Freitag31. Oktober 2025

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ForumRichtiger Ansatz, falscher Weg – Wie ein Fahrradweg zum Sinnbild planloser Politik wurde

Forum / Richtiger Ansatz, falscher Weg – Wie ein Fahrradweg zum Sinnbild planloser Politik wurde
Mobilitätsministerin Yuriko Backes (DP) und der Escher Schöffe Meris Sehovic („déi gréng“) anlässlich der Einweihung des neuen Radwegs Foto: Editpress/Claude Lenert

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Die LSAP bekennt sich klar zur nachhaltigen Mobilität. Auch wir als LSAP-Fraktion haben dem Vorhaben im Gemeinderat grundsätzlich zugestimmt – nicht zuletzt, weil viele von uns selbst alltäglich Rad fahren. Unsere Zustimmung erfolgte jedoch unter anderen Voraussetzungen. Umso deutlicher kritisieren wir heute die Art und Weise, wie die neue Fahrradtrasse durch die Kanalstraße umgesetzt wurde. Denn es geht hier längst nicht nur um einige entfallene Parkplätze – sondern um städtebauliches Potenzial, um Lebensqualität in belasteten Vierteln und um verantwortungsvolle, langfristige Planung.

Die heutigen Probleme sind keineswegs überraschend. Bereits 2020 kappte die damalige Mehrheit mit einem Fahrradverbot in der Alzettestraße und der Avenue de la Gare eine der wichtigsten Verbindungen zwischen Bahnhof, Innenstadt und den dicht besiedelten Vierteln Al Esch und Brill. Das eigentliche Problem – Jugendliche auf Leihfahrrädern, die rücksichtslos durch die Fußgängerzone fuhren – wurde nicht gezielt gelöst. Statt differenzierter Maßnahmen entschied man sich für eine pauschale Verbannung des Radverkehrs – zum Nachteil aller, auch der Kundschaft des lokalen Handels.

Gummipoller, Pflanzkübel und bunte Farbe ersetzen keine integrierte Stadtplanung

Was folgte, war eine überstürzte Korrektur dieses Fehlers: Die Kanalstraße wurde kurzerhand zur Ersatzroute erklärt – mit Markierungen und bunten Piktogrammen zur „sicheren Fahrradverbindung“ erklärt. Wer den Verkehr dort kennt, weiß: Das war keine Lösung, die reale Gefahr blieb bestehen – und zwang die Verantwortlichen erst jetzt, nach Jahren der Passivität, zum Handeln. Doch nicht aus Weitsicht, sondern aus Druck.

Dabei war der Handlungsbedarf längst absehbar. Der Staat hatte bereits 2019 den Bau des Velodukts beschlossen, 2022 wurde es fertiggestellt. Eine Anbindung an das Stadtzentrum war somit keine Frage des Ob, sondern des Wann und Wie. Seit 2023 hat die LSAP-Fraktion bei jeder Gelegenheit im Gemeinderat auf die Notwendigkeit einer durchdachten, zukunftsorientierten Anbindung hingewiesen. Und nun – plötzlich – wird unter Verweis auf „kurzfristige Entscheidungen“ eine zentrale Verkehrsachse umgebaut: ohne Konzept, ohne Dialog und ohne Rücksicht auf die Gegebenheiten vor Ort.

Schlechter Zeitpunkt, mangelnde Abstimmung

Hinzu kommt: Die gewählte Umleitung über die rue des Charbons ist selbst noch für Monate Großbaustelle. Ein schlechter Zeitpunkt für eine solch tiefgreifende Maßnahme. Ein Aufschub von wenigen Monaten hätte genügt, um die Arbeiten besser zu koordinieren – und vor allem, um gemeinsam mit Bürger:innen, Anwohner:innen und dem lokalen Handel und Gastronomie tragfähige Lösungen zu entwickeln.

Es wundert nicht, dass Alternativen offenbar nicht ernsthaft geprüft wurden – etwa eine Route über die rue Dicks und rue C. M. Spoo, wie sie die Initiative „Esch Biken“ vorgeschlagen hatte. Diese Einbahnstraßen hätten neu gestaltet werden können – etwa durch Tempo-20-Regelung, Gegenverkehr für Fahrräder und gestalterische Aufwertung. Das hätte nicht nur bestehende Konflikte entschärft, sondern zugleich die Straßen aufgewertet, die sich heute in einem stark vernachlässigten Zustand befinden. Solche Optionen nicht einmal zu prüfen, zeugt von fehlender Weitsicht – oder schlicht von der Arroganz.

Stattdessen wird der ohnehin enge Stadtraum der Kanalstraße blockiert – nicht nur verkehrstechnisch, sondern auch städtebaulich. Perspektiven für dieses Viertel werden damit verstellt, statt eröffnet. Gummipoller, Pflanzkübel und bunte Farbe ersetzen keine integrierte Stadtplanung.

Wir als LSAP haben konkrete, umsetzbare Alternativen bereits im Wahlprogramm vorgeschlagen. Denn wir denken Mobilität nicht isoliert, sondern als Teil eines Gesamtkonzepts aus Stadtentwicklung, Wohnqualität und sozialer Realität. Die Viertel Brill und Al Esch gehören zu den am dichtesten besiedelten in ganz Luxemburg. Viele Gebäude sind alt, der öffentliche Raum eng. Die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist lückenhaft – wer abends oder am Wochenende unterwegs sein will, ist oft auf das Auto angewiesen. Gleichzeitig ist der Parkraum chronisch überlastet, was regelmäßig zu Konflikten unter Anwohner:innen führt.

Deshalb fordern wir ein quartiersbezogenes, nicht kommerziell genutztes Parkhaus am Victor-Hugo-Platz – einem Ort, der heute schon als Parkplatz dient, ohne städtebaulichen Mehrwert. Mit rund 150 Stellplätzen könnte ein solches Parkhaus mindestens 120 Fahrzeuge aus dem Straßenraum aufnehmen. Dadurch würden rund 1.800 m² Fläche im Viertel frei – wertvoller Raum, der sinnvoll genutzt werden könnte: für Grünzonen, Spielplätze, Gemeinschaftsflächen, Terrassen für Restaurants und Cafés, verkehrsberuhigte Fahrradachsen. Es wäre ein konkreter Schritt hin zu einem lebenswerten, atmenden Viertel.

Solche „Mobilitätsspeicher“ bündeln den ruhenden Verkehr und schaffen neue Aufenthaltsqualität – gerade in Vierteln mit hoher sozialer Dichte. Ein Modell mit Vorbildcharakter: für Brill und Al Esch, aber auch für andere belastete Quartiere in Esch.

Es fehlt nicht am Geld, sondern am Willen

Und: Die Stadt hätte die Mittel. Es mangelt nicht am Geld, sondern an politischem Willen und klaren Prioritäten. 80 Millionen Euro für eine hölzerne Trainingshalle, vier Millionen Euro jährlich für die Event-ASBL frEsch – die aktuelle Mehrheit beweist, dass sie „investieren“ könnte. Nur leider nicht dort, wo es das tägliche Leben der Menschen konkret verbessern würde. Für den Stadtkern bleiben Absperrungen, Kübel und bunte Farbe – das ist keine Stadtentwicklung mit Substanz.

Die Fahrradtrasse durchs Escher Zentrum hätte ein Leuchtturmprojekt werden können – für moderne, klimafreundliche Mobilität, für integrierte Stadtentwicklung und für eine spürbare Verbesserung der Lebensqualität in stark belasteten Vierteln. Dazu hätte es allerdings vorausschauender Planung und gezielter Investitionen in die Infrastruktur des Stadtzentrums bedurft – Maßnahmen, deren Nutzen sich nicht sofort erschließt, sondern erst mittelfristig Wirkung entfaltet. Das setzt strategisches Denken voraus – und den politischen Mut, über den Tag hinaus zu handeln. Genau das aber vermissen wir bei der aktuellen Mehrheit.

Stattdessen steht die Trasse heute sinnbildlich für das Gegenteil: eine gute Idee, überhastet umgesetzt, schlecht kommuniziert und realitätsfern geplant. Ein Paradebeispiel dafür, wie ambitionierte Ziele durch fehlende Koordination und mangelnde Bürgerbeteiligung entwertet werden. Und sie offenbart eine politische Haltung, die zentrale Fragen – wie soziale Gerechtigkeit, Lebensqualität, urbane Gestaltung und Partizipation – systematisch ausklammert.

Wir als LSAP stehen für eine andere Politik: vorausschauend, strukturiert, sozial ausgewogen und bürgernah. Für uns ist Mobilität kein PR-Instrument, sondern Teil einer ganzheitlichen Stadtentwicklung – gerade in Quartieren wie Brill und Al Esch, wo Zusammenhalt, Wohnqualität und funktionierende Infrastruktur Hand in Hand gehen müssen.

Nicht alles, was schnell sichtbar ist, ist auch sinnvoll. Nicht jede Maßnahme, die bunt und laut daherkommt, bedeutet Fortschritt. Echte Veränderung braucht Planung, Dialog, Substanz – und den Willen, zuzuhören, bevor man handelt.

Und genau das fehlt dieser Mehrheit.

Steve Faltz, Liz Braz, Enesa Agovic, Sacha Pulli, Ben Funck, Aldin Avdic

John G.
17. Juni 2025 - 22.13

@ Tony : Yep. Scheint so.
Scheint auch eine treffende Formulierung fur eine sehr alte Taktik zu sein, die man „Politisches Denken“ nennt, also für etwas igendwie „Unaussprechliches“…

Ton Ton
16. Juni 2025 - 11.18

Ploschteren als Städteplanung.

Tony
16. Juni 2025 - 11.11

Erstaunlich, wie differenziert man sich im Nachhinein von Entscheidungen distanzieren kann, die man zuvor mitgetragen hat. Zustimmung scheint heute weniger eine Frage der Überzeugung zu sein - sondern eher ein taktischer Zwischenhalt auf dem Weg zur Empörung von morgen.

Stip
16. Juni 2025 - 10.18

..... falscher Weg. Und das ist nicht der Einzige. Es gibt noch viele solcher blödsinnigen geldverschwendungs Wege.