Der Duden definiert Gerechtigkeit als „Prinzip eines staatlichen oder gesellschaftlichen Verhaltens, das jedem gleichermaßen sein Recht gewährt“, und gibt als Beispiel unter anderem die „soziale Gerechtigkeit“ an.
Diese Definition lässt natürlich viel Spielraum für Auslegungen und es würde an dieser Stelle (auch mit mehr als 500 zur Verfügung stehenden Zeichen) zu weit führen, um sich im Detail mit dem Konzept der Gerechtigkeit zu befassen.
Um zu erläutern, was Gerechtigkeit im Kontext der Renten bedeutet, muss man sich meiner Meinung nach auf die Grundprinzipien unserer Rentenversicherung berufen.
Ein öffentliches Umlagesystem ist auf jeden Fall das gerechteste (und sicherste) System
Eine der Grundlagen der luxemburgischen Rentenversicherung ist, dass es sich um ein Umlagesystem handelt, das heißt, dass die Arbeitnehmer einer jeweiligen Periode durch ihre Beiträge die Renten der gleichen Periode finanzieren.
Die Generationen sitzen sozusagen alle in einem Boot, und der geschaffene Reichtum (sprich das Bruttoinlandsprodukt) wird zum jeweiligen Moment zwischen der aktiven und inaktiven Bevölkerung auf der einen Seite und dem „Kapital“ auf der anderen Seite aufgeteilt.
Es handelt sich um ein öffentliches und solidarisches System, bei dem es gerecht ist, dass die Renten an die allgemeine Wohlstandsentwicklung angepasst werden. Das „Rentenréajustement“, das im Moment in Frage gestellt ist, ist hierbei ein wesentlicher Teil unseres Systems, denn es ist nur folgerichtig, dass Rentner von den Produktivitätsgewinnen der Wirtschaft, die sie mit aufgebaut haben, auch profitieren.
Die Rentengerechtigkeit verlangt auch, dass das System inklusiv gestaltet ist und eine breite Bevölkerungsbasis umfasst. Die gesetzliche Altersvorsorge erfüllt diese Anforderungen, im Gegensatz zu privaten Zusatzrenten, die größtenteils den besserverdienenden Schichten vorbehalten bleiben und unsicher und unrentabel für den Sparer sind.
Das öffentliche System erlaubt es auch, gesellschaftlich als wichtig angesehen Perioden (Studienjahre, Erziehungsjahre etc.) als Versicherungsjahre anzuerkennen.
Weitere Verschlechterungen für „di Jonk vun haut“ wären ungerecht und unzumutbar
Es ist auch gerecht und normal, und auch völlig unproblematisch, dass bei zunehmender Alterung der Bevölkerung die Ausgaben für die Renten im Vergleich zum Bruttoinlandprodukt steigen1).
Eine vergleichbare Entwicklung (Verdopplung!) gab es auch in den letzten 50 Jahren und diese hat zu keinerlei sozialen oder wirtschaftlichen Verwerfungen geführt!
In diesem Zusammenhang ist es auch völlig unsinnig, zu meinen, dass das Risiko besteht, dass die „Jonk vun haut“ riskieren, später keine Rente zu bekommen und aufgrund von Panikmache und unsicheren Langzeitprojektionen weitere Kürzungen vorzunehmen, die wiederum nur die „Jonk vun haut“ treffen würden.
Man darf in der aktuellen Diskussion nicht vergessen, dass durch die Reform von 2012 die Renten derer, die in Rente gehen, sich progressiv verschlechtern und ab 2052 im Durchschnitt 15% niedriger sind als 2012. Insgesamt führt die Reform von 2012 dazu, dass eine Person, die im Jahr 2052 in Rente geht, im Durchschnitt, während ihrer gesamten Rente von rund 25 Jahren, bis zu 400.000 Euro weniger bekommt, als wenn sie 2012 in Rente gegangen wäre. Das ist sicher keine Generationengerechtigkeit.
Auf jeden Fall ist die Finanzierung des Rentensystems keine Frage von Jung gegen Alt, und auch nicht nur eine Frage des Beschäftigungswachstums, sondern vor allem eine Frage der Verteilung der zukünftigen Produktivitätsgewinne, also der Verteilungsgerechtigkeit. Proportional weniger Beitragszahler können ohne Einkommensverluste ohne Weiteres mehr Renten finanzieren. Das ist eine makroökonomische Evidenz.
Höhere Beiträge (oder alternative Finanzierungsquellen) wären in diesem Sinn auch angebracht: Luxemburg hat mit die niedrigsten Lohnnebenkosten in Europa, ungefähr die Hälfte des europäischen Durchschnitts. Hier gibt es Spielraum nach oben, ohne die sakrosankte Wettbewerbsfähigkeit in Frage zu stellen.
Denn ein gerechtes System erfordert, dass alle – Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der Staat – ihren Anteil zur Finanzierung des demografischen Wandels beitragen. Es wäre ungerecht, die Last vollständig auf die Haushalte zu verschieben, etwa durch gekürzte Renten.
Es gibt viele (zu) niedrige Renten in Luxemburg
In puncto Rentengerechtigkeit ist die Höhe der Renten oft ein Thema2). Das Luxemburger Rentensystem ist eine Rentenversicherung und basiert auf bismarckschen Prinzipien. Dies bedeutet unter anderem, dass die Rente ein Einkommensersatz ist und auch dem Rechnung trägt, was der Rentner als Arbeitnehmer verdient hat.
Die öffentliche Rente ist also kein Almosen! Im sogenannten „Régime général“ hatten 2022 rund 39% der Einwohner Luxemburgs eine Altersrente von weniger als 2.500 Euro. Bei 80% der Rentner lag sie unter 5.000 Euro.
Die durchschnittliche Rente belief sich auf 3.350 Euro, wobei der durchschnittliche Preis eines Zimmers im Altersheim sich auf rund 3.300 Euro beläuft. Dont acte.
Die Mär der zu hohen Renten, um Beitragserhöhungen zu verhindern, muss endlich aufhören.
Im Gegenteil: Seit zehn Jahren hat sich das Armutsrisiko der Rentner mehr als verdoppelt. Die Mindestrente entspricht nicht den nationalen Standards – sie liegt unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze und unterhalb des vom Statec aufgestellten Referenzbudgets.
Sie muss dringend erhöht werden, um ein würdevolles und finanziell sorgloses Leben im Alter zu ermöglichen, denn eine Armutsrente nach 40 Versicherungsjahren ist definitiv ungerecht.
Eine Erhöhung der Mindestrente würde auch der Geschlechterungerechtigkeit entgegenwirken. Aktuell sind Frauen nämlich viermal häufiger als Männer auf dieses Minimum angewiesen.
„Dis-moi comment tu traites tes vieux et je te dirai dans quelle société tu vis“!3)
Rentengerechtigkeit ist eine gesellschaftspolitische Frage. Oder anders gesagt: Sind wir der Meinung, dass die Altersarmut weiter steigen soll, oder sind wir bereit, gegebenenfalls die nötige Finanzierung aufzubringen, um das aktuelle Rentensystem zu erhalten und aufzubessern?
1) Siehe hierzu den Artikel „Dépenses de pensions: enjeu incertain, mais tout à fait maîtrisable“ auf www.improof.lu.
2) Vergleiche mit dem Ausland sind hier wenig sinnvoll, da die Höhe der Rente im wirtschaftlichen und sozialen Umfeld des jeweiligen Landes betrachtet werden muss.
3) Zitat von T. Gründler und C. Bourdaire-Mignot.

Gerecht ist, heute zu handeln, um morgen nicht vor einem Scherbenhaufen zu stehen. So lautet das Credo der „Union des entreprises luxembourgeoises“. In den Augen von UEL-Präsident Michel Reckinger wäre es ungerecht, die Rücklagen zu „verbraten“, um eine in der Sicht des Patronat-Vertreters notwendige Rentenreform zu umgehen. Den ganzen Text finden Sie hinter diesem Link.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können