Noch immer gibt es viele Unklarheiten, wie genau die Caritas im Frühjahr des vergangenen Jahres Opfer eines Präsidentenbetrugs werden konnte, der einen Schaden von 61 Millionen Euro verursachte und das Schicksal der Organisation besiegelte. Neue Recherchen des Radiosenders 100,7 zeigen nun: Die Caritas war im Februar 2024 wohl nicht zum ersten Mal mit einem „falschen“ Präsidenten konfrontiert. Bereits in den Wochen und Monaten davor scheint es zu mehreren Betrugsversuchen gekommen zu sein, die jedoch allesamt glimpflich ausgingen.
Diese neuen Informationen werfen Fragen auf, welche Rolle die Finanzdirektorin beim vermeintlichen Präsidentenbetrug im vergangenen Jahr gespielt hat. Denn über die verschiedenen Betrugsversuche sei sie, so 100,7, bestens informiert gewesen. Die Recherchen des Radiosenders legen mindestens zwei Fälle aus dem Jahr 2023 offen, die einem ähnlichen Muster folgten wie der erfolgreiche Betrug ein Jahr später. Im Januar 2023 habe sich eine Person per Mail als Caritas-Generaldirektor Marc Crochet ausgegeben, so berichten die beiden Journalisten Pia Oppel und Jean-Claude Franck in der aktuellen Folge ihres Podcasts. Der „falsche“ Crochet habe verlangt, dass sein Gehalt zukünftig auf ein anderes Konto überwiesen werden soll – mit der Mailadresse [email protected]. Das bemerkt bei der Caritas jedoch niemand, das Geld wird überwiesen. Es ist die Bank, die schließlich eingreift und die Überweisung stoppt.
Im März 2023 kam es laut 100,7 zu einem weiteren Betrugsversuch: Jemand gibt sich per Mail als Caritas-Partner aus Bangladesch aus und fragt mit gefälschten Dokumenten, ob Projektgelder auf ein anderes Konto überwiesen werden können als üblich, bei einer mexikanischen Bank. Die Caritas überweist 130.000 Euro, bemerkt den Betrug aber, als der echte Partner in Bangladesch nachfragt, wo die Gelder bleiben. Die Überweisung kann noch zurückgerufen werden, die Organisation kommt glimpflich davon. Der finanzielle Schaden beläuft sich lediglich auf die Bankgebühren für den Rückruf.
Betrugsversuche waren Alltag
Über beide Fälle hatte die Finanzdirektorin nach Informationen von 100,7 Kenntnis. Nach dem Vorfall im März sei eine Mail an die gesamte Caritas-Belegschaft gegangen, in der vor Betrugsfällen dieser Art gewarnt wurde. Kurze Zeit später, im Mai, gibt sich erneut jemand per Mail als Marc Crochet aus und fordert die Überweisung von 80.000 Euro auf ein Konto bei einer türkischen Bank. Der Mitarbeiter, an den diese Mail gerichtet war, bemerkt den Betrugsversuch und informiert nach Erkenntnissen von 100,7 sowohl den IT-Support als auch die Finanzdirektorin und den echten Crochet. Letzterer habe sich dann, das zeigen die Recherchen von Oppel und Franck, erneut per Mail an eine ganze Reihe Verantwortlicher gewandt, darunter die Finanzdirektorin. Crochet spricht in seiner Nachricht von „einem Problem, das sich wiederholen kann und wiederholen wird“ und gibt genaue Instruktionen, wie in einem solchen Fall vorzugehen sei. Neun Monate später erhält die Finanzdirektorin eine Mail von [email protected] und der Betrug nimmt seinen Lauf.
Die Recherchen von 100,7 decken verschiedene Widersprüche auf. Zum einen gehörten Betrugsversuche, auch als Präsidentenbetrug, anscheinend zum Alltag der Caritas, über die die Finanzdirektorin informiert war. Zum anderen scheint sie gegen Regeln zum Schutz vor Geldwäsche verstoßen zu haben, die sie selbst mit ausgearbeitet hatte. Wie regelkonform die Finanzdirektion sonst arbeitete, weiß Michael Feit, Chef der internationalen Abteilung der Caritas, der sich im Interview mit 100,7 an einen spezifischen Fall erinnert, bei dem die Finanzdirektorin besonders streng kontrollierte: „Sie hat eine zertifizierte Originalkopie jedes Ausweises einer Person verlangt, der wir im Südsudan Geld geschickt haben.“ Das sei dort jedoch gar nicht möglich gewesen. Die Finanzdirektorin habe immer für möglichst strikte Regeln plädiert, so Feit.
Im 100,7-Podcast resümieren Oppel und Franck: Alles deute darauf hin, dass organisierte Kriminalität hinter dem Betrugsfall bei der Caritas stecke. Die beiden Journalisten haben herausgefunden, dass einige spanische Kontonummern aus dem Caritas-Skandal auch bei anderen Betrugsfällen genutzt wurden. Das zeigen Listen einer französischen Konsumentenschutz-Organisation. Was die Rolle der Finanzdirektorin angeht, gilt die Unschuldsvermutung. Die vielen Widersprüche bestehen jedoch auch weiterhin. (judo)
De Maart
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