„Wir leben in einer anderen Welt als vor 30 Jahren“, sagte Kommissionsvize Valdis Dombrovskis. Die neuen Regeln müssten das widerspiegeln. Es gehe nicht mehr bloß um die Tragfähigkeit der Schulden, sondern auch um die Transformation der Wirtschaft und um nachhaltiges Wachstum, betonte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni.
Allerdings fällt die Reform, die die EU-Behörde nach langem Zögern vorgelegt hat, insgesamt bescheiden aus. An den alten, längst überholten Maastricht-Kriterien will Brüssel festhalten. Die Drei-Prozent-Grenze für das laufende Budgetdefizit soll ebenso bleiben wie das 60-Prozent-Limit für die Gesamtverschuldung.
Das ist bemerkenswert, da selbst Deutschland diese Zielmarken reißt. Laut dem neuen deutschen Stabilitätsprogramm erwartet die Bundesregierung für 2023 ein Minus von etwa 4,25 Prozent. Auch der Schuldenstand ist mit 67,75 Prozent zu hoch. Dabei sind die neuen, milliardenschweren Sondervermögen nicht einmal mitgerechnet.
Mehr Spielraum beim Schuldenabbau
Doch eine Streichung der Maastricht-Kriterien, wie sie Frankreich gefordert hatte, ist auf EU-Ebene ebenso wenig durchsetzbar wie eine Lockerung. Stattdessen soll es nun mehr Spielraum beim Schuldenabbau geben. Die Kommission will mit den Euroländern maßgeschneiderte „Referenzpfade“ vereinbaren, um die Schulden schrittweise abzubauen. Die Länder hätten nach dem Vorschlag vier Jahre lang Zeit, um die Ziele zu erreichen. Investitionen in den Klimaschutz, die Digitalisierung oder die Rüstung werden dabei positiv berücksichtigt. Solange das Defizit über drei Prozent liegt, müssten die Länder ihre Schuldenquote um jährlich einen halben Prozentpunkt verringern.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte eine solche verpflichtende Mindestvorgabe gefordert. Allerdings wollte Lindner hoch verschuldete Länder wie Griechenland oder Italien zwingen, ihre Schuldenquote um mindestens einen Prozentpunkt jährlich zu senken. So weit wollte EU-Kommission dann doch nicht gehen. Der Vorschlag ist ein Kompromiss, wie die meisten Vorlagen aus Brüssel. Er muss nun von den 27 EU-Staaten diskutiert und einvernehmlich beschlossen werden. Viel Zeit bleibt nicht mehr – die neuen Regeln sollen schon 2024 gelten. Die alten Vorgaben des Stabilitätspakts waren in der Corona-Krise ausgesetzt worden.
Dass Streit droht, lässt schon die erste Reaktion aus Berlin erkennen. Bundesfinanzminister Lindner hält die Vorschläge aus Brüssel nicht für zustimmungsfähig. „Die Vorschläge der Kommission entsprechen noch nicht den Anforderungen der Bundesregierung“, sagte Lindner. Initiativen, die auf eine Abschwächung der geltenden Fiskalregeln hinausliefen, könne er nicht akzeptieren.
Widerspruch kam von der Linken. Die Debatte gehe in die falsche Richtung, sagte der Co-Vorsitzende der Linkspartei Martin Schirdewan. Statt um Schuldenabbau müsse es um Investitionen gehen. „Lindner isoliert Deutschland in der EU“, kritisiert Schirdewan. Damit wiederhole er denselben Fehler wie im Streit um den Verbrennungsmotor.
Dabei hatte die FDP einen fertigen Kompromiss in letzter Minute ausgebremst. Am Ende musste die EU-Kommission ihre Vorlage nachbessern.
De Maart
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