wieder auf und verbreitet ihn erneut über eine klassische Rundfunkanstalt. Aus welchem Grund? Muss man ihm Flüchtigkeit und Ungenauigkeit bescheinigen? Woher bezieht er seine „Informationen“? Hat er sich sorgfältig erkundigt? Oder hat er sich nur seitwärts in die Büsche geschlagen, hinein ins finstere Hetzwerkgehege, wo es auf Wahrheit und Exaktheit gar nicht ankommt?

Das allerdings wäre ein echter Kunstfehler. Denn Dr. Schmitz beschreibt sich selbst als minutiösen Forscher. Die Eckwerte seiner Arbeit seien „reng wëssenschaftlech, reng Recherche“, betont er in der 100,7-Sendung. Warum lässt er dieser kühnen Selbsteinschätzung keine Taten folgen? Warum verlässt er sich auf das Gestammel von Schwätzern, die von literarischen Techniken keinen blassen Schimmer haben und im Netz nur ihren diffusen Frust herauskotzen? Man kann nur hoffen, dass er nicht auch sein Kolonialismus-Buch ähnlich unbekümmert und heillos schludrig zusammengestochert hat. Es macht immerhin einen schwerwiegenden Unterschied, ob sich ein paar unbedarfte Pöbler im Netz austoben und Dinge einfach aus der Luft greifen, oder ob ein promovierter Historiker diese Hirngespinste unbesehen übernimmt und für seine Zwecke instrumentalisiert.

Teil militanter Aktionen

Dr. Schmitz fühlt sich dem Künstlerkollektiv Richtung22 – Selbstbeschreibung: „Mir sinn Fräiraum, Safe Space an Zukunftslaboratoire“ – stark verbunden. Vielleicht liegt hier der Schlüssel für seine erstaunliche Leichtsinnigkeit. Richtung22 hat sein Buch grafisch gestaltet und pocht darauf, das Werk als Teil seiner militanten Aktionen auszugeben. Die Aktivistengruppe hat in der Vergangenheit bereits für spektakuläre öffentliche Interventionen zum Schwerpunkt Kolonialismus verantwortlich gezeichnet. So richtig und wichtig diese Kampagnen sind, kommt man nunmehr nicht daran vorbei, auch die Frage nach den Hintergrundmaterialien zu stellen. Oder hat sich Dr. Schmitz mit seiner Kinderlieder-Aussage einen einmaligen Schnitzer geleistet?

Bei aller Sympathie für die muntere Truppe, die das behäbige, vergessliche und verdrängungsanfällige Luxemburg ganz schön aufmischt, ist es wohl erlaubt, ihre Instrumente und Aktionsmittel gelegentlich zu hinterfragen. Vor einigen Jahren gab es in der Hauptstadt eine große Anti-Rassismus-Demo mit vielen Teilnehmern, darunter auch Mitglieder von Richtung22. Sie fielen besonders auf, weil sie eine riesige Banderole mit der weithin sichtbaren Aufschrift „Kee Mënsch brauch al wäiss Männer“ entrollten. Verwunderlich ist im Nachhinein nur, dass sie vom Organisator der Demo nicht sofort aufgefordert wurden, ihre Banderole wieder einzupacken. Denn mit diesem stigmatisierenden Spruch verstießen sie eindeutig gegen Ziel und Zweck der Manifestation.

Pauschale Verurteilung

Wer gegen Rassismus demonstriert und dabei selber mit herabsetzenden Parolen auftrumpft, verspielt seine Kreditwürdigkeit. Hier wird gleich eine dreifache Diskriminierungs-Salve abgefeuert: gegen die Alten, gegen die Weißhäutigen und gegen die Männer. Was soll die pauschale Verurteilung? Niemand kann für sein Alter, seine Hautfarbe und sein Geschlecht. Und ironischerweise hängen die jungen weißen bewundernswerten Draufgänger meist bei den alten weißen verabscheuungswürdigen Männern am finanziellen Tropf.

Vielleicht hat Richtung22 ja ein generelles Problem mit dem öffentlichen Protest gegen Rassismus. Wenn die eingesetzten Mittel nicht stimmen, riskiert der Begriff Rassismus entwertet und verharmlost zu werden. Das beabsichtigt Richtung22 sicher nicht, an ihrem Widerstand gegen Rassisten aller Art gibt es keinen Zweifel. Aber das Kollektiv sollte aufhören, sich am untauglichen Objekt abzuarbeiten. „Al wäiss Männer“ sind nicht der exklusive Feind. Und „rassistesch Kannerlidder“, die nur in der Fantasie von Schwurblern existieren, bieten schon gar keine Argumentationshilfe.

Guy Rewenig ist Schriftsteller. Sein aktuelles Buch im Binsfeld-Verlag heißt „Goss. Roman“.
Guy Rewenig ist Schriftsteller. Sein aktuelles Buch im Binsfeld-Verlag heißt „Goss. Roman“.