Dienstag28. Oktober 2025

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GroßbritannienPremier Sunak feuert Innenministerin und holt seinen Vorgänger Cameron ins Kabinett

Großbritannien / Premier Sunak feuert Innenministerin und holt seinen Vorgänger Cameron ins Kabinett
Vor dem Hintergrund der schlechten Umfragewerte für seine konservative Partei hat der britische Regierungschef Rishi Sunak sein Kabinett umgebaut und überraschend den früheren Premierminister David Cameron als Außenminister zurückgeholt  Foto: dpa/Maja Smiejkowska

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Mit einer gewagten Personalie versucht der britische Premierminister den Befreiungsschlag für seine schlingernde Regierung.

Am Montag berief Rishi Sunak seinen liberalkonservativen Vorgänger David Cameron zum neuen Außenminister. Der war nach seinem Scheitern im Brexit-Referendum 2016 zurückgetreten und aus der Politik verschwunden. In nicht zuletzt außenpolitisch schwierigen Zeiten wolle er Sunak dabei helfen, Sicherheit und Wohlstand des Königreichs zu sichern, sagte der 57-Jährige: „Die neue Aufgabe ehrt mich.“

Der politischen Tradition zufolge können auf der Insel nur Parlamentsangehörige Minister werden. Weil Cameron nicht mehr im Unterhaus sitzt, erhielt er am Montag einen Sitz im Oberhaus. Das letzte prominente Kabinettsmitglied in dieser Konstellation war von 2008 bis 2010 der Labour-Wirtschaftsminister und frühere EU-Kommissar Lord Peter Mandelson. Für die Rückkehr eines Premierministers ins Kabinett gibt es das ehrenwerte Vorbild des konservativen Kurzzeit-Regierungschefs Alec Douglas-Home (1963/4), der in den 1970er Jahren dem Premierminister Edward Heath als Außenminister diente. Die Labour-Opposition machte sich über Sunaks Schritt lustig: Mit Camerons Rückkehr sei dessen Anspruch, er stehe für „Veränderung“, endgültig Vergangenheit.

In den vergangenen Tagen hatte sich die politische Debatte in London vor allem um Innenministerin Suella Braverman gedreht. Die Galionsfigur des harten rechten Parteiflügels nannte Palästina-Demonstranten „Islamisten und Hassmarschierer“ und setzte Scotland Yard öffentlich unter Druck, eine für Samstag geplante Demonstration von mindestens 300.000 Menschen zu verbieten. Zudem beschuldigte sie die Polizei, diese behandele Proteste unterschiedlich, je nachdem, ob ihnen das Anliegen sowie die Demonstranten sympathisch seien oder nicht.

Weil diese in einem Meinungsbeitrag für die Times gemachten Äußerungen nicht mit der Downing Street abgesprochen waren, galt Braverman als Ministerin auf Abruf. Dem Vernehmen nach war Sunak aber auch empört darüber, dass die Parteifeindin Obdachlosigkeit kürzlich als „frei gewählten Lebensstil“ bezeichnete. Auf den Hinterbänken der Fraktion, wo die Tory-Niederlage bei der kommenden Wahl 2024 als unausweichlich gilt, dürfte die 43-Jährige an ihrer Bewerbung für Sunaks Nachfolge basteln.

Eine anschmiegsame China-Politik

Ins Innenministerium holte der Premierminister den bisherigen Außenminister James Cleverly. Der 54-jährige Oberstleutnant der Reserve, Sohn einer Schwarzen aus Sierra Leone und eines weißen Engländers, hat sich in vielfältigen Ämtern bewährt und ist für seine besonnene Sprache bekannt. Seine erste Bewährungsprobe steht am Mittwoch bevor, wenn der Supreme Court über die umstrittene Abschiebung von Asylbewerbern nach Ruanda entscheidet.

Cleverlys ehrenvolle Versetzung machte das Außenressort frei für Ex-Premier Cameron. Die Personalrochade wird längst festgestanden haben, als die Pressestelle der Downing Street am Sonntagnachmittag Auszüge aus der außenpolitischen Grundsatzrede verschickte, die Sunak am Montagabend halten wollte. „In gefährlicher Zeit“ wolle er „unsere Sachkenntnis, unsere Fachleute und unsere Bündnisse zusammenführen.“

Als Fachmann mit einiger Sachkenntnis in außenpolitischen Fragen wird Cameron nach sechs Jahren als Regierungschef (2010-16) gelten dürfen. Allerdings meldeten sich auch sofort die Zweifler zu Wort und erinnerten an Versäumnisse und Fehler aus dieser Zeit. Die britisch-französischen Militärschläge gegen den libyschen Diktator Moammar Gaddafi führten 2011 zwar dessen Tod herbei, Frieden aber hat das nordafrikanische Land seither nicht gefunden. Im August 2013 kündigte Cameron großspurig Luftschläge gegen den syrischen Diktator Baschar Assad an, nachdem dieser im Bürgerkrieg Chemiewaffen eingesetzt hatte. Doch im Unterhaus scheiterte der Premierminister an den Abweichlern in der eigenen Partei und dem Widerstand der Labour-Opposition.

Die Außenpolitiker der Fraktion kreiden Cameron eine viel zu anschmiegsame China-Politik an, mit der die britische Regierung damals freilich nicht alleinstand, siehe Angela Merkels Deutschland. Allerdings steht der Ex-Premier im Verdacht, nach dem Ausscheiden aus dem Amt Lobbyismus für das nationalkommunistische Regime in Peking betrieben zu haben. Für einen anderen Lobby-Skandal, bei dem es um die Finanzfirma Greensill Capital ging, musste sich Cameron demütig entschuldigen. Ein Unterhaus-Ausschuss bescheinigte ihm einen „erheblichen Mangel an Urteilsvermögen“.

Den längsten Schatten auf die politische Karriere des neuen Außenministers wirft das Brexit-Referendum, dessen aus Camerons Sicht falsches Ergebnis langjährige Bündnisse des Königreichs auf Dauer beschädigt hat. Viele Briten auf beiden Seiten der Debatte machen den damaligen Premier ausschließlich für das Debakel verantwortlich. Sie vergessen dabei die negative Rolle des damaligen Labour-Chefs und eingefleischten EU-Feindes Jeremy Corbyn, zumal Referenda über europäische Fragen der LSE-Politikprofessorin Sara Hobolt zufolge stets von der Position der Opposition abhängen.

Meinung

Die Rückkehr von David Cameron ins Kabinett wird die britischen Konservativen nicht retten: Ein Jahr lang hat sich Rishi Sunak den Briten als Garant für Stabilität und Zuverlässigkeit präsentiert. Das hatten die Gesellschaft, vor allem aber die Wirtschaft auf der Insel bitter nötig, folgte der Ex-Banker im Amt des Premierministers doch auf die beiden Chaoten Boris Johnson und Liz Truss.
Anders als diese versuchte der rechts stehende Brexit-Befürworter die Spannbreite seiner konservativen Partei im Kabinett abzubilden. Deshalb kehrten erfahrene Liberalkonservative wie Jeremy Hunt (Finanzen) und Michael Gove (Regionales) in die Regierung zurück, deshalb wurde aber auch die inkompetente Suella Braverman vom harten rechten Flügel wieder Innenministerin.
Dass er die zu Hassparolen gegen Asylbewerber und Obdachlose neigende Politikerin jetzt in die Wüste schickt, deutet keine inhaltliche Kehrtwende an. Sunak wird weiter von rechts regieren. Weil aber Wahlen auf der Insel in der Mitte gewonnen werden, muss die Regierung dringend ihre Rhetorik mäßigen. Dazu trägt die zweite wichtige Personalie des Tages bei. Der frühere Premier David Cameron mag am Brexit-Referendum gescheitert sein und außenpolitisch manchen Fehler begangen haben. Im Vergleich zu dem Häuflein untalentierter Schreihälse, die durch den Brexit ins Parlament geschwemmt wurden, steht der smarte frühere PR-Mann in der ersten Reihe britischer Politik.
Der gerade mal 57 Jahre alte neue Außenminister wird seine Partei und Regierung gewiss beredt verteidigen. Nützen dürfte das den Konservativen wenig: Die Briten bleiben zum Wechsel entschlossen.

liah1elin2
13. November 2023 - 17.01

Ziemlich spannend diese Umbildung der Regierung.
Frau Braverman hat ihre Entlassung geschickt inszeniert und verfolgt ihre eigene Agenda mit dem Präsidium der Tories nach den Wahlen. Die Unterstützung der rechten Basis ist ihr sicher.
Die Ernennung von Brexitgegner Cameron mit seinen guten Kontakten in Brüssel scheint auf eine Annäherung hinzuweisen. Zu wünschen wäre es im Interesse beider Seiten.