12. Dezember 2025 - 6.50 Uhr
GroßbritannienReagiert die Brexit-Insel auf die amerikanischen Zumutungen mit engerer Anbindung an die EU?
Sehnen sich die Briten vor dem Hintergrund immer neuer Zumutungen durch die US-Administration von Donald Trump nach engerer, auch institutioneller Zusammenarbeit? In den Reaktionen der Londoner Medien auf die neue US-Sicherheitsstrategie wird nüchtern der Verlust des außenpolitischen Kernpartners der vergangenen Jahrzehnte analysiert. Da Washington in dem „America first“-Dokument die Insel und die EU als Einheit behandelt, da der Präsident in Medieninterviews ausdrücklich Großbritannien in seine rechtsradikalen Parolen einbezieht – muss dann nicht London seine geopolitische Lage neu bedenken? Der Nationalpopulist im Weißen Haus habe „die Pax Americana vergangene Woche beendet“, glaubt der Tory-Vordenker Lord Daniel Finkelstein. „Wir erleben die Gründung der Nach-Nachkriegswelt.“
Dass dies nur in enger Abstimmung mit jenen Nachbarn und Verbündeten gelingen kann, deren Klub man vor fünf Jahren verlassen hat, gilt mehr und mehr als Selbstverständlichkeit. Selbst überzeugte Brexiteers reden kaum noch über angebliche Vorteile. Sogar die konservative Oppositionsführerin Kemi Badenoch sprach zu Wochenbeginn vom EU-Austritt als einem ökonomischen „Schock“. In den Umfragen hält eine stabile Mehrheit von mehr als 55 Prozent den Brexit für einen Fehler und befürwortet engere Beziehungen mit Brüssel; ein gutes Drittel möchten der EU bald wieder beitreten.
Einstweilen treffen sich Mitglieder des Labour-Kabinetts von Premier Keir Starmer eifrig mit den europäischen Partnern. Am Mittwoch nahmen Vize-Premier und Justizminister David Lammy und Chefankläger Richard Hermer an einer Sitzung des Europarats teil; Ziel der Briten ist es, wie Starmer in einem gemeinsamen Artikel mit der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen mitteilte, die umfassende Reform der Europäischen Menschenrechtskonvention. Diese räume illegal ins Land gekommenen sowie als Kriminelle verurteilten Ausländern zu viele Rechte ein.
Zum Thema Asyl und Einwanderung beriet sich Außenministerin Yvette Cooper am selben Tag in Brüssel mit ihren Kolleginnen. Unterdessen versuchte der Europa-Staatssekretär im Kabinettsrang, Nick Thomas-Symonds, im Gespräch mit dem zuständigen EU-Kommissar Maros Sefcovic die durch den Brexit entstandenen Handelshindernisse abzumildern. Sie verursachen der britischen Volkswirtschaft seriösen Schätzungen zufolge jährlich zweistellige Milliardenkosten.
Keine Rückkehr in die Zollunion
Daran lasse sich am ehesten etwas ändern, wenn das Königreich wieder eine Zollunion mit Brüssel eingehe, behaupten die Liberaldemokraten. Einem entsprechenden Gesetzentwurf stimmten am Dienstag im Unterhaus nicht nur die Europa-freundlichen Nationalisten von Wales und Schottland zu, sondern auch ein Dutzend Labour-Hinterbänkler. Dazu zählte die mächtige Vorsitzende des Finanzausschusses. Von Minister Lammy war vergangene Woche ein ähnlicher Wunsch zu hören, wenn er auch auf ein wesentliches Hindernis hinwies: In ihrem Wahlprogramm 2024 hatte die Arbeiterpartei die Rückkehr in die Zollunion ebenso ausdrücklich ausgeschlossen wie den Wiedereintritt in den EU-Binnenmarkt und die damit verbundene Personenfreizügigkeit.
Am Mittwoch zeigte Starmer allen EU-Verherrlichern die Gelbe Karte. Der Premier zählte die Handelsverträge mit Indien und den USA auf, nicht zuletzt jene Vereinbarung für die eminent wichtige Pharma-Industrie, deren Position auf der Insel durch Trumps hartnäckige Forderungen nach höheren Medikamentenpreisen gefährdet schien. Stattdessen habe seine Regierung „den besten Deal“ mit den USA erzielt, brüstete sich der Regierungschef: „Es wäre weder vernünftig noch fair, diese Vereinbarungen aufzugeben.“
„Pragmatische Annäherung“
Der 63-Jährige muss darauf achten, den pro-britischen Präsidenten nicht zu verärgern. Starmer mag aber auch ernüchtert sein über manche Unflexibilität der Brüsseler Verhandler. Zuletzt scheiterten die Gespräche über engere Rüstungszusammenarbeit an kleinlichen Finanzfragen. Die Briten boten einige Hundert Millionen, die EU wollte für die Zugangsberechtigung zum SAFE-Programm mehrere Milliarden haben. Dabei könnte der Kontinent die Expertise britischer Rüstungsunternehmen gut gebrauchen.
Einstweilen beschwört Starmer, dabei unterstützt von Rechts bis Links, Europas gemeinsame Verteidigung gegen Russland, meint aber die Zusammenarbeit innerhalb der „Koalition der Willigen“ sowie der NATO. Bestenfalls beruft der Premier, wie am Montag, ein Treffen der E3 mit Frankreich und Deutschland ein, um Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj der europäischen Solidarität zu versichern. Über eine „pragmatische Annäherung“, so scheint es, will London doch nicht hinausgehen.
De Maart
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