Medienkritik Richtung22 stellt RTL an die (Lein)wand

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In „Stëmm vu Lëtzebuerg“ untersucht das Kunstkollektiv Richtung22 den Einfluss von RTL auf die Gesellschaft Foto: Richtung22

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Der Kampf gegen RTL geht in die nächste Runde: Das Kunstkollektiv Richtung22 präsentiert am Freitag den Film „Stëmm vu Lëtzebuerg“ und geht erneut hart mit dem Medienunternehmen ins Gericht. Die zuständigen Autoritäten schweigen. 

„RTL kann sich auf etwas gefasst machen, denn wir greifen an.“ Diese Kampfansage von Richtung22 fiel im Januar in einem Tageblatt-Interview – und das Kollektiv meinte es ernst. Zum Jahresbeginn lancierte es die satirische Website „RTL1“, auf der es die Berichterstattung von RTL anprangert: Wer die Website aufruft, stößt sowohl auf kritische Artikel über die Interessenkonflikte verschiedener Mitarbeiter*innen als auch auf verspottende Beiträge und sogar auf ein Computerspiel, das die Sensationsgier von RTL mit Humor vorführt. Im März folgte das Theaterstück „Ween stoppt RTL?“. Auf der Bühne stand die problematische Firmenstruktur von RTL im Mittelpunkt, die auf fragwürdige Deals zwischen Politik und Privatunternehmen basiert. Jetzt tritt Richtung22 mit dem Film „Stëmm vu Lëtzebuerg“ nach. Dieses Mal analysiert das Kollektiv den Einfluss von RTL auf die luxemburgische Bevölkerung.

Der Titel sei selbsterklärend, sagt Richtung22 im Gespräch mit dem Tageblatt. „Wir brechen mit der Romantisierung von RTL als allgemeinem Kulturgut“, so das Kollektiv. „Wir wollten RTL schon immer zerstören – nach dem Kulturjahr Esch2022 hatten wir endlich die Zeit und Mittel dafür.“ 2016 ging das Kollektiv bereits erfolgreich gegen die sexistische „Pin up“-Rubrik von RTL vor, in der leicht bekleidete Frauen zu sehen waren. Die Rubrik wurde abgeschafft, nachdem Richtung22 dagegen protestierte.

Blut und Geld

Derzeit interessiert sich aber auch die Historikerin Dominique Santana für die Geschichte von RTL: Sie arbeitet an dem transmedialen Projekt „Radio Luxembourg –The station that changed our world“, das sich mit der Geschichte kommerzieller Radiostationen in Europa befasst. Richtung22 befürchtet, dass dort ein einseitiges Bild von RTL gezeichnet und vor allem die Rolle von „Radio Lëtzebuerg“ in der Nachkriegszeit thematisiert wird. „Wir wollen mit unserem Film dagegen halten“, betont das Kollektiv. Viel über den Inhalt des eigenen Films will es allerdings nicht verraten – außer, dass der Streifen zu achtzig Prozent am Stausee spielt. Die Standbilder, die dem Tageblatt zur Illustration dieses Artikels vorliegen, geben weitere Details preis: Es fließt Blut und es gibt Geld.

Wir wollten RTL schon immer zerstören – nach Esch2022 hatten wir endlich die Zeit und Mittel dafür

Richtung22, Kunstkollektiv

Warum braucht es neben der Website und dem Theaterstück nun auch noch einen Film über RTL? Das Kollektiv gibt eine klare Antwort: Jedes Medium spreche ein anderes Publikum an. Richtung22 bemühe sich immer um den freien Zugang zu Kultur, deswegen sei das Theaterstück inzwischen auch online zu sehen. Gleichzeitig will das Kollektiv mit seinen Filmen einen Beitrag zu kritischer Filmproduktion in Luxemburg leisten. Um diese sei es nämlich allgemein eher schlecht bestellt. Folgendes war zwar nicht Thema im Gespräch mit Richtung22, ist aber dennoch interessant: Der Film Fund Luxembourg rief seinerseits erst kürzlich gemeinsam mit RTL zu neuen TV-Produktionen auf. Noch dazu stand der Film Fund in der Vergangenheit selbst wegen Interessenkonflikten und finanziellen Undurchsichtigkeiten in den Schlagzeilen. Inwiefern dies einen Einfluss auf die kritische Filmproduktion hat, bietet sicherlich Stoff für weitere Artikel.

Doch zurück zu Richtung22: Nach Aussagen des Kollektivs interessiere sich die luxemburgische Filmindustrie für Produktionen, die sich gut auf Festivals verkaufen. „Das widerspricht unserem Verständnis des Mediums“, unterstreicht das Kollektiv. „Wir zeigen, was in Luxemburg passiert. Nicht das, was in Cannes gut ankommt.“ Das Kollektiv erhalte beim Vertrieb Unterstützung regionaler Kinos: Die Türen des Ciné Sura (Echternach) standen ihm von Anfang an offen, die des Ciné Le Paris (Bettemburg) nun ebenfalls. „Gemeinsam bemühen wir uns um die Dezentralisierung des Kulturangebots“, sagt Richtung22.

Beim Publikum stößt das Gesamtprojekt des Kollektivs bisher jedenfalls auf große Resonanz. „Wir wurden im Zuge des Projekts mehrfach von Privatpersonen kontaktiert, die die Berichterstattung von RTL zu bestimmten Themen dokumentiert haben“, heißt es. „Es scheint, als hätten wir einen Nerv getroffen – vielen Menschen gehen die Beiträge von RTL und der Betrieb gegen den Strich. Sie verstehen uns als Sprachrohr.“ Die Theatervorstellungen waren ausverkauft; es besteht eine Nachfrage an Wiederaufführungen. „Noch nie war eins unserer Theaterstücke so schnell ausverkauft“, verrät Richtung22. Noch dazu habe das Stück andere Besucher*innen angelockt als das Stammpublikum. „Es waren Angestellte vom Medienministerium und sogar von RTL dort.“

Funkstille

Die Freude über den Erfolg ist dennoch begrenzt, denn an der eigentlichen Problematik habe sich seit Januar nichts geändert. Zwar hätten Einzelpersonen das Streitgespräch mit dem Kollektiv gesucht, eine offizielle Stellungnahme von RTL oder vom Staatsministerium, unter anderem zuständig für Medien und in Hand der CSV, lasse jedoch weiter auf sich warten. Auch ist das Kollektiv noch nicht von den zuständigen Autoritäten auf ein Gespräch eingeladen worden. Die ernsthafte Debatte über eine Reform der öffentlich-rechtlichen Medien – das Ziel des Kollektivs – lässt ebenfalls auf sich warten. „Dabei wäre jetzt der Moment: 2030 läuft der Konzessionsvertrag zwischen RTL und dem Staat nämlich aus“, so das Kollektiv weiter.

Worüber RTL nicht berichtet, darüber spricht niemand

Richtung22, Kunstkollektiv

Im gleichen Atemzug erinnert es an die Monopolstellung von RTL und seine damit einhergehende Macht, öffentliche Debatten zu lenken. „Worüber RTL nicht berichtet, darüber spricht niemand“, sagt das Kollektiv. „Ironischerweise deckt sich das mit der Kritik, die wir mit unserem Projekt an RTL äußern. Im Grunde ist das vonseiten des Betriebs eine Form von Selbstschutz: Man will offensichtlich eine kritische Selbstreflektion vermeiden.“ Ähnlich verhält es sich offensichtlich mit dem zuständigen Ministerium. Vom Tageblatt auf den ausbleibenden Dialog mit Richtung22 und eine etwaige Auseinandersetzung mit RTL angesprochen, antwortet die Pressestelle des „Service des médias, de la connectivité et de la politique numérique“ (SMC) lapidar: „Es steht dem SMC prinzipiell nicht zu, satirische Inhalte eines Kunstkollektivs zu kommentieren.“

Die Ministerien und Politiker*innen der neuen Regierung spielen also offensichtlich nach unterschiedlichen Regeln, denn Innenminister Léon Gloden (CSV) scheute sich in der Vergangenheit nicht, öffentlich Stellung zu Serge Tonnars satirischem Gedicht gegen das umstrittene Bettelverbot zu beziehen. Indem das SMC die RTL-Kritik von Richtung22 als Satire abtut und ad acta legt, sagt es derweil vieles über die luxemburgische Medienpolitik aus und unterstreicht eigentlich nur die von Richtung22 angeprangerte Vorzugsbehandlung von RTL sowie den dadurch entstehenden unlauteren Wettbewerb zwischen den Medien. 

Bisher kam es nur zum Austausch zwischen Richtung22 und der „Autorité luxembourgeoise indépendante de l’audiovisuel“ (Alia), der luxemburgischen Medienaufsicht – auch wenn dieser recht einseitig ausfällt: Das Kollektiv reicht derzeit täglich Klagen gegen RTL bei der Alia ein, bisher ohne Rückmeldung. Auf Nachfrage des Tageblatts sagt Paul Lorenz, Direktor der Alia, die Medienaufsicht äußere sich generell weder zum Eingang von Dossiers noch über deren Bearbeitung. Falle ein Urteil, werde jenes zu dem Zeitpunkt auf der Website der Alia dokumentiert.

Informationszugang

Der fehlende Dialog mit den Autoritäten ist aber nicht das Einzige, was dem Kollektiv bei diesem Projekt zu schaffen macht. „Es ist schwer, an Informationen zu kommen“, offenbart es. „Viele Berichte und Auskünfte über Budgets sind unzugänglich oder wurden angeblich mündlich formuliert.“ Darüber hinaus kämpft es mit finanziellen Engpässen. „In der letzten Legislaturperiode wurde uns die Erhöhung unserer Konvention mit dem Kulturministerium versprochen“, erinnert sich das Kollektiv. „Stattdessen wurde jene dieses Jahr lediglich an die Inflation angepasst.“ Das Kollektiv erhielt 2023 vonseiten des Kulturministeriums Fördergelder in Höhe von 150.000 Euro, dieses Jahr sind es 156.000 Euro.

Die Hoffnung auf eine „Carte blanche“ der Gemeinde Esch ist inzwischen ebenfalls gestorben, denn das Format wurde 2024 eingestellt. Flossen letztes Jahr noch 70.000 Euro der Gemeinde Esch in die Kassen des Kollektivs, fehlen diese jetzt. Für den durchgängigen Jahresbetrieb bräuchte die Gruppe, berechnet nach ihrer Größe und den vielfältigen Projekten, allerdings mindestens 400.000 bis 500.000 Euro. „Im Rahmen von Esch2022 wurde immer wieder von einer nachhaltigen Kulturförderung gesprochen“, kritisiert Richtung22. „Davon fehlt jetzt jede Spur.“ Ändert sich die finanzielle Situation des Kollektivs nicht bald, könnte der Film „Stëmm vu Lëtzebuerg“ vorerst das letzte große Kapitel der RTL-Tragödie sein und auch weitere Projekte für das nächste Halbjahr stehen auf der Kippe.

Vorführungen „Stëmm vu Lëtzebuerg“

12. April um 20 Uhr (Premiere + RTL1-Show) in der Abtei Neimënster (28, rue Münster, L-2160 Luxemburg-Stadt)
19. April um 20.15 Uhr im Ciné Sura (18, rue de la Montagne, L-6470 Echternach)
18. Mai im Rahmen des Festivals „Koll an Aktioun“, Uhrzeit noch ungewiss („Musée de l’ardoise“, entrée principale, L-8823 Obermartelingen)                                                                                                                            25. Mai um 20.30 Uhr im „Ale Gemengenatelier“ gegenüber der Jugendherberge in Lultzhausen (20, an der Driicht, L-9666 Lultzhausen)                                                                                                                                   

Der Vertrieb durch Cinextdoor-Kinos ist für Anfang Mai geplant.

2021 

entscheidet das luxemburgische Verwaltungsgericht: Parlamentsabgeordnete erhalten Einsicht in Dokumente, die die Regierung mit Drittparteien abschließt. Darunter fällt auch die Konvention zwischen dem Staat und der „Compagnie luxembourgeoise de télédiffusion“ (CLT-Ufa) sowie der RTL-Gruppe. 

2022

verabschiedet die luxemburgische Abgeordnetenkammer einen Konventionsvertrag zwischen dem Luxemburger Staat, CLT-Ufa und der RTL-Gruppe bis zum Jahr 2030. Bei der Abstimmung enthalten sich nur „déi Lénk“. RTL wird mit einem öffentlich-rechtlichen Auftrag für Radio- und Fernsehbeiträge sowie für digitale Aktivitäten betraut. Kostenpunkt: bis zu 15 Millionen Euro im Jahr. 

2024

lanciert das Kunstkollektiv Richtung22 sein Projekt „D’Ënn vu Lëtzebuerg“. Neben der satirischen Website „RTL1“ erscheinen das Theaterstück „Ween stoppt RTL?“ und der Film „Stëmm vu Lëtzebuerg“. Das Tageblatt dokumentiert das Projekt mit einem Interview von Jérôme Quiqueret über den medienkritischen Aspekt des Projekts, einem Gespräch über politisches Theater, geführt von Stefan Kunzmann, und mit einem Editorial von Sydney Wiltgen über Medienkritik in Luxemburg.