In der Hauptstadt Ottawa schimpfen die Inhaber der Geschäfte und Restaurants, die seit Ende Januar andauernden Proteste der Lkw-Fahrer seien „schlimmer als Covid“. Und die Blockade der wichtigen Ambassador-Brücke zwischen Kanada und den USA führt dazu, dass Autokonzerne auch im Nachbarland die Produktion herunterfahren und Schichten streichen müssen.
Der sogenannte Freiheitskonvoi der Lkw-Fahrer begann aus Protest gegen die Impfpflicht bei Grenzübertritten; sie war Mitte Januar von Kanada und den USA eingeführt worden. Ende Januar fuhren hunderte Trucks in die Innenstadt von Ottawa; dazu kamen tausende Protestierer. Sie haben sich im Innenstadtbezirk Byward Market niedergelassen.
Die Provinz Ontario hatte erst kurz zuvor die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie gelockert. „Wir waren echt aufgeregt, dass die Leute zurückkommen und den Bezirk wieder lebendig machen“, sagt Innas Kiryakos, Besitzerin eines Geschäfts für Klamotten und Schmuck. Doch die Passanten blieben dem Bezirk angesichts der Trucker-Proteste lieber fern – am Donnerstag etwa kam keine einzige Kundin in Kiryakos’ Laden „Milk“. Auch bei Tom Charleboix im Schreibwarenladen ließ sich kein einziger Käufer blicken. „Das ist schlimmer als Covid“, sagt Kiryakos.
Die meisten Läden in Byward Market haben geschlossen, ein paar haben die Öffnungszeiten reduziert. Wirtschaftsverbände schätzen die Verluste der Einzelhändler auf dutzende Millionen Dollar.
Zwei Blocks entfernt steht Ottawas größtes Einkaufszentrum, das „Rideau Centre“ mit 175 Geschäften und Restaurants. Es ist seit zwei Wochen zu. Die Betreiberfirma Cadillac Fairview erklärte, das geschehe aus Gründen der öffentlichen Sicherheit. Angesichts all des Schmerzes und der Opfer während der Pandemie seien der Verlust von Einkommen und die finanziellen Auswirkungen der Trucker-Proteste „herzzerreißend“. Auch die Touristen machen einen weiten Bogen um die Innenstadt, wie Liv vom Cannabis-Laden „Dutch Love“ erzählt. „Wir hatten kaum Kunden die letzten Wochen. Hier kommen normalerweise viele Leute vorbei – aber es war tot.“
Die Ambassador-Brücke zwischen der kanadischen Provinz Ontario und der US-Metropole Detroit ist seit der Nacht zum Montag blockiert; auch ein Grenzübergang zwischen Alberta und den USA ist wegen der Trucker-Proteste nicht passierbar.
Produktion heruntergefahren
Die Brücke wird täglich von mehr als 40.000 Berufspendlern und Touristen überquert. Lastwagen transportieren pro Tag Waren im Wert von 323 Millionen Dollar (283 Millionen Euro) darüber. Die Autoindustrie auf beiden Seiten der Grenze ist besonders abhängig, sagt Fraser Johnson von der Ivey Business School: Manche Teile wechseln im Laufe des Produktionsprozesses sechs oder sieben Mal das Land.
Seit den 60er Jahren verlässt sich die Branche auf die Brücke – die Folgen der Blockade sind groß. Die betroffenen Unternehmen hoffen aber auf eine „schnelle Lösung“, wie etwa ein Sprecher von Ford sagt. Der Konzern hat in Kanada zwei Werke in den Städten Oakville und Windsor, die Produktion wurde bereits heruntergefahren. Auch Toyota berichtet von Lieferengpässen und rechnet mit Störungen der Produktion in seinen Werken in Kanada und im US-Staat Kentucky. Folgen für die Beschäftigten seien „derzeit“ aber noch nicht zu erwarten.
Stellantis kürzte bereits Nachtschichten in seinen nordamerikanischen Werken, General Motors strich Schichten im Werk in Michigan. Die Störungen kommen zur Unzeit, sagt Analyst Karl Brauer von iSeeCars.com: „Das kommt noch obendrauf auf eine eh schon schlechte Lage“ – Brauer nennt die Chipkrise. Auch in den USA können die Konzerne wegen Mangels an Halbleitern derzeit nicht so viel Autos bauen, wie sie wollen – die Preise in den Verkaufsräumen sind entsprechend hoch.
„Für die Autoindustrie ist das sehr besorgniserregend“, sagt Lieferkettenexperte Jason Miller von der Michigan State Universität. Und sollte die Blockade andauern, dann seien bald auch andere Branchen betroffen, warnt er. (AFP)
De Maart
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