11. Dezember 2025 - 6.44 Uhr
GroßbritannienRassismus-Vorwürfe gegen den Nationalpopulisten Nigel Farage
Eine Spende von umgerechnet 10,3 Millionen Euro – zu Monatsbeginn sah es so aus, als sei Nigel Farage und seiner nationalpopulistischen Reform-Party frühzeitig eine Art Weihnachtsmann erschienen. Dieser arbeitet im Zivilleben als Geschäftsmann, investiert in Flugbenzin und Kryptowährungen, stammt aus England und lebt seit zwei Jahrzehnten in Thailand. Weiterhin aber interessiert sich Chakrit Sakunkrit alias Christopher Harborne sehr für die Politik seiner Heimat, weshalb er schon Farages früheres Vehikel Brexit-Party mit insgesamt 10 Millionen Pfund unterstützte.
Weil staatliche Finanzierung auf der Insel extrem begrenzt ist, bleiben die Parteien auf vermögende Freunde mit britischem Pass angewiesen. Mit Harborne telefoniere er alle vier bis sechs Wochen, erläuterte Farage, aber: „Er hat absolut keine Gegenleistung verlangt.“ Dessen Geschäften steht „Reform UK“ positiv gegenüber, jedenfalls soll im Falle eines Wahlsieges die Kapitalertragssteuer auf Kryptogewinne stark reduziert werden.
Auf Wahlsiege darf Reform, von den Thai-Millionen befeuert, im kommenden Frühjahr hoffen, wenn auf der Insel viele Kommunal- und Regionalwahlen anstehen. Schon seit Jahresbeginn führt die Partei alle Umfragen an; zuletzt sah die Firma YouGov den Stimmanteil bei 27 Prozent, weit vor Labour (19). So katastrophal dieser Wert für die Regierungspartei von Premier Keir Starmer auch ist – im britischen Mehrheitswahlrecht braucht mindestens ein Drittel der abgegebenen Stimmen, wer im Unterhaus eine Mehrheit der Mandate erlangen will. Der Reform-Wähleranteil aber verharrt unter 30 Prozent. Um über die Stammwählerschaft sowie Protestierer hinauszukommen, braucht Farage Stimmen aus dem respektablen, bürgerlich-konservativen Lager.
Vielleicht reagiert der 61-Jährige deshalb so angefasst auf immer neue Vorwürfe in Londoner Medien, angeführt vom Guardian: Mindestens bis zur Volljährigkeit habe der Jugendliche schwarzen, jüdischen und aus Asien stammenden Mitschülern seiner teuren Londoner Privatschule Dulwich College das Leben schwer gemacht. Mittlerweile bezeugen knapp 30 Männer bewundernde Äußerungen über den Massenmörder Adolf Hitler und an Obsession grenzende Besorgnis über die Einwanderung aus früheren britischen Kolonien. Einzelnen Mitschülern soll Farage mit abfälligen antisemitischen und rassistischen Bemerkungen zugesetzt haben.
Strikte Distanz zu Rechtsextremisten
Das Thema kam erstmals 2013 zur Sprache, als ein Investigativ-Reporter an einer Biografie über den damaligen UKIP-Chef arbeitete. Dabei stieß Michael Crick auf die Beurteilung eines Lehrers: Der 17-Jährige Farage sei als Hitler-Bewunderer bekannt und deshalb als Präfekt, eine Art Klassensprecher, ungeeignet. Damals reagierte der Politiker souverän: „Natürlich habe ich allerlei dummes Zeug geredet“, sagte er. Man müsse doch unterscheiden zwischen dem losen Gerede eines Jugendlichen und seiner politischen Arbeit.
Tatsächlich hielt sich der langjährige Europa-Abgeordnete in Brüssel stets fern von Antisemiten, Hitler-Bewunderern und Rassisten, verweigerte bis zum Brexit dem Front national (heute Rassemblement national) von Jean-Marie und Marine Le Pen die Zusammenarbeit. Inzwischen aber scheinen sich die Parteien anzunähern: Am Dienstag besuchte der neue RN-Chef Jordan Bardella den Reform-Vorsitzenden in London.
Auf der Insel wahrt Farage strikte Distanz zu Rechtsextremisten wie dem mehrfach als Straftäter verurteilten Tommy Robinson. Dadurch ging ihm zu Jahresbeginn eine bereits zugesagte Millionenspende des US-Milliardärs Elon Musk verloren. Die immer wieder auftauchenden Berichte über Rassisten in den Reform-Reihen beantwortet Farage rigoros mit Parteiausschlüssen, zuletzt beim Chef der Kommunalvertretung in der Grafschaft Stafford.
Die nicht abreißenden Vorwürfe der früheren Schulkameraden scheinen den sonst stets Bonhomie verbreitenden Politiker „richtig, richtig nervös“ zu machen, analysierte Biograf Crick im Times Radio. Erst tat Farage die Anschuldigungen auch diesmal als „Schulbuben-Gerede“ ab, leugnete später alles glattweg ab. Das sei doch alles „erfundener Quatsch“, assistierte Partei-Vize Richard Tice.
„Es war brutal und anhaltend“
Wirklich? Detailliert haben mehrere Männer ihre Erinnerungen geschildert. Dem gleichaltrigen Peter Ettedgui, einem Juden, habe der junge Farage ins Ohr geflüstert: „Hitler hatte recht“ und „Vergast sie“. Dazu habe er ein zischendes Gasgeräusch imitiert. „Es war brutal und anhaltend“, hat der preisgekrönte Filmproduzent zu Protokoll gegeben.
16-jährig nahm Farage der Schilderung von Yinka Bankole zufolge den damals Neunjährigen ins Visier. „Er schaute auf mich herab und herrschte mich an: ‚Woher kommst du?‘ Und dann wies er weit weg und sagte: ‚Da geht’s nach Afrika.‘“ Diese rassistische Belästigung habe sich mehrfach wiederholt. „Ich erinnere mich genau an seinen hasserfüllten Blick“, schrieb der heute 54-jährige Ingenieur im Guardian.
Profaneren, aber strafrechtlich relevanten Vorwürfen geht seit dieser Woche die Polizei der Grafschaft Essex nach. Internen Papieren zufolge soll Reform in Farages Wahlkreis Clacton gegen strenge Regeln zur Wahlkampf-Finanzierung verstoßen haben. Ein Parteisprecher wies die angeblichen Verstöße zurück; hinter vorgehaltener Hand wird der Whistleblower, ein abtrünniger Reform-Kommunalpolitiker, als Sex-Pest denunziert.
De Maart
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